Wilhelm Neurohr

Es ist noch keine vier Wochen her, dass sich die Parteien in unserer Stadt bitterlich über die geringe Wahlbeteiligung von 48,7 % bei der Kommunalwahl beklagt hatten. Das hält sie nicht davon ab, mit ihrem machtpolitisch motivierten „Koalitionsbündnis“ im Rat die Wählerinnen und Wähler weiter zu verprellen, indem sie deren Wählerwillen schamlos verfälschen. Denn in dem sich anbahnenden und auch fortan „regierenden“ Dreierbündnis von CDU, bürgerlichen Grünen und der geschrumpften FDP ist Letztere mal wieder das kleine, aber einflussreiche „Zünglein an der Waage“, obwohl genau diese Konstellation die Wähler offensichtlich nicht wollten.

Zur Erinnerung: Die hiesige FDP erzielte nach dem Verlust von 2,4% nur noch 3,1% der Wählerstimmen. Unter Berücksichtigung der geringen Wahlbeteiligung unter 49% sind das umgerechnet eigentlich nur magere 1,5% an Zustimmung, das heißt im Um-kehrschluss: 98,5% der Wahlberechtigten in dieser Stadt haben die FDP nicht gewollt! (Gäbe es noch die 5%-Klausel, wäre die FDP gar nicht im Rat vertreten.).Dennoch hat sie nun wieder als Koalitionspartner im Dreierbündnis mit ihren 2 Ratssitzen mehr Gestaltungseinfluss auf die Stadtpolitik als die stärkste Ratsfraktion (SPD) mit ihren 20 Ratssitzen, die nach einem Zugewinn von 7,3% immerhin 38% erzielte, mehr als die „regierende“ CDU.

Rechnet man noch die 6% der Linkspartei hinzu, kommt die „linke Opposition“ im Rat auf 38 Sitze bzw. 44%. Somit haben die Wähler eigentlich einen politischen Wandel im Rat der Stadt gewollt (unabhängig vom Ergebnis der Bürgermeister-Direktwahl, die eine Persönlichkeitswahl und keine Richtungswahl ist). Doch sie haben die Rechnung ohne die „bündnistreuen“ Grünen gemacht, die sich in Recklinghausen eher dem konservativ-liberalen Lager zugehörig fühlen und vielleicht die FDP als liberale Partei künftig ablösen wollen? So bleibt in dieser Stadt alles beim Alten, wie es auch die lokalen Zeitungskommentatoren als wünschenswert verkauften.

Besser wäre es indes, wenn bei den vorhandenen Mehrheitsverhältnissen im Rat keine „Koalitionen“ geschmiedet werden, sondern an Sachfragen im Rat mit wechselnden Mehrheiten auf wirklich demokratische Weise um die besten Entscheidungen gerungen würde, mit weitestgehender Einbeziehung der Bürger-schaft. Aber eine solche lebendige Demokratie ist wohl für die in ideologischen Machtbündnissen denkenden Parteien offenbar unvorstellbar, die lieber eine „bequeme Demokratie“ mit „planbaren“ Mehrheitsverhältnissen bevorzugen. Dann sollten sie sich allerdings nicht weinerlich und scheinheilig beklagen, wenn bei der nächsten Kommunalwahl der „Liebesentzug“ durch die Wähler voranschreitet und die Wahlbeteiligung noch unter 40% sinkt.