Wilhelm Neurohr

Liebe Anwesende,

alle reden von Globalisierung – auch wir heute Abend. Denn das Globalisierungsgeschehen findet ja nicht irgendwo ganz weit weg statt – oder nur als ein Medienereignis. Sondern Globalisierung erfasst ja das gesamte Alltagsleben. Sie erfasst die menschlichen Lebensbedingungen eines jeden Menschen an jedem Erdenort, in jedem Zeitpunkt: Global – national – regional und lokal. Überall verändern sich die Lebensverhältnisse radikal. Und ebenso radikal muss sich unser gesamtes Denken und Bewusstsein verändern, das mit dem Globalisierungsgeschehen kaum Schritt hält.

Die Welt ist gewissermaßen zum Dorf geworden – und wie selbstverständlich schauen alle Menschen in den Nachrichten gebannt auf das Weltgeschehen, als fände es vor ihrer Haustür statt. Noch vor wenigen Jahren waren die Nachrichten in den Medien weitgehend beschränkt auf die nationalen, die innerstaatlichen Ereignisse. Daneben gab es auch noch einige außenpolitische Meldungen bei herausragenden Anlässen oder Katastrophen.

Mittlerweile nimmt das globale Geschehen den breitesten Raum ein und die nationalen Ereignisse treten in den Hintergrund, weil sie ohnehin von der Globalisierung geprägt sind. Wir haben täglich die Welt als Ganzes im Blick. Auch in den multikulturellen Stadtteilen des Ruhrgebietes, in denen ja Menschen aus 88 verschiedenen Nationalitäten dieser Erde leben, kommt gewissermaßen die Welt alltäglich zu uns.

Die Menschen stehen aber nicht mehr nur passiv dem globalen Geschehen gegenüber, indem sie nur gebannt auf das Tun und Handeln der großen einflussreichen Staatsmänner, auf die Wirtschaftsführer und Weltenlenker blicken. Sondern sie nehmen regen Anteil. Sie fühlen sich mitverantwortlich und mischen sich auch selber ein – oder sie vernetzen sich mit anderen Menschen in aller Welt.

Allein 18 Millionen Menschen in 660 Städten dieser Erde gingen an einem einzigen Tag, am 15. Februar 2003, gegen den drohenden Irak-Krieg auf die Straße und demonstrierten für eine friedliche Welt.

Es waren nicht die üblichen Friedensdemonstranten der Ostermärsche mit ihren Ritualen, sondern überwiegend Menschen, die zum ersten mal an einer Friedensdemonstration auf der Straße spontan teilnahmen. Und auch danach gehen weiterhin Millionen Friedensbewegte auf die Straßen. Es ist die größte globale Friedensbewegung in der Menschheitsgeschichte. Das 21. Jahrhundert kann also nicht die bloße Fortsetzung der vorausgegangenen kriegerischen Jahrhunderte sein.

Schon vorher trafen sich Hunderttausende Menschen als Globalisierungskritiker in Seattle, Genua, Prag, Davos, Florenz usw., anlässlich vieler Weltgipfelkonferenzen. Sie protestieren gegen den alltäglichen Wirtschaftskrieg aus der einseitigen Interessensicht der neoliberalen Globalisierung, die das gesamte Leben unter die spaltende und zerstörerische Logik der Kapitalvermehrung im Weltmarkt unterwirft. In Porto Alegre in Brasilien kamen ebenfalls 100.000 Menschen aus aller Welt zusammen, um auf dem Weltsozialforum menschengerechte Alternativen zu einer Globalisierung zu entwickeln, mit der die Kluft zwischen den Menschen verringert statt vergrößert wird. Weltweit schließen sich regionale Sozialforen an, um dem totalitären Marktrecht des Stärkeren etwas entgegenzusetzen, nämlich eine Wirtschaft im Dienste des Menschen.

Unter dem Motto „Global denken, lokal handeln“, bemühen sich seit 10 Jahren die Menschen in Tausenden Städten und Gemeinden rund um den Globus um eine nachhaltige Zukunftsentwicklung – im Rahmen der Lokalen Agenda 21 mit ihren runden Tischen.(Nicht zu verwechseln mit Kanzler Schröders sogenannter Agenda 2010, die ja Beleg dafür ist, dass die Politik mit ihrem Latein am Ende ist.) Dort hingegen, in der Agenda 21, geht es um die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen in der Gemeinschaft, um die ganz individuelle Verantwortung für eine menschengerechte Globalisierung, durch Veränderung der eigenen Lebensstile, des Konsumverhaltens, des Ernährungsverhaltens, des Mobilitätsverhaltens und des Sozialverhaltens.

Je weiter die Globalisierung voranschreitet, desto stärker ist die Individualisierung der globalen Verantwortung vonnöten – und umso wichtiger wird auch die kommunale Selbstverwaltung vor Ort, die ja gefährdeter denn je ist, obwohl sie dem Einzelnen soziale und kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten und die Übernahme von Verantwortung eröffnet in der lokalen Gemeinschaft. Denn in jedem Menschen und an jedem Erdenort spiegeln sich die Weltprobleme wie in einem Brennglas. Und umgekehrt hat das Verhalten eines jeden einzelnen Menschen, sein Denken, Fühlen und Handeln, Auswirkungen auf das gesamte Weltgeschehen. Mit dieser Erkenntnis kann das weit verbreitete Ohnmachtsgefühl gegenüber dem globalen Geschehen überwunden werden.

Auch die anthroposophische Bewegung ist ja eine weltweite Globalisierungsbewegung, mit Zweigen und Einrichtungen sowie Mitstreitern in fast allen Regionen auf der Erde – und Mistreitern auch in höheren Regionen. Längst haben die Menschen erkannt: Ich kann nicht die Welt verändern, ohne mich selbst zu verändern, denn ich bin Bestandteil dieser Welt. Und ich kann mich nicht verändern, ohne aktiv an der Veränderung der Welt teilzunehmen. Nur so werde ich zum Weltbürger, in dem geistigen Ringen mit mir selbst und den anderen Menschen auf dieser Welt.

Mit dieser Erkenntnis organisieren sich zig Millionen Menschen weltweit in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) der Zivilgesellschaft, darunter über 100.000 Menschen in 50 Ländern dieser Erde im globalisierungskritischen Netzwerk von „attac“ für eine andere Welt als die des Materialismus, mit dem die Welt, die Natur und der Mensch zur bloßen Handelsware geworden sind – und mit dem die Demokratie und der Gemeinschaftssinn zerstört werden. Eine große Bewegung also von Weltbürgern mit teilweise auch spirituellen Hintergründen, die sich in Wort und tat für eine andere Welt einsetzen. Diese Bewegung erhält in atemberaubendem Tempo Zuwachs gerade auch von ganz jungen Menschen, darunter viele Michaelschüler außerhalb der anthroposophischen Zusammenhänge.

Sie bringen den globalen Skandal ins Bewusstsein und ins Weltgewissen, dass auf der einen Seite einige wenige Menschen verschwenderisch in Überfluss und Reichtum leben, den sie egoistisch bis habgierig für sich beanspruchen - während auf der anderen Seite 820 Mio. Menschen weltweit unterernährt sind und 100.00 täglich an den Hungerfolgen sterben, 36. Mio. Menschen im Jahr - ferner 100 Mio. Menschen in Slums leben. Die reichen Länder bringen aber nur 0.23% ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auf und sind nicht zum Schuldenerlass bereit. Immer mehr Menschen werden sozial ausgegrenzt.

Alle 7 Sekunden stirbt deshalb ein Kind an den Folgen der Unterernährung, an vermeidbaren Krankheiten oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir haben übrigens 300.000 Kindersoldaten weltweit in Armeen. 1 Mrd. Menschen einerseits muss mit einem Dollar pro Tag auskommen, derweil 1 Mrd. Erwachsene andererseits an Übergewicht und Fettleibigkeit leiden. Gleichzeitig haben 170 Mio. Kinder Untergewicht und jedes 5. Kind weltweit erhält keine Schulausbildung. Selbst im reichen Deutschland leben 1 Mio. Kinder von der Sozialhilfe. Hier beginnt die Entwürdigung der Menschen, während sich gleichzeitig 17.000 Milliarden Mark Privatvermögen in nur 10% der deutschen Privathaushalte ansammelten. Privatem Reichtum steht öffentliche Armut gegenüber.

In Anbetracht dieser sich verschärfenden Missverhältnisse hat sich in den Köpfen vieler Menschen, Politiker und Unternehmer, das Bestreben festgesetzt, nicht zu diesen Verlierern gehören zu wollen, sondern zu den Gewinnern in dieser Welt. Ob die Globalisierung zum Segen oder Fluch wird, hängt aber von der teilhabe der Armen am Reichtum ab, d.h. von der Teilungsfähigkeit hängt die Zukunftsfähigkeit ab.. Das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken als vermeintlicher Sachzwang beherrscht jedoch das Wirtschaftsleben statt der Gedanke, die Ressourcen und Reichtümer dieser Erde brüderlich zu teilen und nachhaltig einzuteilen. Wir verbrauchen inzwischen 120% der Erdressourcen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Mit dieser Haltung droht am Ende die gesamte Menschheit zu verlieren, obwohl durch die Globalisierung in einer grenzenlosen Welt alle einen Gewinn hätten.

Innerhalb weniger Jahre ist also eine andere Welt entstanden. Der Vorrang des Wirtschaftlichen vor dem Politischen , die Durchmischung von Wirtschaftsleben und Rechtsleben, bedroht auch die Demokratie. Internationale Wirtschaftsorganisationen diktieren das staatliche Handeln. Das Rechts- und Unrechtsempfinden der betroffenen Menschen werden ebenso ignoriert wie ihre kulturellen Bedürfnisse. Materieller Reichtum geht also mit zunehmender geistiger Armut und seelischer Leere und Auszehrung einher. Vergessen ist die Binsenweisheit, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht der Mensch für die Wirtschaft.

Dabei bedeutet Globalisierung etwas Wunderbares: das Zusammenrücken von Menschen. Das drückt sich auch darin aus, dass die Menschen physisch zusammenrücken. Wir erleben ja im Zuge der Globalisierung eine immer stärkere Verstädterung der Welt und eine weltweite Vernetzung der großen Metropolen und Mega-Städte - mit teilweise 10 bis 30 Mio. Einwohnern in den städtischen Ballungsräumen und Agglomerationen dieser Welt. Unser Ruhrgebiet mit seinen 5 Mio. Einwohnern, verteilt auf 26 Städte und Gemeinden, hat dagegen noch fast dörflichen Charakter.

Fast zwei von drei Weltbürgern, die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt demnächst in den großen Städten: über 60% der Menschheit. Dort spiegeln sich die sozialen und kulturellen Verhältnisse der Globalisierung. Im Zuge der Armutswanderung ziehen gerade die Menschen in den Entwicklungsländern auf der Suche nach Arbeit und Einkommen vom Land in die ausufernden Städte. Dort findet der eigentliche Zusammenprall der Kulturen statt, in den Stadtvierteln und Slums mit ethnischen Gettos, im Zuge der neuen Einwanderungswellen und Eingliederungsversuche, bei der Bekämpfung von Schattenwirtschaft, Kriminalität und Analphabetentum. Das sind die Folgen der Elendswanderungen als neue Form der Völkerwanderungen. Denn mit 900 Mio. Arbeitslosen allein in den Industriestaaten infolge des Verlustes an industriellen Arbeitsplätzen entstand ja das Sozialdumping.

Nur noch ein Bruchteil der täglich um die Welt rasenden Finanzströme, nämlich 30-40 Mrd. Dollar, fließt in den Welthandel, in die Produktion, in neue Arbeitsplätze. Dagegen sind 1500 Mrd. Dollar reine Geldanlagen, die alle 8 Tage den Besitzer wechseln. Die Politik hat vor den internationalen Finanzmärkten kapituliert. Die dadurch ihrer Erwerbsarbeit beraubten Menschen, deren Arbeitskraft beim Aufbau einer biologischen Landwirtschaft gut gebraucht würde, suchen jedoch ihre neue Existenzgrundlage bevorzugt in den großen Zentren, wo sie wiederum ihre Arbeitskraft in unwürdiger Weise als Ware auf dem sogenannten Arbeitsmarkt feilbieten. Dabei brauchte wir ein ganz neues Modell von Arbeit und Einkommen in Stadt und Land.

Ob wir es gut finden oder nicht: Die Zukunft der Menschheitszivilisation liegt in den Städten, während die Ernährungskrise nur im regionalen Zusammenspiel von Stadt und Land, mit der ökologischen und kulturellen Wiederbelebung des ländlichen Raumes und der Stadtkultur möglich ist. Das Prinzip des ungehemmten ökonomischen Wachstums kann kein Lebensprinzip, geschweige Überlebensprinzip sein. Es zwingt zur Bio- und Gentechnik, zur toten Nahrung und Tötung des Lebendigen und zur Zerstörung der Lebensräume. Deshalb stehen wir vor der Aufgabe des Rückbaus von Zivilisations- und Industriealisierungs-Schäden, vor der Neugestaltung der vielen Katastrophengebiete in der Welt.

Das sind die großen Herausforderungen der Globalisierung, deren Annehmlichkeiten wir ja schon lange genießen. Wir leben ja schon lange in einer Weltinformationsgesellschaft, in einer Weltreisegesellschaft, in einer arbeitsteiligen Welt, in der einer auf den anderen angewiesen ist, aber auch jeder für den anderen tätig sein darf.

Globalisierung erweist sich einerseits als segensreich, indem sie die Menschheit in einer grenzenlosen Welt zusammenführt und verbindet als wechselseitig abhängige Schicksalsgemeinschaft - die aber andererseits die Menschen spaltet und ausgrenzt. Der Wettlauf um die niedrigsten Löhne und übelsten Arbeitsbedingungen ist der Fluch der Globalisierung, der die Menschen gnadenlos gegeneinander ausspielt. Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse feiern Auferstehung. Dabei wäre eine Auferstehung der Menschenwürde nötig. Denn die alles überlagernde Jagd nach dem westlichen Lebensstil erweist sich als Illusion. Längst geht es nur noch um die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen auf der Erde.

In der Wirtschaft gilt ja eigentlich das Prinzip: „Alle für einen“ und nicht „jeder gegen jeden“. Der anhaltende Wirtschaftskrieg ist ja das genaue Gegenteil von notwendiger Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Daran gilt es intensiv zu arbeiten.

Die Globalisierung ist ja in jedweder Hinsicht noch nicht an ihr Ende gelangt, sondern hat ja gerade erst begonnen. Einige rufen jetzt nach einer zentralen Weltregierung, wie der Club of Budapest. Andere formulieren eine Erdcharta, wie der für Umweltfragen zuständige Klaus Töpfer bei der UNO. Wieder andere wollen im Zusammenwirken aller Religionsführer von oben ein allgemeinverbindliches Welt-Ethos mit einem verbindlichen Werte-Katalog aufstellen, wie der bekannte Theologe Hans Küng. Wir Anthroposophen wollen demgegenüber dem ethischen Individualismus zum Durchbruch verhelfen. Denn es liegt an uns, an jedem Einzelnen, wie wir diese Globalisierung gestalten, ob wir also die ganze Welt mitsamt dem Menschen und der Natur als Ware behandeln, oder ob wir eine andere Welt für möglich halten.

Globalisierung heißt also auch, dass viele alte Bezugspunkte überholt sind. Auch die Begriffe, die uns lange Zeit die Verhältnisse erschlossen haben, haben sich als veraltet erwiesen – als ungeeignet, die heutigen Verhältnisse zu ermessen. Wir erleben ja mit der Globalisierung quasi eine Aufhebung von Raum und Zeit. Immense Waren-, Kapital- und Datenmengen bewegen sich mit rasanter Geschwindigkeit teilweise virtuell von Kontinent zu Kontinent. Im Weltbinnenmarkt gibt es keine räumlichen Entfernungen mehr. Das Geldwesen hat sich längst von den Wirtschaftsprozessen abgelöst und verselbständigt.

An den virtuellen Finanzmärkte in einer virtuellen Ökonomie mit ihrer Entstofflichung kommt es auf die Geschwindigkeit an, auf den Zeitfaktor. Es geht in den modernen Bürotürmen der Welt um die Beherrschung der Geschwindigkeit als Erfolgsfaktor und Machtressource durch eine Manipulation von Daten. Aus Märkten werden Netzwerke, in denen nichts mehr produziert wird, was man anfassen, riechen, schmecken oder lagern kann. Ich war vor diesem Wochenende gerade auf einem 3-tägigen Kongress in Berlin. Dort ging es um virtuelles Regieren und Verwalten, um E-Government und elektronische Demokratie – ein technokratisches Zukunftsmodell, das in wenigen Jahren verwirklicht sein soll und von Land und Bund vorangetrieben wird..

In einer grenzenlosen Wirtschaftswelt mit ihren entfesselten Märkten und Machteinflüssen verlieren nun die territorial verfassten Nationalstaaten ihre Bedeutung. Staatsgrenzen haben bald nur noch historischen und symbolischen Charakter. „Die wirklichen Grenzen unserer Zeit verlaufen nicht mehr zwischen den Staaten, sondern zwischen den Mächtigen und machtlosen, den Freien und Geknechteten, den Privilegierten und Gedemütigten“, so drückte es UN-Generalsekretär Kofi Annan aus. Die Staaten sind nicht mehr zugleich politische Rechts- und Verwaltungsgebiete einerseits, deckungsgleich mit Wirtschafts- und Kulturräumen andererseits, sondern keine funktionalen Einheiten mehr. Und die wenigsten Staaten sind noch Nationalstaaten im eigentlichen Sinne, sondern Vielvölkerstaaten und damit multikulturelle Gesellschaften. Die 3000 bis 5000 verschiedenen Ethnien oder Volksgruppen in der Welt können ja auch nicht alle ihren eigene kleinen Nationalstaat gründen im Sinne von Separatismus. Das wäre ein Schritt nach rückwärts.

Das altgewohnte geografische Weltbild müssen wir also über den Haufen werfen. Die Parzellierung der Welt wird aufgehoben, bis hinunter auf die kommunalen Stadtgrenzen im Zeitalter des virtuellen Rathauses, so dass sich auch die kommunale Selbstverwaltung mit ihren sozialräumlichen Gestaltungsmöglichkeiten in den Netzwerken internationaler Dienstleistungskonzerne auflöst. Dabei werden die regionalen und örtlichen Gestaltungsgemeinschaften umso wichtiger, je mehr die Globalisierung voranschreitet. Demokratie und Regieren in entgrenzten Wirtschaftsräumen sind neu zu erfinden, mit einer besonderen Rolle der Zivilgesellschaft. Es gibt kein Zurück mehr zum alten Staatsgefüge und Demokratieverständnis und keinen Weg zurück zu geschlossenen Märkten.

Auch die Dreiteilung in Erste, Zweite und Dritte Welt hat keinen Bestand mehr, also in Industrieländer, in sogenannte Schwellenländer und in Entwicklungsländer. Mehr und mehr rücken wir zu Einer Welt zusammen, die wir verstehen lernen wollen. Und wenn heutzutage von „Zweiter Welt“ die Rede ist, dann meinen wir die virtuelle Medienwelt, die den Globalisierungsprozess entscheidend prägt – sozusagen durch Verlagerung der sinnlich erfahrbaren Welt auf die simulierte Welt der Bildschirme.

  • Wir erleben also eine Enträumlichung der Welt.
  • Wir erleben eine Entstofflichung der Ökonomie.
  • Wir erleben eine Aufhebung der Zeit,
  • Wir erleben eine Universalisierung der Lebensstile.
  • Wir erleben eine Entsouveränisierung der Nationalstaaten.
  • Wir erleben eine Demontage der national verfassten demokratischen Sozialstaaten.
  • Wir erleben eine Globalisierung wesentlicher gesellschaftlicher Dimensionen – wie Kommunikation und Information, einschließlich Nachrichten und Kultur, mit weltweiter Angleichung der Meinungen, Geschmäcker und Lebensstile.
  • Wir erleben einen Kasino-Kapitalismus mit spekulativem Handel mit Derrivaten statt sichtbaren, messbaren und kontrollierbaren Warenhandel.
  • Wir erleben eine bereits erwähnte Loslösung des Geldes von den Wirtschaftsprozessen mit der permanenten Gefahr weltweiter Börsenzusammenbrüche oder den Zusammenbruch von Staaten und Volkswirtschaften (siehe Asien oder Argentinien).
  • Wir erleben, wie unser auf Nationalsaaten fixiertes Weltbild ausgedient hat.
  • Wir erleben die dramatische Ablösung demokratischer und politischer Entscheidungsprozesse durch politische Machtentfaltung der Konzerne, zugleich den Bedeutungsverlust von Parteien und Parlamenten.
  • Wir erleben, wie die ganze Welt zur käuflichen Ware wird: die Nahrung, die Wohnung, das Trinkwasser, die Natur, die Zeit, die Bildung, die zwischenmenschlichen Dienstleistungen und der Mensch selber sowie seine geistigen Ideen.
  • Wir erleben damit einhergehend den Verlust von Menschenwürde und Menschenrechten und auch den Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort.

Diese neue neoliberale Weltordnung unter dem Hegemonie-Anspruch Amerikas wurde erstmals 1990 in der berühmten Kongress-Rede von Präsident Bush senior verkündet. Und durch das Veto-Recht der Großmächte wurden auch die vereinten Nationen und ihre UN-Gremien geschwächt und mit weltweiten Konflikten überfordert.

Die Dynamik und der Druck der Globalisierung hat seither unzählige Bereiche der heutigen Gesellschaft total verändert, mit totalitären Zügen, aber auch mit gewissen Chancen einer grenzenlosen Welt. Und erstmals in der Menschheitsgeschichte dominiert mit den vereinigten Staaten eine Hypermacht die gesamte Welt, von einigen als „unipolares Weltmodell“ begrüßt, wie vom Europäer Tony Blair. Mit der Verfrühung der amerikanischen Kulturepoche wird die spirituelle Entwicklung behindert, die zunächst mit dem russisch-slawischen Einschlag aus Osteuropa an der Reihe wäre. Umso tragischer wäre es, würde sich das vereinte und vergrößerte Europa als reine Wirtschaftsmacht in den Konkurrenzkampf begeben und sich zudem als Militärmacht ausbauen, anstatt als ausgleichende soziale und kulturelle Wertegemeinschaft in der Welt zu wirken.

Nunmehr stehen die großen Fragen der Zukunft vor der Menschheit, der Blick auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, auf Umwelt und Kultur sowie Zivilisation. Im Irak gingen jetzt die Zeugnisse und historischen Belege von 5000 Jahren Zivilisation durch Plünderungen und Zerstörungen verloren. In Mesopotamien stand ja die Wiege der Zivilisation – so dass nicht ohne grund der Irak-Krieg die Menschen so sehr aufgewühlt hat. Jetzt stehen wir erneut vor der Zivilisationsfrage - und vor der immer drängenderen sozialen Frage, die so virulent ist wie selten zuvor, dass zeigen aktuell auch die heftigen, aber ratlosen Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie, die aus dem 19. und 20. Jahrhundert übrig geblieben ist.

Die Globalisierung hat also in kürzester Zeit das Denken der 6 Mrd. Menschen auf der Welt, die bis Mitte des 21. Jahrhunderts auf 9 Mrd. anwachsen sollen, erfasst und ihr Bewusstsein verändert – wie es dem 21. Jahrhundert angemessen ist. Teilweise wird auch das Fühlen und Handeln davon bestimmt im Anfangsstadium des aufkeimenden Weltbürgertums.

Jetzt ist soziale Dreigliederungszeit, liebe anthroposophische Freunde aus dem Widar-Zweig. Wenn nicht jetzt, wann sonst? Widar, der Repräsentant einer michaelischen Nebenströmung, sucht ja Menschen, die bereit sind, sich auf dem Felde der sozialen Dreigliederung an die allerschwersten sozialen Kämpfe heranzuwagen. Denn Aufgabe der Merkurströmung ist es , gestützt auf die inneren Kräfte der Erde, heilende und ausgleichende Zukunftskräfte an die Menschen heranzubringen.

Es wird ja längst bei allen Irrungen und Wirrnissen allenthalben gerungen um das zeitgemäße Weltbild und Menschenbild in dieser Zeit des globalen Wandels. Was können sich Anthroposophen mehr wünschen in einer Zeit der vielbeschworenen Kulmination von weltumspannenden Ereignissen, die uns auch geistig fordern. Denn was da momentan in der Außenwelt stattfindet, bewegt ja auch die Menschen innerlich – und ist umgekehrt wiederum Ausfluss der inneren Haltung der Menschen. Die Heilung der von innen erkrankten Erde kann auch nur von innen heraus erfolgen, also nicht mit Kurieren an äußeren Symptomen.

Neu an der momentanen Weltentwicklung im Zeitalter der Globalisierung ist ja das wieder beginnende Zusammenfließen der lange Zeit getrennten Innen- und Außenwelt durch wachmachende Weltereignisse – vom 11. September über den Irak-Krieg bis hin zu Meldungen über die Gentechnik und das massenhafte Verhungern ganzer Völker oder über Naturkatastrophen einer sich aufbäumenden Natur.

Nie zuvor wurde der innere und äußere Lebenszusammenhang von Erde und Menschheit so deutlich wie in dieser Zeit. Und nie zuvor war es so wichtig, die Ereignisse und Entwicklungen gedanklich und spirituell zu begleiten und zu durchdringen. Darum blicken wir jetzt gedanklich noch einmal auf das Wesentliche:

Sozialwissenschaftler wie Ulrich Menzel sprechen von 2 Megatrends, die unterschiedlichen Logiken gehorchen:

  • auf der einen Seite der Trend zur Globalisierung der Weltwirtschaft, der Weltgesellschaft, der Weltkultur,
  • auf der anderen Seite eine Fragmentierung aller Lebensbereiche: das ist die Welt der ethnischen, der nationalistischen oder religiösen Konflikte, des Separatismus, der neuen Abschottung, des Terrorismus.
  • Einhergehend mit einem Verfall staatlicher Ordnungen schlechthin – die Welt der sozialen Spaltung auch der westlichen Gesellschaft.

Der Begriff der Globalisierung ist übrigens relativ neu, seitdem wir einen viel gewaltigeren, ja, einen totalen Einfall der globalen Ereignisse erleben als jemals vorher in früheren Epochen der Menschheit. Heute ist die Menschheit Selbstgestalter ihres Schicksals. Wie so viele Modebegriffe hat auch „Globalisierung“ einen Bedeutungswandel erfahren – durch einen beliebigen Gebrauch als Generalschlagwort der Politik und Wirtschaft. Unter Globalisierung wird inzwischen eine ideologisch festgelegte Richtung und Verheißung verstanden, die einer angeblich naturnotwendigen und unumkehrbaren , ja, alternativlosen Marktfreiheit der Unternehmen gleichkommt, die sich ihrer sozialen Verantwortung entziehen:

Je mehr Marktfreiheit und je weniger Handelshemmnisse, je mehr Konzentration und Fusion in transnationalen Konzernen und je weniger politische und rechtliche Gestaltung, desto besser für Wachstum und Wirtschaft und desto besser für die Welt und ihre Menschen. So lautet das Credo der neoliberalen Wirtschaftsanhänger. Damit ist Globalisierung zum Schlagwort und zum Alibi für den totalen Weltmarkt eines schrankenlosen Kapitalismus geworden, eine Art Welthandelsdiktatur, mit der rechtsstaatliche Regelungen und Verfassungsprinzipien ausgehebelt werden.

Somit werden durch diese Ökonomie Menschenrechte und Menschenwürde alltäglich verletzt. Doch die Seelenverfassung ist eine solche, dass diese Zusammenhänge von vielen Menschen nicht gesehen werden.

Wer aber das reale Leben ergreifen will, der muss sich ein Verständnis davon verschaffen, wie die heutige Lage herbeigeführt worden ist und wie die zukünftige Entwicklung in heutiger Zeit vorbereitet wird. Um an dieser Stelle einmal Rudolf Steiner (GA 186) zu zitieren: „Es geht nicht anders im geschichtlichen Leben der Menschheit, als dass die Menschen das, was geschieht, was unter ihnen im sozialen Leben geschieht, auch denkend begleiten.“ Und mit dieser denkenden Begleitung gelangen wir zu der Erkenntnis, die Rudolf Steiner so beschrieben hat: „Das Wirtschaftsleben wirkt deshalb übermächtig auf die Menschheit, weil dem wirtschaftlichen Wirken kein politisch-rechtliches gegenübersteht, das ihm entgegenwirkt.“

Damit ist das ganze Dilemma der gegenwärtigen Situation und Auseinandersetzung auf dem Globus treffend beschrieben. Das Wirtschaftsleben hat sich zugleich an die Stelle des Rechtslebens gesetzt, es beherrscht das politische Leben und beendet die Demokratie. Und es ist außerdem auf dem besten Weg, sich auch noch an die Stelle des kulturellen Lebens zu setzen, indem die Kaufkultur, die Werbung bis hinein in die Schulen sowie das alles beherrschende ökonomische Denken die Kultur überlagert und nivelliert – hin zu einer Welteinheitskultur.

Alternativen dazu sind beinahe mit einem Denkverbot belegt und damit basta, wie das Kanzlerwort zeigt, mit dem das Ringen um soziale Zukunftsgestaltung und demokratische Rechtsgestaltung in Zeiten der Globalisierung abgewürgt werden soll, so als gäbe es nur eine einzige Scheinalternative. Die neoliberale Art der Globalisierung im rechtsfreien Raum wird wie eine Art naturgesetzliche Notwendigkeit betrachtet, wie ein unumstößlicher Sachzwang. Doch alles, was von Menschen gestaltet ist, kann auch von Menschen wieder geändert werden. Dazu bedarf es allerdings sozialer Phantasie, die ohne spirituelle Quellen nicht entwickelt werden kann, wie uns das ausgebrannte Parteienwesen zeigt.

Der Träger des alternativen Nobelpreises, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, hat das trefflich erkannt. Gerade in seiner niedergehenden Partei wird ja momentan um die zukunftsfähige Richtung heftig gestritten. Die soziale Frage ist also so aktuell und virulent wie schon lange nicht mehr. Hermann Scheer schreibt im Vorwort zum Globalisierungsatlas zutreffend: „ Globalisierung steht jetzt für Spaltung statt für Weltzivilisation. Wer dieses neoliberale Konzept und seine nachweisbar negativen Ergebnisse kritisiert, wird als rückständig, naiv, modernisierungs-unfähig denunziert. Ihm wird veraltetes Denken vorgeworfen.“

Die heute als „Globalisierungsgegner“ diffamierten Kritiker einer ideologisch einseitigen Globalisierung, die ja die Absicht hat, der Weltzivilisation eine einheitliche Monostruktur zu verpassen statt Einheit in der Vielfalt zuzugestehen, haben als neue soziale Aufbruchbewegung in der Tat andere Vorstellungen von Globalisierung: Sie streben eine Weltordnung an, die einer universalen zivilisatorischen Idee verpflichtet sein sollte: nämlich der weltweiten Geltung der Allgemeinen Menschenrechte, die ja Individualrechte sind. Das bedeutet die Überwindung globaler sozialer Ungleichheit oder Ungerechtigkeit. Und das erfordert die Ausgestaltung des Völkerrechtes zu einem Kodex internationaler Verhaltens- und Kooperationsregeln - und ein Verfahren zur friedlichen Beilegung und Schlichtung internationaler Streitigkeiten.

Die Globalisierung, liebe Zuhörer, erfordert Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Die teuflische Verkehrung dieser Prinzipien hat bewirkt, dass die Freiheit statt im Geistesleben nunmehr fälschlich im Wirtschaftsleben verwirklicht wurde – als neoliberale Freiheit, als materialistisches und sozialdarwinistisches Konkurrenz- und Wettbewerbsprinzip, anstatt die Reichtümer und Ressourcen dieser gemeinsamen Erde bedarfsgerecht untereinander aufzuteilen.

Die Gleichheit hingegen wurde statt im Rechtsleben im Geistes- und Kulturleben verwirklicht, als gleichmachende amerikanisierte Einheitskultur, als kulturelle Nivellierung bis hin zum geplanten Einheitsabitur im Einheitskopf der Schüler, die ausschließlich für den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf fit gemacht werden sollen – auch ein Hintergedanke der Pisa-Studie.

Die Brüderlichkeit – heute würden wir sagen, Geschwisterlichkeit – ist hingegen nicht im Wirtschaftsleben, sondern fälschlich im Rechtsleben allgegenwärtig: als Kumpanei und Seilschaft von Interessengruppen und Lobbyisten oder Politikern untereinander, die das Recht nach ihren eigenen egoistischen Interessen und Vorteilen zurechtschneiden. Eine Hand wäscht die andere.

Schon der heilige Augustinus hatte vor Hunderten von Jahren gesagt: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt was ist der anderes als eine große Räuberbande?“

Mit dieser Pervertierung der großen Ideale der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hat sich die Polarisierung und Spaltung der Menschheit im Zuge der Globalisierung verschärft. Die Ideale wieder an die richtige Stelle im sozialen Organismus zu rücken, der ja auch den natürlichen Erdenorganismus und den kranken menschlichen Organismus wieder zu heilen vermag, ist unsere vorrangigste und christlichste Aufgabe in dieser Zeit – um Auswege aus der Globalisierungsfalle aufzuzeigen, die ja nur eine Gedankenfalle ist.

Je mehr die Menschen zu einer Welt zusammenrücken, die sie verstehen lernen wollen, desto mehr prallen zwei grundverschiedene Weltsichten polar aufeinander. Diese erfordern eine neue Sicht der Dinge: Die einen sehen mit ihrem materialistischen Weltbild in der Fortsetzung der markt- und wachstumsorientierten neoliberalen Wirtschaftsweise mit ihrem konkurrenz- und Wettbewerbsprinzip die zentrale und erfolgversprechende Antwort auf die Beseitigung der Ungleichheit von arm und reich – obwohl gerade diese Wirtschaftsweise die Probleme ursächlich hervorgerufen hat und die Kluft zwischen den Menschen immer weiter verschärft.

Statt versprochener Wohlstand für alle ist die Verarmung der meisten Menschen eingetreten und erreicht allmählich auch die reichen Industriestaaten. Doch die Befürworter dieser wenig nachhaltigen Wirtschaftsweise negieren die tatsächliche Armut und Verstümmelung, die ein einseitig verteilter materieller Wohlstand hervorbringt. Sie verkennen den natürlichen und kulturellen Reichtum der Welt, der unter anderen Bedingungen zustande kommen könnte: Eine Vielfalt nämlich, die nur erhalten und gefördert werden kann, wenn man den wirtschaftlichen Prozess in einen kulturellen, sozialen und ökologischen Bezugsrahmen einbettet, vor geistigem Hintergrund.

Die anderen mit ihrem spirituellen Welt- und Menschenbild befürworten ein Konzept der konsequent nachhaltigen Entwicklung, die sich als Leitbild der Uno-Umweltkonferenz von Rio 1993 jedoch nicht durchgesetzt hat – trotz vielfältiger staatlicher, regionaler, örtlicher und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten im Laufe der letzten 10 Jahre.

Große transnational agierende Wirtschaftslobbys - einschließlich der Weltbank und der Welthandelsorganisation WTO und des Weltwährungsfonds WWF - beeinflussen mit ihren Interessen das mulilaterale Verhandlungsgeschehen und die kaum noch demokratischen Entscheidungen sowie die kulturellen Entwicklungen, fernab vom Leitbild der Nachhaltigkeit.

Der totale Markt in seiner scheinbar friedlichen Dimension erweist sich als anhaltender ökonomischer Völkermord, mit Millionen Todesopfern auf der südlichen Hälfte dieser Erde. Wirtschaftsentscheidungen wirken als faktische Todesurteile für die Verlierer. Als anonymer Markt entzieht sich dieser der Heranziehung von Verantwortlichen, denn es ist ein System der totalen Verantwortungslosigkeit. Der Mechanismus des Marktes soll die sozialen Bemühungen der Menschen erübrigen und ersetzen, indem der Markt angeblich für den sozialen Ausgleich sorgt..

Das ist die große irrationale Gedankenfalle, die wie ein Bazillus immer mehr Köpfe befällt, insbesondere in der politischen und wirtschaftlichen Elite, aber auch in der sogenannten Wirtschaftswissenschaft. Der weltweite Wirtschaftskrieg mit seinen diktatorischen Zügen wie auch der Irak-Krieg sind ja das Ergebnis nationalen Denkens und nationaler Interessenpolitik. Sie sind Ausfluss einer materialistischen Weltsicht aus einem Denken des Todes heraus, also keines lebendigen spirituellen Denkens, allenfalls aus einer Art irdischer Ersatzreligion.

Gibt es nun einen Weg oder Ausweg, um diesen globalen Interessenegoismus mit seinen Gegensätzen zu überwinden - damit die Globalisierung zum Segen der Menschheit gereicht und nicht zu ihrem Fluch wird?

Erst die Gedankenfreiheit setzt ja soziale Kräfte frei. Wie wir von Rudolf Steiner wissen (zum Mitschreiben: GA 333). Die Dominanz der Ökonomie über alle anderen Lebensbereiche – worin hat sie ihre Ursachen? Lassen Sie mich zum Schluss hierzu einige Aspekte aus den Aufsätzen von Rudolf Steiner zusammentragen, wie sie in dem Bändchen unter dem Titel „Soziale Zukunft“ ausgeführt sind, also in den Züricher Vorträgen von 1919 (GA 332a). Darin heißt es sinngemäß:

Die gängigen Forderungen nach Weltwirtschaft helfen uns nicht weiter, wenn innerhalb der Welt nur verschiedene soziale Gebilde mit zusammenwohnenden Menschen nebeneinander stehen. Insbesondere dann nicht, wenn die Menschen in diesen Gebilden auf individuelle Art Geistiges und Rechtliches hervorgebracht haben – ohne aber Interesse für Produktion und Konsum anderer Völker zu entwickeln. Nur aus diesem Interesse entsteht Verständnis für andere Völker. Erst dann wird sich aus dem Geistes- und Rechtsleben heraus Verständnis für andere Völker über die ganze Erde hin entwickeln.

Um wirklich Weltwirtschaft zu betreiben, müssen also auf diese individuelle Art auch die anderen sozialen Gebilde verstanden werden, damit nicht immer wieder die Nationalinteressen sich in die Weltwirtschaft hineinstellen - und nur dasjenige für die eigenen Ansprüche daraus heraussaugen. Eine wirkliche Weltwirtschaft wird nur gefunden werden können, wenn sich nicht geistige oder rechtliche Organisationen der einzelnen Gebilde dieser Weltwirtschaft bemächtigen, denn die müssen ja individuelle Gestalt haben.

Wir müssen also auch auf wirtschaftlichem Gebiete zum Geist übergehen, sonst wird man mit noch so gut gemeinten Rechtssatzungen nichts Besseres schaffen können als das bisher da gewesene, das ja zu dem bestehenden Dilemma geführt hat. (Ich nenne jetzt nur einmal die Vereinnahmung der UNO durch die USA oder das Welthandelsabkommen der WTO.) Zur Allgemeinheit und Einheit in der Welt kann nur beigetragen werden, indem man sich das erringt, was über die ganze Erde hin die andere Einheit ist, also dass eigentlich Menschen Verbindende.

Die menschlichen Konsumbedürfnisse sind es, die über die ganze Welt hinweg unberührt sind von den Nationalismen, denn die menschlichen Bedürfnisse sind international. Sie stehen aber polarisch dem gegenüber was das Internationale des Geistes ist. Das internationale des Geistes muss dafür Verständnis liefern, indem es im Leben das Verständnis für die anderen Nationen hervorbringt: Diese Liebe muss sich bis zur Internationalität ausdehnen können.

Jetzt kommt eine interessante Aussage: Der Egoismus ist aber ebenso international. Er wird nur eine Brücke schaffen können in der Weltproduktion, wenn diese aus einem gemeinsamen Verständnis hervorgeht, aus einer Einheitsanschauung. Denn aus dem Volksegoismus wird niemals die gemeinsame Konsumtion entstehen können, die auf dem gemeinsamen Egoismus beruht. Allein aus der gemeinsamen Geistanschauung kann sich das entwickeln, was nicht aus dem Egoismus, sondern aus der Liebe kommt, und was daher die Produktion beherrschen kann. Deshalb muss die Erde emanzipiert werden von den Individualismen, d.h. als Geistanschauung muss das gefunden werden, was alle Nationen miteinander verbindet, was jeder andere in jeder anderen Nation findet – also das Gemeinsame und Verbindende.

Die Forderung nach Weltwirtschaft ist ja entstanden durch das kompliziert werden der menschlichen Lebensverhältnisse über die ganze zivilisierte Welt hin, deren Menschen dasselbe bedürfen.

Wie kann aus diesen einheitlichen Bedürfnissen ein einheitliches Produktionsprinzip erwachsen, das über die ganze Erde hin für die Weltwirtschaft wirksam wird? Dadurch, dass man aufsteigt zum geistigen Leben, zur geistigen Weltanschauung, die mächtig genug ist, um zur gemeinsamen Weltkonsumtion die gemeinsame Weltproduktion zu schaffen. Indem die Einheit des Geistes zur Einheit der Konsumtion hin wirkt, wird der Ausgleich geschaffen in der Vermittlung zwischen Produktion und Konsumtion.

Deshalb muss man in das Innere des Menschen hineinschauen, um zu erkennen, wie über die ganze zivilisierte Erde hin wirklich aus vielen Organismen ein einheitlicher Organismus entstehen soll. Dieser einheitliche Organismus muss solche Bedingungen enthalten, dass den sozialen Forderungen gemäß über die ganze Erde hinweg ein solcher organischer Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion geschaffen wird, - d.h. das Stück Brot oder Kohle oder der Liter Öl, der für einzelne Haushalte oder einzelne Menschen gebraucht wird, muss wirklich denjenigen sozialen Forderungen entsprechen, die heute im Unterbewusstsein der Menschen geltend sind. (Mit anderen Worten: erschwingliche Produktion für alle, gleiche Bedürfnisbefriedigung für alle.)

Wir müssen also das, was in den einzelnen Volksphantasien individualistisch zum Ausdruck kommt, bis zur Geistanschauung vertiefen – dann werden die einzelnen Volksoffenbarungen nur mannigfaltige Ausdrücke für das sein, was in der Geistanschauung eine Einheit ist. (Mit anderen Worten: Einheit in der Vielfalt.) Denn der Geist ist etwas, was die Menschen nicht trennt, sondern verbindet, weil er zurückgeht bis auf das innerste Wesen des Menschen, indem ein Mensch dasselbe hervorbringt wie ein anderer Mensch – und dadurch ein Mensch den anderen Menschen wirklich verstehen kann.

Baue ich nur auf die einheitlichen (aber egoistischen) Konsumbedürfnisse, prallen diese aufeinander. Das ausgleichende Geistige muss als Verbindendes hinzukommen. Dann haben wir auch ein friedensstiftendes Prinzip auf der Welt, indem wir erkennen, wie wenig Internationales in kriegführenden Staaten vorhanden ist. Dasjenige, was als Stimmung, Gedanken, Hass bei den Menschen über andere feindliche Staatsangehörigkeit vorhanden ist, das ist nur überwindbar durch gemeinsames geistiges Zusammenwirken – durch Menschen aller Nationen: Gemeinsames Ergreifen und Erarbeiten einer Geistanschauung – also dass, was wir uns als Anthroposophen in der Welt vorgenommen haben.

Der alte Geist, das alte Denken heute noch im 21. Jahrhundert hat uns in die Kriegslage und in den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf hineingebracht – aber auch in die eigenen heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Anthroposophenschaft. Damit befinden auch wir uns in der gedanklichen Globalisierungsfalle. Es wird in Zukunft vielleicht weniger eine Anthroposophische Gesellschaft im Sinne einer erklärten Gemeinschaft geben, dafür mehr eine freie Vernetzung von Menschen, welche mit ihren individuellen Aktivitäten überall in der öffentlichen Gesellschaft deren Veränderung in eigener Art vorantreiben - aber in Übereinstimmung mit Rudolf Steiners Forschungsergebnissen.

Dazu brauchen auch wir einen neuen Geist, der zu erringen ist, und eine soziale Handlungsorientierung. Das, liebe Zuhörer, sollte unser Beitrag zur Globalisierung sein und dazu wollte ich anregen, damit die Anthroposophie sich segensreich auf die Globalisierung in aller Öffentlichkeit auswirken kann.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.