Wilhelm Neurohr

Globalisierung: Zu den Folgen der größten Völkerwanderung aller Zeiten

Von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen, vollzieht sich derzeit von China nach Afrika die größte Völkerwanderung, die die Menschheit je gesehen: Bereits 750.000 Chinesen haben sich in Afrika angesiedelt und bis zu 300 Millionen Chinesen werden längerfristig erwartet. Afrikaner befürchten, dass China im geheimen plant, den gesamten schwarzen Kontinent in eine Kolonie zu verwandeln. Die großzügige chinesische Hilfe für das rohstoffreiche Afrika droht in Eigennutz auszuarten. Wie reagieren Europa und Amerika und die globale Zivilgesellschaft auf den chinesisch geprägten Kulturwandel und Lebenswandel in Afrika.

Der neue amerikanische Präsident Barack Obama hat in seiner beeindruckenden Antrittsrede vor der Weltöffentlichkeit auch ein Gelöbnis zugunsten der armen Nationen in der dritten Welt abgelegt, das vor allem den Afrikanern zu Hoffnungen Anlass gibt: „Wir geloben den Menschen armer Nationen, dass wir an eurer Seite eure Bauernhöfe zum Erblühen bringen und sauberes Wasser fließen lassen; wir geloben, hungernde Körper zu ernähren und hungrige Geister zu füttern. Und den Staaten, die wie der unsrige eine verhältnismäßig große Fülle genießen, sagen wir, wir können uns Gleichgültigkeit jenseits unserer Grenzen nicht leisten; noch können wir das ohne Effekt auf die Ressourcen der Welt. Weil sich die Welt geändert hat, müssen wir uns mit ihr ändern.“ Da die Welt kleiner werde, „möge sich unsere gemeinsame Menschlichkeit offenbaren“ und die Stammesbindungen sich bald lösen.

Eine neue Ära der globalen Verantwortung

Die von Obama angekündigte neue Ära der globalen Verantwortung gilt auch für die Europäer und ihre früheren Kolonialmächte, die ihre Rohstoffinteressen auf dem afrikanischen Kontinent weiterhin wahrnehmen, gelegentlich als Entwicklungshilfe kaschiert oder mit Rüstungslieferungen unterstützt Nachdem sich seit dem letzten EU-Afrika-Gipfel in 2008 die Afrikaner enttäuscht von Europa und Amerika abgewendet haben und die verstärkte Zuwendung durch die Chinesen angenommen haben, gehen bemerkenswerte Wandlungen auf dem afrikanischen Kontinent vor sich, im positiven wie im negativen:

Der Handelsumsatz zwischen Afrika und China hat sich in den letzten 10 Jahren von 5 Millionen € jährlich auf 6 Milliarden € heute vertausendfacht, wie in der Zeitschrift „Africa live“ nachzulesen: „Lukrative Verträge für den Kauf von Rohstoffen wie Öl. Platin, Gold und Mineralien werden ausgehandelt, neue Botschaften und Flugrouten eröffnet.(…) Mehr als 1600 km chinesischer Gleise kreuzen neuerdings den afrikanischen Kontinent und transportieren Milliarden Tonnen illegal geschlagenen Holzes, Diamanten und Gold.“ Vom Staat finanzierte chinesische Kulturzentren („Konfuzius Institute“) schießen überall in Afrika aus dem Boden. Die Chinesen bauen Straßen, Staudämme und Schulgebäude und in Äquatorialguinea helfen chinesische Firmen dem Diktator beim Bau einer komplett neuen Hauptstadt mit glänzenden Wolkenkratzern und Chinarestaurants. China leiht den Regierungen in Afrika Geldbeträge in Milliardenhöhe, das bei der hungernden Bevölkerung nicht ankommt, ohne damit die Forderung nach Einhaltung von Menschenrechten zu verbinden, wie die Europäer.

Die finstere Kehrseite des chinesischen Engagements in Afrika

Der finsterer Aspekt dieser chinesischen Allgegenwart mit den wehenden roten chinesischen Flaggen quer durch Afrika, von Nigeria im Norden über Angola im Westen sowie Tschad und Sudan im Westen und Sambia, Simbabwe und Mosambik im Süden: In China hergestellte Kriegsflugzeuge bombardieren Gegner; Waffen und Granaten Made in China fördern unzählige Bürgerkriege, deren Auslöser oft der Rohstoff ist, deren Abnehmer wiederum China ist. Simbabwes Präsident Mugabe setzt bereits chinesische Helikopter und Jagdflugzeuge gegen sein Volk ein, da China seine Geschäfte pragmatisch abwickelt ohne die Verknüpfung von Politik und Geschäft. Die Chinesen laden ganze Schiffsladungen billigen Spielzeugs und billiger Kleidung „Made in China“ in Afrika ab, dessen Märkte mit diesen Importwaren überschwemmt werden. Afrikanische Textilfirmen müssen schließen. Den Einheimischen wird beigebracht, Geschäfte in Chinesisch zu tätigen.

Auf die Umwelt wird keine Rücksicht genommen: Massive Dämme wurden gebaut und dadurch Naturreservate geflutet. Das Land ist vernarbt durch riesige chinesische Minen, in denen den Arbeitern weniger als ein Euro für die Förderung von Erz und Mineralien gezahlt wird. Ganze Wälder werden dabei zerstört und 70% des Holzes von China abgenommen. Es gab bereits Aufstände afrikanischer Arbeiter gegen die Invasion chinesischer Arbeiter. Die großen afrikanischen Städte haben inzwischen ihr eigenes „Chinatown“ mit exklusiv umzäunten Siedlungen, in denen es nur chinesisches Essen gibt. Die neue chinesische Elite in Afrika ist überall zu sehen: „Sie shoppen in ihren eigenen teuren Boutiquen, fahren Limousinen von Mercedes und BMW und schicken ihre Kinder in teure Privatschulen“.[1]

Der chinesische Hunger nach Land, Rohstoffen, Energie und Nahrung

China stellt bereits ein Fünftel der Weltbevölkerung auf weit weniger als der Hälfte der Landfläche Afrikas. Sein Ölverbrauch ist im letzten Jahrzehnt um das 35fache angestiegen und Afrika liefert inzwischen ein Drittel davon. Peking verbraucht 80% des Weltvorkommens an Stahl, Kupfer und Aluminium und benötigt die afrikanischen Rohstoffe. Zudem sucht es wegen des Booms in seinem Land neue Märkte für den Vertrieb der Billigware, die wegen fehlender Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften in Afrika gut absetzbar ist. Zudem leidet China an Übervölkerung, so dass die Afrikaner argwöhnen, dass die chinesische Regierung im Rahmen einer langfristigen Strategie Afrika zu einem Satellitenstaat machen wolle. Chinesische Experten halten die Entsendung von bis zu 300 Millionen Chinesen nach Afrika für erforderlich, um seine eigenen Überbevölkerung und Umweltverschmutzung zu lösen. Eine chinesische Kolonie ist ohne großes Aufheben im Entstehen, denn die Chinesen sind gekommen, um zu bleiben.

Wie reagieren Europa und Amerika sowie andere Erdteile auf diese Entwicklung, die in besonderem Maße die Probleme und Herausforderung der Globalisierung mit der globalen Verantwortung sichtbar machen? Nach Jahrhunderten von Schmerz und Krieg verdient Afrika jedenfalls Besseres, als weiter ausgeplündert zu werden, in Anlehnung an die imperialistische Kolonialisierung aus dem Westen im 18. und 19.Jahrhundert. Wie kann unter den veränderten Umständen die Afrika-Entwicklungshilfe aus der übrigen Welt aussehen? Und wie ist aus geisteswissenschaftlicher Sichtweise die damit verbundene kulturelle Veränderung der afrikanischen Kultur auf dem einstmals wunderschönen Kontinent als „Wiege der Menschheit“ zu würdigen? Was wird unter den geschilderten Umständen von der alten chinesischen Weisheit bereichernd auf Afrika und die Welt abfärben? Das sind offene Fragen.


[1] Ausgabe 1/2009 von „Africa live“