Wilhelm Neurohr

Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Deutsche Bundestag habe sich nun mit der Mehrheit der Großen Koalition nach jahrzehntelanger Verweigerung endlich bewegt: Am 20/21. Februar beschloss er neben seiner umstrittenen Diätenerhöhung in namentlicher Abstimmung auch den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes mit dem neuen Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) – auch als „Anti-Korruptionsgesetz“ bezeichnet. Noch am 8. November 2013 hatte der Deutsche Bundestag einen Antrag abgelehnt, die Nebeneinkünfte von Abgeordneten „auf Heller und Pfennig“ zu veröffentlichen.
Schon seit 15 Jahren wird die Bundesrepublik wiederholt angemahnt, korrupte Verhaltensweisen von Mandatsträgern endlich unter Strafe zu stellen, wie es ein gültiges UN-Anti-Korruptionsabkommen (UNCAC) seit Jahrzehnten vorsieht. Der Bundesgerichtshof hatte 2006 eine Regelung angemahnt, die Vereinten Nationen in 2002 und der Europarat bereits 1999. Doch der Deutsche Bundestag verweigerte sich stur, mit hanebüchenen Argumenten: Da wurde argumentiert: Parlamentarier würden „an der freien Ausübung ihre Mandates gehindert“ (FDP-Generalsekretär Patrick Döring). Oder: Es gebe „keine Korruptionsfälle oder Verdachtsfälle im Deutschen Bundestag“ (Zitat Dr. Götzer/CSU in der Bundestagsdebatte am 26.April 2013) und ihm seien keine Fälle bekannt.
Noch vor einem halben Jahr hatten sich laut einer Umfrage der Internet-Plattform „abgeordnetenwatch“ 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU, 74% Prozent der FDP-Abgeordneten und 27% der SPD-Abgeordneten sowie jeweils 30% der grünen und linken Mandatsträger gegen ein solches Gesetz ausgesprochen. Damit zählte die Bundesrepublik Deutschland – neben Nordkorea, Saudi-Arabien, Syrien und Tschad – zu den weltweit einzigen Staaten ohne Anti-Korruptionsgesetzgebung für Abgeordnete, während alle übrigen der 193 UN-Mitgliedsstaaten längst die Abgeordnetenbestechung wirksam unter Strafe gestellt haben. Unverändert blieb Deutschland deshalb auf einem unbefriedigenden 16. Platz der weltweiten Korruptionsliste von 163 Ländern.
Wer nun als Bürger und Wähler glaubt, jetzt sei ja mit dem aktuellen Bundestagsbeschluss der Korruption endlich ein Riegel vorgeschoben, der hat die Rechnung ohne unsere gewieften Abgeordneten gemacht. In der vorausgegangenen Sachverständigen-Anhörung im Bundestag hatten sich alle Sachverständigen, auch die der Großen Koalition, der Auffassung einer Petition von fast 51 000 Bürgerinnen und Bürgern angeschlossen. Gefordert wurde nämlich, die Formulierung „im Auftrag oder auf Weisung“ aus dem Gesetzesentwurf zu streichen. Auch ein von der Union geladener Strafverteidiger bestätigte, dass es mit dieser Formulierung wohl nie zu einer Verurteilung kommen werde, weil einem korrupten Politiker in der Praxis niemals nachzuweisen sei, dass er im Auftrag oder auf Weisung gehandelt habe…
Doch die Abgeordneten wollten das Gesetz zu ihrer eigenen Absicherung nicht mehr ändern und beschlossen nur eine „scheinbare“ Strafbarkeit der Abgeordneten-Bestechung – neben dem schnellen Beschluss zur saftigen Diätenerhöhung um 10 Prozent. Weiterhin bleibt auch die Parteienfinanzierung undurchsichtig und auch die Intransparenz der Nebentätigkeit der Abgeordneten bleibt uns erhalten. Mindestens 200 von über 700 Abgeordneten (so ergab schon eine Untersuchung von „abgeordnetenwatch“ 2009) gehen wohl auch in Zukunft lukrativen Nebentätigkeiten nach, ohne die damit verbundenen Abhängigkeiten sichtbar zu machen.
Somit ist die beschlossene Gesetzesänderung allenfalls ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber völlig unzureichend zur tatsächlichen Korruptionsbekämpfung in der dafür anfälligen deutschen Politik – also eine Mogelpackung.
Jeder Bürger wird bei Korruption strafrechtlich belangt, die Abgeordneten de facto auch weiterhin nicht durch die unzureichende Gesetzesregelung. Und wieder schauen wir in unserer „Zuschauerdemokratie“ dem Treiben fassungslos zu?