Beitrag für den Dreigliederungs-Rundbrief
Geht es beim umstrittenen deutsch-französischen EU-Militäreinsatz im kriegszerstörten Kongo auf Bitten der UNO - anlässlich der ersten freien Wahlen dort seit 45 Jahren nach einem eindrucksvollen Verfassungsreferendum - um demokratische und humanitäre oder um versteckte wirtschaftliche Interessen? Ist den Menschen in dem gequälten und ausgebeuteten Land damit gedient, wenn Europa zum Beginn einer „neuen Ära“ dem amtierenden „überparteilichen“ Diktator Kabila im Sinne seiner Geldgeber zum Machterhalt verhilft - oder geht der Militäreinsatz in enger Abstimmung mit der kongolesischen Regierungsarmee zugunsten einer stabilen Zentralregierung an den Problemen der Menschen und Regionen vorbei, mit anschließender Verschärfung der Bürgerkriege?
Selten gingen die Meinungen quer durch alle Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen über die brisante militärische Mission unter deutscher Führung so extrem auseinander - denn Deutschland und Europa haben keine wirklichen Konzepte und längerfristigen Strategien für ihre Afrika-Politik. Warum wird jetzt ausgerechnet der Kongo zum Zielort militärischer Einsätze durch Deutschland und Europa, obwohl es viele Krisenherde und Länder mit demokratischem Erneuerungsbedarf gibt, wie z.B. im Vorjahr bei den manipulierten Wahlen mit vorausgegangenem Militärputsch im westafrikanischen Togo? Eine fundierte Urteilsbildung ist nicht einfach angesichts der verworrenen Lage in dem großen zentralafrikanischen Krisenherd; dennoch versucht der Autor, die Situation etwas aufzuhellen.
Zur Ausgangssituation: Mehr Tote als im Zweiten Weltkrieg
Die 60 Millionen Menschen im drittgrößten afrikanischen Land Kongo (vormals Zaire) - überwiegend Analphabeten aus 250 Völkern und Stämmen mit 400 Sprachen. – haben über 40 Jahre Krieg und Bürgerkrieg, Diktatur sowie ungeheure Korruption und Ausplünderung durch Kolonialmächte und Diktatoren hinter sich, die seit mehr als einem Jahrhundert dort ihr Unwesen treiben, allen voran belgische Konzerne der langjährigen Kolonialmacht und ausländische Söldnerbanden. Der Mord an Patrice Lumumba und das tödliche Attentat auf den damaligen UN-Generalsekretär Dag Hammersköld sind Teile einer Blutspur, denen bis heute auch durch ethnisch begründete Kriege Hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Heute stellt sich neu die Frage, wie viel hierzulande das Menschenleben eines Afrikaners oder einer Afrikanerin wert ist? In der außen- und sicherheitspolitischen sowie öffentlichen Wahrnehmung rangiert Afrika ganz weit unten.
80 % der Kongolesen leben in absoluter Armut; sie müssen mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag auskommen. In einem der gequältesten Länder der Erde sind Gewalt, Folter und Menschenrechtsverletzungen sowie Flüchtlingsströme an der Tagesordnung. (Siehe Wochenschrift Goetheanum Nr. 20/2001). Jeden Tag werden nach UNO-Angaben 1000 Menschen Opfer von Gewalttaten und 500.000 werden täglich vergewaltigt. Seit 1983 sind über 3,8 Millionen Menschen in gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet worden Die frühere amerikanische Außenministerin Madeleine Albright sprach angesichts dieser Zahlen und Verflechtungen vom „ersten Weltkrieg Afrikas“ mit fast 4 Millionen Toten. Nirgendwo sonst auf der Welt wurden seit dem 2. Weltkrieg so viele Menschen in einem so kurzen Zeitraum getötet. Den Nachrichtensendern war dies kaum eine Meldung über 3 Sekunden Dauer wert.
Wie wird Europa nun seiner zivilen, politischen und militärischen Gesamtverantwortung für Afrika gerecht, nachdem es mehr als ein Jahrhundert an Kriegen und Ausbeutung beteiligt war und davon profitierte? Bleibt Afrika ein Kontinent vorwiegend der Almosenempfänger, dessen Bürgerkriege und Lebensbedingungen weniger interessieren als dessen wertvolle Rohstoffe? Und wird mit den ersten freien Wahlen ein wirklicher Neuanfang gemacht, oder nur die Fassade eines funktionierenden Staates aufrechterhalten, während sich in Wirklichkeit das tödliche Chaos im Lande zu verschärfen droht? Ist das Land in diesem Zustand überhaupt für die Demokratie reif zu machen und bedarf es dazu militärischer oder ziviler Hilfe? Welche Perspektiven haben die Menschen in dem Land überhaupt?
Zur geschichtlichen Entwicklung: Kongo als Opfer brutalster Kolonialpolitik und heutiger Interessenpolitik
Der Kongo (bis 1967 Zaire) geht in seinen heutigen Grenzen auf die langjährige Kolonialmacht Belgien zurück, nachdem in der vorkolonialen Zeit bis zur Plünderung durch den portugiesischen Sklavenhandel mehrere Bantu-Reiche drei Jahrhunderte lang existierten. Nachdem die brutalste europäische Kolonialherrschaft nach Sklaven- und Zwangsarbeit schließlich 1960 auf Druck der antibelgischen Unabhängigkeitsbewegung endete – von den anfangs 20 Millionen Einwohnern waren zuvor zwischen 1880 und 1920 über 10 Millionen durch koloniale Gewaltverbrechen, Hunger, Entkräftung, Überarbeitung und Krankheiten gestorben - litt das Land nach einem durch westliche Intervention angeheizten Bürgerkrieg über drei Jahrzehnte unter der grausamen Diktatur von Mobutu. Zuvor war der erste frei gewählte Staatspräsident Lumumba von den USA und Belgien als „Kommunist“ verdächtigt und deshalb seine Tötung durch US-Präsident Eisenhower an den CIA angeordnet worden, die nach Folter durch ein belgisches Kommando vollstreckt wurde.
Der von den Kolonialmächten unterstützte Präsident Kasavubu wurde nach Bürgerkriegen durch den Putsch von Mobutu abgelöst, der damit die Demokratie für Jahrzehnte beendete und ein Privatvermögen von 4 Mrd. Dollar anhäufte. Er führte das brutalste, grausamste und korrupteste Gewaltregime in Afrika, unterstützt von den USA als militärisch Verbündete und durch Frankreich als zweite Schutzmacht – mit der Maßgabe, die Bodenschätze Zaires, insbesondere die Kupfervorkommen, dem Westen vorzubehalten. Während des zweiten Weltkrieges blühte der Kongo wirtschaftlich auf, weil es Rohstoffe für die alliierte Kriegswirtschaft und Uran für das US-amerikanische Atombombenprogramm lieferte.
1970 erklärte der Diktator Mobutu den Kongo zum Einparteienstaat und erklärte alle Bürger zu Mitgliedern der von ihm gegründeten Partei, bis dieser Einparteienstaat dann 1990 aus machttaktischen Gründen endete. Das Ende der Diktatur Mobutos 1997 nach seinem Sturz und seiner Flucht nach Marokko war der Beginn einer folgenschweren Krise nach Schüren ethnischer Konflikte und Kämpfen von Rebellengruppen mit Millionen Toten und Flüchtlingsströmen von Hunderttausenden Hutu nach dem Völkermord im benachbarten Ruanda.
Nach dem Sturz von Mobutu begann die Dynastie von Kabila, und Zaire wurde wieder in Kongo umbenannt. Da Ruanda und Uganda nicht an einer stabilen Regierung im Kongo interessiert waren, setzten sie den Kongo-Krieg Ende der 90-er Jahre in Gang. Kabila holte sich unterstützende Militärhilfe aus Simbabwe, Angola, Namibia, Tschad und dem Sudan, die dafür Anteile an kongolesischen Diamantenminen und Rohstoffen erhielten. Erst im Februar 2000 entsandte der UNO-Sicherheitsrat Blauhelm-Soldaten in den Kongo. Nachdem Kabila 2001 einem Attentat zum Opfer fiel, übernahm sein Sohn Joseph sofort „per Faustrecht“ die Amtsgeschäfte. Er wehrte sich gegen mehrere Revolten, Aufstände und Putschversuche und hielt sich bis heute an der Macht.
Mit seiner Allparteienregierung der früheren Kriegsparteien wird Präsident Kabila finanziell massiv vom Ausland unterstützt. Kongos Staatshaushalt von über 2,2 Mrd. Dollar in 2006 wird überwiegend von ausländischer Entwicklungshilfe finanziert. Kurz vor den Ende Juli 2006 geplanten freien Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo hat jedoch der Internationale Währungsfond (IFW) die Allparteienregierung unter Kabila in die Mangel genommen und seine Zusammenarbeit mit dem Kongo eingestellt: Wegen der Korruption und der Erfolglosigkeit der Wirtschaftspolitik wird das Land bis zur Einsetzung einer gewählten Regierung keine ausländische Budgethilfe mehr bekommen; eine Rate von 40 Mio. Dollar für die Armutsbekämpfung wird nicht mehr gezahlt, da die Geldgeber dieser Regierung plötzlich nicht mehr trauen und ein Überwachungsmechanismus fehlt.
Soll nun vor der Weltöffentlichkeit der Schein einer kritischen Distanz zum Regime Kabila erweckt werden, um kurz vor dem Wahltermin Neutralität zu demonstrieren? Ende Mai hatten kritische Demonstrationen der größten kongolesischen Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt) stattgefunden, zusammen mit den zivilgesellschaftlichen Gruppen und der katholischen Kirche. Sie fordern einen politischen Dialog der internationalen Gemeinschaft, wie der Kongo nach Ablauf der Amtszeit der Allparteienregierung am 30. Juni bis zum Wahltag Ende Juli und danach regiert wird. Die UDPS, die den gewaltfreien Widerstand gegen die Mobutu-Diktatur angeführt hatte und ihre Hochburg im Diamantenfördergebiet Kasai im Osten Kongos hat, will die Wahlen wegen der unzureichenden Organisation und Vorbereitung boykottieren und hat bis zur Schließung der Wahllisten keine Wahlvorschläge eingereicht, zumal die noch amtierende Regierung schon jetzt mit polizeilicher Hilfe die Oppositionellen einschüchtertet und sich ein schmutziger Wahlkampf anbahnt. Neue Rebellion und Krieg vor allem in Kogos Osten sind damit vorprogrammiert.
Kongos Regierung will zudem die Privatgarden von Politikern in die Staatsarmee eingliedern, einer im Aufbau befindlichen neuen nationalen Armee, in der Kämpfer aus allen früheren Bürgerkriegsparteien zusammengemischt sind. Reformpolitiker fordern die Entwaffnung von Privatarmeen und Milizen in der Hauptstadt Kinshasa vor den Wahlen, einschließlich der 15.000-köpfigen Präsidialgarde von Kabila und der Privatgarden hoher kongolesischer Politiker, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Gefordert wird zudem von Menschenrechtlern an die Adresse der internationalen Gemeinschaft ein politischer Dialog zwischen den Wahlkämpfern, deren Kampftöne sich dramatisch verschärfen und bewaffnete Auseinandersetzungen im Wahlkampf befürchten lassen. Hinzu kommen sich ausbreitende gewalttätige Jugendgruppen. Zivilgesellschaftliche Aktivisten des Netzwerkes „Natürliche Ressourcen“ (RRN) wurden in Lubumbashi, in Kongos mineralienreicher Südprovinz Katanga, mit dem Tod und Mord bedroht wegen ihrer Kritik an der Investorenpolitik Kabilas und den schlechten Arbeitsbedingungen in Katangas Minen.
Zur politischen und militärischen Situation: Ein Militärauftrag ohne Konzept und Ziel?
Zur Konsolidierung des Landes mit seiner derzeitigen Allparteienregierung war zuvor im Mai vorigen Jahres eine neue Verfassung (mit dem Ziel stärkerer Dezentralisierung des Landes und Verringerung der Macht des Staatsoberhauptes) verabschiedet und in einer Volksabstimmung eindrucksvoll bestätigt worden. Die ursprünglich für das Jahr 2005 vorgesehenen demokratischen Neuwahlen wurden wegen des Referendums zunächst verschoben auf den 29. April 2006, dann auf Druck der internationalen Gemeinschaft und der Oppositionsparteien im Kongo nochmals bis zum 30. Juli. Im ersten Wahlgang soll nun der Präsident neu gewählt werden und anschließend das Parlament. Es wollen 48 Präsidentschaftskandidaten und 3043 Parlamentskandidaten antreten.
Es wird aber befürchtet, dass die Wahlen und insbesondere die Dezentralisierung des Landes den Keim für neue militärische Konflikte legen und den Krieg neu befeuern könnten. Die landesweite Wahl in 500 Wahlkreisen wird als Auslöser für einen möglichen Flächenbrand gesehen. Denn die Rebellengruppen und Bürgerkriegsparteinen haben trotz Waffenstillstands nicht ihre Waffen niedergelegt oder abgegeben: 300.000 nichtstaatliche Kämpfer einschließlich Kindersoldaten stehen vor dem Wahlzeitpunkt 2006 noch unter Waffen, zuzüglich Privatarmeen von „Provinzfürsten“ und Auslandsfirmen sowie verfeindete und bewaffnete Stämme. Daneben gibt es mordende und plündernde Banden. Zudem halten sich geflüchtete Hutu-Rebellen im Kongo auf – eine Gefahr für das benachbarte Ruanda.
Dem stehen 16.000 Soldaten der Präsidenten-Garde Kabilas und etwa 6000 bewaffnete Anhänger des früheren Diktators Mobutu gegenüber. Momentan sind im Rahmen einer UNO-Sondermission 17.000 Militärbeobachter und Blauhelm-Soldaten vor Ort, darunter ein deutsches Erkundungskommando; eine Ausweitung hat der UN-Sicherheitsrat abgelehnt. Denn schon jetzt handele es sich um die weltgrößte Friedensmission seit dem Ende der Apartheid in Südafrika.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete deshalb die geplanten Wahlen im Kongo wegen der Größe und Komplexität des Landes als „Albtraum“. Er hatte noch das UN-Desaster in Ruanda und Darfur in Erinnerung, mit schlecht ausgestatteten UN-Soldaten der Drittländer, so dass 300.000 Ermordungen und 2 Millionen Vertriebene nicht verhindert werden konnten. Und die deutsche Bundeswehr, mit Auslandseinsätzen von 6500 deutschen Soldaten in Afghanistan, auf dem Balkan und im Sudan erinnert sich noch an den gescheiterten Somalia-Einsatz von 1992. Andererseits stellen sogar Länder wie Pakistan 3000 von insgesamt 6000 UN-Soldaten im Kongo, ferner Bangladesch, Südafrika, Nepal und Uruguay 1000 – können sich die EU-Industriestaaten im Kongo verweigern?
Doch über die moralische Verpflichtung hinaus habe Europa laut EU ein eigenes starkes Interesse an einem friedlichen und demokratischen Afrika. Schon 2004 habe die EU ein stärkeres sicherheitspolitisches Engagement in Afrika bei zusammenbrechenden Staaten verabredet und im Dezember 2005 eine Afrika-Strategie festgelegt: Ohne Frieden keinen nachhaltige Entwicklung. Deshalb hat die UNO nunmehr Europa um Unterstützung gebeten, weil die EU als ernst zu nehmende Friedensmacht und UNO-Partner auftreten möchte. Bundeswehreinsätze auf dem afrikanischen Kontinent unter EU-Mandat seien künftig im deutschen und europäischen Interesse, so die Auffassung der deutschen Bundesregierung und des Verteidigungsministers, (der den Auftrag der Bundeswehr sogar generell erweitern möchte um internationale Einsätze zur wirtschaftlichen Rohstoffsicherung, ganz im Sinne der Energie- und Rüstungslobby?). Entschlossenes Eingreifen der EU und der internationalen Gemeinschaft im Kongo sei unverzichtbar, wenn ein afrikanisches Leben nicht weniger zählen soll als ein europäisches, so lautet offiziell die humanitäre Begründung, die den Bundestag am 1. Juni zur Zustimmung mit großer Mehrheit bewegte.
Zugleich zeigt sich die EU intolerant gegenüber Kritikern an den zweifelhaften und schlecht vorbereiteten Kongo-Wahlen und Begleitumständen unter dem Diktator Kabila im derzeitigen Zustand des Landes, denn Europa und insbesondere Frankreich ist insgeheim an einer starken Regierung unter Kabila interessiert – obwohl sein Sieg mit einigen Opportunisten nur die Staats-Fassade aufrecht hielte, während seine Gegner lediglich abtauchen. Denn es funktioniert nicht einmal Kabilas Diktatur ordentlich, sondern Korruption und Raub sind Alltag und nicht Ausnahme.
Kabila-treue Zeitungen warnen seit Wochen vor einem drohenden Putschversuch durch Vizepräsident Jean-Pierre Bemba, einstiger Rebellenführer mit eigenen Truppen. Als weiterer Präsidentschaftskandidat ist Oscar Kashala aufgetreten, ein aus dem US-Exil zurückgekehrter Geschäftsmann, der durch Diamantenhandel ein Vermögen verdient hat, durch das er sich im Wahlkampf (mit denkbarer Unterstützung der USA) profilieren könnte. Anhänger seiner Leibgarde sind jedoch durch die Polizei auf Geheiß von Kabila verhaftet worden. Die Häuser von zehn weiteren Oppositionsführern und Präsidentschaftskandidaten wurden kürzlich umstellt und abgeriegelt. Zudem wurden 32 ausländische Söldner verhaftet, Angestellte der international agierenden südafrikanischen Wachschutzfirma „Omega“ mit Angestellten aus den USA, Südafrika und Nigeria.
Insgesamt sollen nun 1700 bis 2000 statt ursprünglich 1500 EU-Soldaten der EU-Eingreiftruppe „Eufor“ für den Kongo abgestellt werden, jeweils 900 statt ursprünglich 500 aus Deutschland und Frankreich sowie je 100 aus Spanien und Polen und je 50 aus Schweden und der alten Kolonialmacht Belgien. Auch Italien, Griechenland, Österreich, Irland, Großbritannien und Portugal wollen noch Soldaten entsenden und Ungarn und Finnland wollen Kräfte für das strategische Hauptquartier in Potsdam – künftig Kern eines Hauptquartiers für militärische Operationen der EU - entsenden. 250 bis 350 deutsche Soldaten sollen in Nähe des Flughafens von Kinshasa stationiert werden und weitere 250 auf dem Marineschiff „Berlin“, mehrere Hundert Kilometer von Kinshasa entfernt. 1100 Mann sollen in Gabuns Hauptstadt Libreville in Reserve stehen, dazu 200 Spezialtruppen aus Frankreich, Schweden und Portugal in der Hafenstadt Port-Gentil. Pikanterweise errichtet die einstige Kolonialmacht Belgien die Militärbasis für die rund 2000 Mann umfassende Eufor und hat bereits ein Schiff mit vier hochmodernen unbemannten Aufklärungsflugzeugen losgeschickt. Diese vier belgischen Spionageflugzeuge sind die Vorhut der geplanten EU-Eingreiftruppe.
Löst aber der Militäreinsatz wirklich die Demokratie-Probleme im Kongo und die Sicherheit der kongolesischen Bevölkerung , die Deutschland als Motiv seiner zunächst 4-monatigen Beteiligung darstellt? Ist es nicht dreist, der deutschen Öffentlichkeit glauben zu machen, 780 Soldaten der Bundeswehr und nur 200 Wahlbeobachter könnten durch ihre Anwesenheit viel bewirken, ohne dass der Militärauftrag (ohne geografische Beschränkungen) alsbald durch einen viel weitergehenden abgelöst wird, wie das Beispiel Afghanistan belegt, wo anfangs die deutschen Soldaten in Kabul nach einem Jahr abgelöst werden sollten? Die Bundeswehr wird die Begrenzung auf Kinshasa nicht durchhalten könne, erklärte auch der Militärexperte Bernhard Gertz vom Bundeswehrverband. Und der CDU-Verteidigungsexperte Karl-Georg Wellmann meinte nach einer Kongo-Reise, man müsse die deutsche Öffentlichkeit auf Auseinandersetzungen vorbereiten.
Damit hat die EU nach ihrem grundsätzlichen und schließlich formellen „Ja“ der 25 Mitgliedsstaaten einen politischen Entscheidungs- und Gewissenskonflikt vor allem in Deutschland ausgelöst, wo Afrika bislang ein vergessener Kontinent war. Deutschland gibt nur 1,5 Mio. € für zivile Hilfe im Kongo aus, aber jetzt ein Vielfaches für die militärische Hilfe. Die Schätzungen reichen von 20 bis 64 Mio. €. Menschenrechtler und Zivilgesellschaftler warnen: Wenn EU-Soldaten nicht konsequent die Bevölkerung vor der Regierung schützen, werden sie als bloße Helfer der Mächtigen angesehen. Zivile Kriseninterventionen sollten deshalb Vorrang haben vor militärischen Einsätzen. Und ist es akzeptabel, sich zusammen mit einer ungeliebten Kolonialmacht wie Frankreich mit an die Spitze der EU- oder Blauhelmtruppe zu stellen, wenn sich stattdessen viel besser das neutrale Südafrika dafür anbietet? Zudem trieben auch Mörderbanden deutscher Söldner im Kongo ihr Unwesen, unter Anführung des aus den Medien bekannten „Kongo-Müller“, in einem Land mit Chaos und Gewalt ohne funktionierende staatliche Strukturen.
Entwicklungsorganisationen fordern anstelle des Militäreinsatzes eine längerfristige umfassende Strategie der EU für die Stabilisierung des Kongo. Denn neben einer Zentralregierung sind vor allem funktionierende lokale und regionale Verwaltungseinrichtungen in den Provinzen nötig. Eine Zentralregierung kann nicht die Probleme und Konflikte in den Provinzen und im brodelnden Osten des riesigen Landes lösen. Doch die Kanzlerin, der deutsche Außenminister und sogar die Entwicklungshilfe-Ministerin befürworten ebenso wie der deutsche Bundespräsident den unpräzisen Kongo-Einsatz deutscher Soldaten bei der neuen Regierungsbildung – ohne jegliches Afrika-Konzept oder eine politische Strategie für Gesamtafrika.
Offiziell sollen die deutschen Bundeswehrsoldaten, die laut Grundgesetz eigentlich nur zur Landesverteidigung abgestellt sind, über ihre „symbolische Anwesenheit“ hinaus eventuellen Bürgerkrieg und Flüchtlingswellen abwehren sowie Wahlbeobachter evakuieren und die „Lage stabilisieren“. Deshalb bemüht sich der deutsche Verteidigungsminister Jung um einen Kampfauftrag gegen bewaffnete Milizen, der bislang noch fehlt. Doch lassen sich mit 500 Bundeswehrsoldaten ohne Französisch-Sprachkenntnisse freie Wahlen im Bürgerkriegsland Kongo sichern? so fragen skeptische Politiker und Militärexperten. Was passiert mit den deutschen Soldaten, wenn sich das Land nach dem Wahltag durch oppositionelle Rebellen einschließlich Kindersoldaten in einen Hexenkessel verwandelt? In Kongos Hauptstadt Kinshasa mit fast 10 Millionen Einwohnern sollen die deutschen Soldaten vor allem den Flughafen sichern. Solche Aufträge fallen im politischen Sprachgebrauch unter „Erneuerung der Bundeswehr“, also zur Abkehr von der verfassungsmäßigen Landesverteidigung hin zu problematischen Auslandseinsätzen. Angeblich lässt sich nur so der Export von Terrorismus, Kriminalität, und Flüchtlingsströmen aus Afrika verhindern.
Zu den Interessenkonflikten und Abhängigkeiten: Die zweifelhafte Rolle Frankreichs im Kongo
Kritiker fragen: Soll Deutschland von seiner Auslands-Einsatzzentrale in Potsdam aus als „nützlicher Idiot“ dabei helfen, Belgiern und Franzosen wieder mehr Gewicht im Kongo zu verschaffen? Denn Frankreich und Deutschland sollen die Truppen zusammen führen, nachdem die Franzosen Ende 2005 den Plan für die Entsendung einer EU-Truppe nach Kongo vorlegten, weil sich französische Unternehmen den maßgeblichen Anteil an den gigantischen Kupferminen des Landes sichern wollen. Präsident Jaques Chirac drängte Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang 2006 zu einer deutschen Führungsrolle, sorgte aber mit den Stationierungen in Gabun für die tatsächliche Schirmherrschaft Frankreichs.
Zu Zeiten Mobutus, als Kongo noch Zaire hieß und der französiche Präsident Diamanten von Mobutu geschenkt bekam, betrieb Frankreich dort einen neokolonialen Kurs mit militärischen Interventionen. Französische Berater führten faktisch Militär und Verwaltungsapparate, wie auch heute noch in Togo und anderswo. Französische Unternehmer und Diplomaten führten die Außen- und Außenhandelspolitik ihrer Exkolonien, deren Währungsreserven bei der französischen Zentralbank lagen. Als im Kongo Millionen Menschen starben, war Frankreich im UN-Sicherheitsrat der eifrigste Verbündete Kabilas und schrieb traditionell alle UN-Resolutionen zum Kongokrieg. Es versuchte, die internationale Kritik auf die Gegner Kabilas zu richten. Als Kabilas Sohn sich unrechtmäßig zum Nachfolger des ermordeten Vaters erklärte, bekam er als erstes Unterstützung von Frankreichs Präsidenten. (Auch in Togo hatte Chirac den dortigen Diktator voriges Jahr zum „besten Freund seiner Familie“ erklärt.) Zudem ist Frankreich auf militärischer Ebene eifriger tätig geworden als jeder der anderen großen ausländischen Partner des Landes, vor allem beim Aufbau von Kongos neuer Armee mit französischen Generälen als Beratern im Generalstab, ferner beim Aufbau der kongolesischen Polizei. Die kongolesischen Sicherheitskräfte werden aber schwere Übergriffe gegen die Zivilgesellschaft vorgeworfen. Und auch im Waffenhandel mit Kongo bleibt Frankreich hinter den Kulissen sicher nicht untätig.
Die Französich-kongolesischen Beziehungen und Staatsbesuche sind zuletzt so eng wie selten zuvor. Frankreich ist einer der größten Abnehmer kongolesischer Exporte und schwächt internationale Kritik an Kabila immer wieder ab. Durch Beraterverträge beeinflusst Frankreich massiv die Politik im Kongo und wirkte an der Präsidialverfassung mit. Auf ökonomischer Ebene läuft die Einflussnahme ähnlich ab. Ein französisches Consultingbüro berät das Management des größten Unternehmens in Kongo, dem die gigantischen Kupfer- und Kobaltminen in Katanga gehören, deren Sanierung als Schlüssel zur Gesundung von Kongos Wirtschaft gilt. Auch die Zusammenarbeit mit der Weltbank ist dabei nicht ganz frei von Interessenkonflikten, denn das gleiche französische Consultingbüro „Sofreco“ soll zugleich das wichtigste Weltbank-Wiederaufbauprogramm im Kongo evaluieren. Frankreichs Honorarkonsul in Katangas Hauptstadt Lubumbashi ist mit seiner Forrest-Unternehmensgruppe der größte ausländische Arbeitgeber in ganz Kongo und herrscht wie ein Staat im Staate. Während der Amtszeit Kabilas gingen überdies ca. 70% aller Bergbaukonzessionen an private Partner im Ausland zu Bedingungen, bei denen für die lokale Bevölkerung nur ein paar Brosamen bleiben.
Zur wirtschaftlichen Situation: Düstere Zukunftsperspektive für die Menschen des rohstoffreichsten Landes?
Es wäre naiv, zu glauben, bei der konzeptionslosen Militärmission im Kongo ginge es nach den hier geschilderten Vorgeschichten einzig und allein um demokratische und humanitäre Motive der Friedensstiftung. Denn der Kongo als größtes afrikanische Land südlich der Sahara, siebenmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, hat extreme Rohstoffreichtümer (Kupfer, Blei, Zink, Uran, Gold, Diamanten, Erdöl, Kautschuk, Palmöl, Kaffee, Tropenhölzer, Erze), um deren Ausbeutung Banden und Privatarmeen sowie korrupte Regierungsmitglieder ebenso kämpfen wie ausländische Konzerne und Staaten, allen voran die alten Kolonialmächte. Letztlich geht es im Kongo um die Rohstoffsicherung für Europas Industrie, die man nicht den Amerikanern überlassen möchte. Seit die einstige belgische Kolonie unabhängig wurde, ist der Kampf um die Kontrolle über die enormen Bodenschätze der wahre Grund für die politische Instabilität und für den europäischen Militäreinsatz.
Die Flugzeugindustrie will sogar das Afrika-Projekt des Militäreinsatzes im Kongo mitfinanzieren, weil sie auf Kongos Bauxit-Vorkommen angewiesen ist. Auch Deutschland ist wirtschaftlich nicht ganz uninteressiert oder unbeteiligt im Kongo. Die deutsche Holzfirma Danzer beutet Kongos Tropenwälder aus. Ein seit 2 Jahren still liegendes Bergwerk im ostkongolesischen Krisengebiet (deutscher Mehrheitsanteil 70% an der Mine in Nord-Kivu) ist zum Zankapfel zwischen deutschen und österreichischen Firmen geworden, die beide Ansprüche geltend machen. Denn in dieser Mine wurden zeitweilig 3000 t Pyrochlor-Erze zur Gewinnung von Niobium für die Computertechnologie gewonnen. Die Mine entstand damals durch die Nürnberger Gesellschaft für Elektro-Metallurgie (GfE). Von den verworrenen Wegen und Umwegen der deutschen, französischen und europäischen Rüstungslieferungen nach Afrika erst gar nicht zu reden.
Die USA und China wollen sich die wichtigen Bergbauvorkommen im Kongo sichern, nach der schon zurückliegenden Plünderung Zaires durch die USA, während Frankreich mit seinem Einsatz im Kongo seinen früheren Einfluss zurückgewinnen und den der USA zurückdrängen möchte. Die erklärte Strategie der Weltbank ist es, den Kongo vor allem durch Großinvestitionen in den Bergbau wieder aufzubauen. Diese heterogene Interessenlage kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die indirekte militärische Wahlhilfe für Kongos (zum Demokraten beförderten) Diktator Kabila – in einem von Chaos und Verfall bedrohten Land - für die meisten Staaten und Konzerne von eigennützigem Interesse ist. Ob die 60 Millionen Menschen im Kongo durch einige hundert oder tausend auswärtige Soldaten unter EU-Mandat wirksam geschützt werden können vor den Hunderttausenden bewaffneten Bürgerkriegs-Rebellen – und ob man ihnen nach dem Wahltag einen wirtschaftlichen Ausweg aus der bitteren Armut eröffnet oder das Land weiter von globalen Mächten ausgebeutet wird – das steht für die Schutzmächte eher an zweiter Stelle, so ist zu befürchten. Das aber wäre ein falsches Zeichen für europäisches Engagement.
Die neue EU-Verfassung sollte für ihre internationale Politik und ihre Entwicklungspolitik mit Blick auf den afrikanischen Armutskontinent Leitziele aufnehmen, die zu einer völlig neuen, nicht neokolonialen und humanitären Afrika-Politik verpflichten. Denn weiterhin verletzt Europa dort die Menschenrechte und die Menschenwürde, auch wenn die anstehenden Miltäreinsätze anstelle massiver ziviler und wirtschaftlicher Hilfsmaßnahmen das Gegenteil vorgeben. Von den eigentlichen Problemen lenkt der Militäreinsatz im Kongo jedenfalls ab. Er droht, ein „Mandat für das Chaos“ zu werden in einer Wahlsituation des gegenseitigen Misstrauens. Soldaten als „Wahlbeschützer“ auszugeben, aber tatsächlich in eine kriegsähnliche Unordnung zu schicken, erscheint bar jeder Verantwortung. Läßt Deutschland sich auf ein militärisches Abenteuer ein, das Soldatenleben für unerklärte Politk rsikiert oder für die oder neokoloniale Interessenpolitik einzelner Nachbarländer?
Der ehemalige Verteidigungs-Staatssekretär Walther Stützle hinterfragt vor dem Hintergrund des Wettlaufes um Rohstoffe den Kongo-Einsatz der Bundeswehr und kritisiert scharf das Fehlen einer deutschen Afrika-Strategie: „Außenpolitische Gedankenfaulheit mit dem Einsatz von Soldaten zu überspielen, ist folgenschwere Unvernunft“. Zu verschweigen, dass eine langwierige militärische Afrika-Präsenz gemeint sei, grenze an Selbstaufgabe parlamentarischer Verantwortlichkeit, kritisiert er scharf den deutschen Bundestag. Dieser müsse eine ehrliche und maßvolle Debatte über eine plausible Afrika-Politik beginnen. Doch es schein so, als müsse stattdessen die Zivilgesellschaft in Europa auch diese Diskussion vorantreiben..