Wilhelm Neurohr

an den Kreistag zur Sitzung am 22.06.09 (Haushaltsberatungen) - beschlossen und eingebracht vom Personalrat der Kreisverwaltung am 10.06.09 im Hinblick auf den „Tag des öffentlichen Dienstes“ am 23. Juni

Die dramatische Haushaltslage des Kreises Recklinghausen und seiner Städte, die sich immer weiter zuspitzt, macht sichtbar:

Mitten in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik trifft es den ohnehin belasteten Kreis Recklinghausen und seine Städte durch drastisch steigende Sozialkosten, sinkende Steuereinnahmen und unzureichende Finanzzuweisungen mit voller Wucht!

Daraus ergeben sich die nachfolgenden Gefährdungen und Forderungen:

  • Das öffentliche und soziale Leben und die Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger sowie damit auch der soziale Frieden im Vestischen Kreis werden dadurch gefährdet. Der Vestische Kreis verliert damit an Standort- und Lebensqualität und wird immer stärker von Arbeitslosigkeit, privater wie öffentlicher Armut und Verschuldung sowie Abwanderung an den Abgrund geführt! Diese endlose Abwärtsspirale ist nicht länger hinnehmbar, sondern ein Umdenken und entschlossenes Handeln und Gegensteuern ist jetzt gefordert!
  • Die „kommunale Familie“ kann der Schuldenfalle aus eigener Kraft nicht entkommen. Die Abwärtsspirale ist auch mit weiterer Haushaltskonsolidierung nicht aufzuhalten. Wer angesichts der aktuellen Zahlen und Prognosen behauptet, der Kreis könne seinen Haushalt aus eigener Anstrengung erfolgreich konsolidieren, dem mangelt es an Sachverstand! Stattdessen benötigt der Kreis mit seinen Städten Geld für kommunale Investitionen und für qualifiziertes Personal!
  • Bund und Land sowie der RP als Kommunalaufsicht und die GPA (Gemeindeprüfanstalt) müssen deshalb die Brisanz der außergewöhnlichen Situation erkennen. Deren wenig hilfreichen Anordnungen und Empfehlungen zum Schuldenabbau führen in die „Vergeblichkeitsfalle“ und sind grundlegend zu überdenken! Andenfalls kann sich der Kreis dem nur widersetzen und verweigern!
  • Eine sofortige Inangriffnahme einer wirksamen und nachhaltigen Gemeindefinanzreform ist unverzichtbar und darf nicht länger „auf die lange Bank geschoben“ werden. Die verfassungswidrige Unterfinanzierung der Kreise und Städte in den sozialen Problemregionen ist nicht länger hinnehmbar! Sie gefährdet die kommunale Selbstverwaltung und die demokratischen Gestaltungsspielräume des Kreistages und der Stadträte vor Ort. Die Kreise und Kommunen sind aber für Staat und Wirtschaft mindestens so „systemrelevant“ wie die Banken.

Appell und Aufforderung an den Kreistag:

Weder die Bürgerinnen und Bürger noch die Beschäftigten der Kommunalverwaltungen wollen durch weitere Einbußen die Zeche zahlen für eine verfehlte Finanz-, Steuer- und Konjunkturpolitik!

Deshalb richtet der Personalrat den nachfolgenden Appell an die Kreistagsabgeordneten und den Verwaltungsvorstand mit der Bitte, sich dem anzuschließen:

  1. Die Personalvertretung wird weitere Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung nur dann mittragen, wenn eine wirksame Reform der Gemeindefinanzen uns aus der „Vergeblichkeitsfalle“ befreit. Eine zur Handlungsunfähigkeit führende „Schuldenbremse“ für die Kommunen über die Aufsichtsbehörden erscheint in der momentanen Situation widersinnig; dem muss mit entschlossenem Widerstand und zivilem Ungehorsam begegnet werden
  2. Der Personalrat begrüßt deshalb ausdrücklich das eingeleitete Verfahren des Kreises und der Städte vor dem Verfassungsgericht, um eine dem Verfassungsauftrag der Kommunen entsprechende Finanzierungsgrundlage zu erwirken. Der Personalrat erwartet darüber hinaus aber weitere politische Signale und kreative Aktivitäten des Kreistages für eine überfällige Gemeindefinanzreform im Interesse der Bevölkerung und der Beschäftigten.
  3. Der Personalrat ist der Auffassung, dass genug gespart worden ist und der Kreis nicht „kaputt gespart“ werden kann! Deshalb fordert er von den Mitgliedern des Kreistages: Lassen Sie nicht zu, dass Bevölkerung und Personal für eine Situation im Land haften müssen, die sie nicht verschuldet haben! Und lassen Sie nicht zu, dass der demokratisch gewählte Kreistag und die Stadträte als Vertretungsorgane der Bürgerschaft überflüssig werden, weil ohne Finanzausstattung nichts mehr zu entscheiden und gestalten ist. Sichern Sie das Überleben des Kreises und die Arbeits- und Ausbildungsplätze der Beschäftigten!
  4. Die Beschäftigten einschl. Beamten der Kreisverwaltung sind als Leistungsträger nach Jahrzehnten der Haushaltskonsolidierung und der Einkommenskürzungen nicht länger bereit, noch weitere drastische Stelleneinsparungen, Beförderungsstopps und Arbeitsverdichtungen hinzunehmen, da sie an den Belastungsgrenzen längst angelangt sind!
  5. Seit Jahren arbeitet das Kreispersonal über dem Limit bei steigendem Altersdurchschnitt und zunehmenden Erkrankungen, immer mit dem Versprechen, dass bald bessere Jahre folgen werden. Stattdessen passiert das Gegenteil und die Situation verschlimmert sich weiter. Nehmen Sie deshalb als Kreistag die Fürsorgepflicht für die Beschäftigten ernst, da diese die letzten noch verbliebenen Dienstleistungen für die Bürgerschaft trotz widriger Umstände in guter Qualität sicherstellen müssen.
  6. Der Personalrat ruft den Kreistag in seiner politischen Verantwortung auf: Verweigern Sie sich dem Diktat der Bezirks- und Landesregierung! Verhindern Sie die weitere Einschränkung öffentlicher Leistungen und deren weitere Privatisierung zu Lasten der Schwachen und Bedürftigen! Der bisherige aufgezwungene Sparkurs hat mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht! Deshalb erstrebt der Personalrat eine Dienstvereinbarung zur Haushaltskonsolidierung, die zur sozialen Ausgewogenheit beiträgt.
  7. Der Personalrat appelliert an Kreistag und Verwaltungsvorstand, nicht in vorauseilendem Gehorsam alle erdenklichen Sparmaßnahmen umzusetzen, bevor nicht die Grundsatzfrage der Gemeindefinanzen geklärt wird. Zwingen Sie Land und Bund, endlich politisch zu handeln und das Problem nicht länger auszusitzen! Gehen Sie dafür regionale Bündnisse ein mit Gewerkschaften, Personalräten, Sozialverbänden, Bürgerschaft und Zivilgesellschaft sowie örtlicher Wirtschaft! Folgen Sie über Parteigrenzen hinweg Ihrem Gewissen zugunsten der sozialen Leistungsfähigkeit von Kreis und Kommunen (ungeachtet von Wahlkämpfen).