Wilhelm Neurohr

Bedroht GATS auch die gemeinnützigen Dienstleistungseinrichtungen?

Am Beispiel der anthroposophischen Einrichtungen

Das GATS-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen macht weder vor den „öffentlichen“ Dienstleistungen
von Staaten und Kommunen oder Landkreisen und Regionalverbänden halt, noch verschont es von
seiner Stoßrichtung die gemeinnützigen Träger und Einrichtungen. Deshalb können auch nicht die selbstverwalteten
anthroposophischen Dienstleistungseinrichtungen in privater Trägerschaft oder sonstige Dienstleistungsunternehmen
mit gemeinnütziger Orientierung darauf hoffen, dass sie von der in Gang gesetzten
Kommerzialiserungswelle nicht ebenso überrollt werden, wenn GATS in seiner ganzen Tragweite zur Wirkung
gelangen sollte, nicht zuletzt im Sektor von Bildung und Kultur, aber auch im gesamten Gesundheitsund
Sozialbereich.
Das Selbstverwaltungs- wie das Gemeinnützigkeitsprinzip und die Demokratie sind dann ernsthaft in Gefahr,
weil die bisherigen Entscheidungsebenen, -verfahren und –spielräume de facto ausgeschaltet werden und
öffentliche Förderungen, Unterstützungen und Bezuschussungen oder steuerliche Begünstigungen und
rechtliche Genehmigungen für nichtkommerzielle private und gemeinnützige Einrichtungen unterbunden
oder sanktioniert werden, weil diese handels- und wettbewerbsrechtlich zu Wettbewerbsnachteilen für kommerzielle
Anbieter und zu Wettbewerbsvorteilen für die Gemeinnützigen führen würden.
Alle dienstleistenden Betätigungsfelder unterliegen dann der gleichen Wettbewerbsregeln nach der kommerziellen
Wettbewerbslogik; jedwede Konkurrenz z.B. aus dem gemeinnützigen Feld der freien Träger würde
zwangsläufig mit ausgeschaltet, Schutz und Sonderkonditionen nicht mehr zugelassen, dafür sind deren
weltweiten, teils flächendeckenden Betätigungsfelder zu lukrativ und wecken Begehrlichkeiten. Gerade darauf
haben es die Verfechter von GATS ja abgesehen, auf diesen kommerziell noch unausgeschöpften
Dienstleistungsmarkt, auf dem sich bislang öffentliche und gemeinnützige Träger zahlreich tummeln, an
Tausenden Erdenorten.
Das GATS-Abkommen differenziert ohnehin nicht zwischen allgemeinen Dienstleistungen und zwischenmenschlichen
Beziehungsdienstleistungen, es unterscheidet nicht zwischen staatlichen und nichtstaatlichen
Anbietern, zwischen unzulässigen Angeboten und zulässigen alternativen Dienstleistungen z.B. anthroposophischer
Orientierung in einer vielleicht unbehelligten Freiheitsnische, sondern es hat in seiner neoliberalen
Logik unterschiedslos alles im Visier, was sich zur kommerziellen Übernahme eignet: Dienstleistungen als
Handelsware, bei denen auch der Mensch selber zur bloßen Handelsware wird und man auf Gemeinwesenorientierung
keine Rücksicht nimmt.
Es stellt sich dann nicht mehr die Frage, ob sich eine anthroposophisch orientierte Einrichtung mit ihren spezifischen
Dienstleistungen und Nutzern der kommerziellen Konkurrenz allein dadurch erwehren kann, dass
es auf anthroposophischer Grundlage nach einem bestimmten spirituellen Welt- und Menschenbild eigentlich
konkurrenzlos arbeitet oder sich wegen der regen Nachfrage und Eigenfinanzierung „am Dienstleistungsmarkt
erfolgreich behaupten“ kann. Dass die auch rechtlichen Zwänge des internationalen Handelsund
Wettbewerbsrechtes die Existenz eben auch dieser Einrichtungen gefährden, ist zu befürchten, ohne in
Schwarzmalerei zu verfallen.
Das Aufbauen, Eröffnen oder Übernehmen solcher Dienstleistungseinrichtungen an irgendwelchen Standorten,
seien es Waldorfschulen, anthroposophische Heime oder Kultureinrichtungen bedürfte unter Umständen
zunächst der weltweiten Ausschreibung für alle Anbieter ähnlicher Dienstleistungen (wie z.B. weltweit agierende
Dienstleistungskonzerne), die bestimmte normierte Qualitätsstandards- und merkmale erfüllen – ohne
deren Einhaltung auch die anthroposophischen Träger gar nicht zugelassen würden, ohne dass sie diese
öffentlichen Standards selber einflussreich mitprägen könnten. Insoweit ist die darauf ausgerichtete erfolgreiche
Arbeit von Udo Herrmannstorfer am Projekt „Wege zur Qualität“ als sehr weitsichtig zu würdigen, setzt
es doch selber als gültig anerkannte Merkmale.
Sich für zivilgesellschaftliche Alternativen zu GATS und zur neoliberalen Globalisierung einzusetzen ist deshalb
nicht nur ein Gebot der Stunde im eigen Interesse der von Anthroposophen initiierten und betriebenen
Einrichtungen, sondern wegen deren Bedeutung für die Kultur- und Zivilisationsentwicklung der Menschheit.
GATS als einen versteckter Angriff auch auf diesen Menschheitsimpuls zu erkennen und den Willen zu mutigem
öffentlichen Handeln zu entflammen zugunsten freier Initiativen für selbstverwaltete Einrichtungen mit
gemeinnütziger Orientierung, ist jetzt vonnöten: ein Kampf, der sich im Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben
zugleich abspielt und politisches Engagement sowie Bündnisse notwendigerweise mit einschließt.