Wilhelm Neurohr

Im Nachhinein wird dem aufmerksamen Zeitungleser einiges klar: Warum hatte Peer Steinbrück auf dem letzten SPD-Parteitag im Dezember 2011 eindringlich an die Delegierten appelliert, in ihren Anträgen bitteschön die Reichen nicht mit Forderungen nach „überzogenen“ Steuererhöhungen zu verprellen? Ganz offensichtlich hatte der mehrfache Millionär Steinbrück im Hinterkopf vor allem daran gedacht, dass er ja dann selber bei seinen Steuerzahlungen davon betroffen wäre …
Sein Appell an die folgsamen Delegierten, auf entsprechende Anträge und Beschlüsse zur Wiederherstellung sozialer Steuergerechtigkeit zu verzichten, wurde nicht nur von Parteichef Gabriel und Fraktionschef Steinmeier massiv unterstützt, sondern auch vom anwesenden Altkanzler Gerhard Schröder.
Dieser ist bekanntlich über seine Berater- und Aufsichtsratstätigkeiten bei Gazprom, Rosneft und Rothschild-Bank längst zum Multimillionär geworden. Für einen Vortragsabend bei den Bochumer Stadtwerken verlangte er bescheidene 70 000 Euro, also fast das Dreifache von Steinbrück. Dass der ehemalige Hertener Juso-Funktionär Bernd Wilmert, der über das SPD-Parteibuch zum heutigen Bochumer Stadtwerke-Chef aufstieg, damit keine Probleme hat, zeugt vom Wandel der SPD bis hinein in den „linken“ Flügel.
Jahre vorher hatte SPD-Finanzminister Hans Eichel mit seiner „Jahrhundert-Steuerreform“ den Spitzensteuersatz für Reiche um elf Prozent gesenkt. Dadurch entgehen Staat und Kommunen Jahr für Jahr 50 Milliarden Euro Steuereinnahmen für die Allgemeinheit (…) Damit ließe sich bereits ein Viertel der gesamten Staatsverschuldung abbauen. Doch eine wirkliche Korrektur der Steuerpolitik ist von Steinbrück und der SPD-Spitze nicht gewollt – dreimal darf der Leser raten, warum nicht?
Übrigens hatte der Kanzlerkandidat ja schon vor seiner Vortragstätigkeit jahrzehntelang als gut verdienender Spitzenpolitiker ein ordentliches Sümmchen beiseite legen können (…) Für die SPD scheint es aber kein Problem zu sein, wenn ein Millionär als Spitzenkandidat an die Macht strebt. Denn er befindet sich damit in guter Gesellschaft der Staatschefs in aller Welt, von Europa und Amerika über Asien bis Afrika, von denen einige sogar Milliardäre sind.
Wir leben politisch also längst nicht mehr in einer demokratischen Volksherrschaft mit Repräsentanten des einfachen Wahlvolkes, sondern inzwischen weltweit in einer Plutokratie, d.h. Herrschaft des Geldes oder Reichtums. Um den Anschluss daran zu gewinnen, bleibt auch der Sozialdemokratie in Deutschland nichts anderes übrig, als im Wahlkampf ehrlich zu plakatieren: „Millionäre an die Macht! Darum SPD mit Peer Steinbrück!“