Wilhelm Neurohr

Beitrag für die Wochenschrift Goetheanum

Vor dem zurückliegenden Pfingstfest – dem Fest des heilenden Geistes – sorgte ein offener Brief von prominenten Kunst- und Kulturschaffenden für geistige Bewegung: Am 26. April 2008 , dem „Tag des geistigen Eigentums“, hatten sie sich öffentlich an die Bundeskanzlerin gewandt mit dem Anliegen, Respekt und „Bewusstsein für den Wert geistigen Eigentums“ zu stärken und den Kreativen eine faire Entlohnung durch Schutz des geistigen Eigentums politisch zu sichern. Ist es legitim, geistiges Eigentum für sich als Schöpfer geistiger Hervorbringungen zu reklamieren?

„Geistiges Eigentum ist das Öl des 21. Jahrhunderts“, so zitieren die zahlreichen prominenten Komponisten, Musiker, Schriftsteller, Verleger, Schauspieler und Filmemacher den Chef des Bilderimperiums, Mark Getty, in ihrem gemeinsamen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel. Unterzeichnet haben alle, die Rang und Namen haben: von Udo Jürgens und Reinhard Mey über Udo Lindenberg und Peter Maffay bis hin zu René Kollo und Till Schweiger oder Sönke Wortmann, des weiteren Kabarettisten und Fernsehmoderatoren, namhafte Kunstdesigner, Schriftsteller und Verleger.

Illegale und Existenzgefährdende Aneignung geistigen Eigentums

Hintergrund ihrer Initiative sind vor allem die im Internet und in Tauschbörsen millionenfach unrechtmäßig angebotenen und herunter geladenen Musikstücke, Filme und Hörbücher – zehnmal mehr, als legal verkauft wurden. Von dieser Nutzung und Aneignung illegaler Inhalte profitiert vor allem die milliardenschwere Telekommunikationsindustrie. Während etablierte Künstler noch von ihren Erfolgen der Vergangenheit profitieren können, trifft die Internetpiraterie vor allem junge Nachwuchstalente.

Dagegen setzen sich die Kulturschaffenden juristisch zur Wehr und fordern von der Politik ähnliches Engagement wie bei dem Interesse der Industrie am Thema Produktpiraterie beispielsweise gegenüber China. Sie argumentieren ökonomisch: „Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft schon heute und vor allem in Zukunft Motor für Wachstum und Wirtschaft ist.“ Von der kommerziellen Vermarktung ihrer Kunst und Kultur (zum Teil mit Warencharakter) auch in Zukunft wirtschaftlich leben zu können, ist das Interesse der Kulturschaffenden, die sich Hilfe suchend an die Kanzlerin wandten, mit der Bitte, das Thema zur „Chefsache“ zu machen.

Eigentumsartiges Urheberrecht für Schöpfer geistiger Werke

Nun gibt es zum Thema Patent- und Urheberrecht schon seit einigen Jahren das von der Kanzlerin mit unterstützte TRIPS-Abkommen der WTO (Welthandelsorganisation), das für alle WTO-Mitgliedsstaaten weltweit verbindliche und einheitliche Mindeststandards für Patente, Handelsmarken, Designs, Herkunftsangaben, Urheberrechte, Verleihrechte, Computerprogramme, Datenbanken sowie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse regelt. So müssen alle WTO-Mitglieder auf technologische Erfindungen einen Patentschutz von mindestens 20 Jahren gewähren. Und beim Urheberrecht gilt als Mindestdauer „Lebenszeit plus 50 Jahre.“

Vom Urheberrecht als eigentumsartiges Recht, das einem Schöpfer eines geistigen Werkes zusteht, ohne dass es eines Anerkennungsverfahrens wie beim Patentrecht bedürfte, sind Werke der Kunst, wissenschaftliche Arbeiten, Fotografien, Reden, Übersetzungen etc. geschützt. Das Recht ist nicht wie beim Patent bei Lebzeiten des Urhebers übertragbar, allerdings kann der Urheber ebenfalls Lizenzen vergeben. Es ist vererbbar, erlischt allerdings nach dem Tode des Urhebers, bei uns nach 70 Jahren. Auch anthroposophische Künstler, Autoren, Verlage und Einrichtungen berufen sich demgemäß auf Urheberrechte oder Markenschutz wie „Demeter“.

Christoph Strawe schrieb dazu schon in einem Beitrag zum TRIPS-Abkommen im Dreigliederungs-Rundbrief 2/2002: „ Dass das Patent- und Urheberrecht seinen guten Sinn hat, dürfte unbestritten sein. Niemand sehnt sich zurück nach Zeiten, in denen Autoren gegenüber Verlegern praktisch rechtlos waren und Erfinder am Bettelstab enden konnten, während andere mit ihren Erfindungen Kasse machten. Ebenso sinnvoll ist es, zu gewährleisten, dass nur Käse aus dem Emmental Emmentaler Käse heißen darf.“

Sozialbindungsorientiertes Eigentum im sozialen Fluss: Geschenk für alle Menschen

Strawe verweist darauf, dass Rudolf Steiner 1919 seine Idee eines „Eigentums im sozialen Fluss“ (heute auch „operatives“ Eigentum genannt) als Alternative zum verkäuflichen kapitalistischen Privateigentum und zum bürokratischen Gemeineigentum der Planwirtschaft vertrat. Im Urheberrecht sah er geradezu ein gewisses Paradigma für ein sozialbindungsorientiertes Eigentumsrecht: „Die Möglichkeit, frei über die Kapitalgrundlage aus den individuellen Fähigkeit heraus zu verfügen, muss bestehen; das damit verbundene Eigentumsrecht muss in dem Augenblicke verändert werden können, in dem es umschlägt in ein Mittel zur ungerechtfertigten Machtentfaltung. In unserer Zeit haben wir eine Einrichtung, welche der hier angedeuteten sozialen Forderung Rechnung trägt teilweise durchgeführt nur für das sogenannte geistige Eigentum. Dieses geht einige Zeit nach dem Tode des schaffenden in freies Besitztum der Allgemeinheit über.“ Man könnte auch sagen: es verwandelt sich endgültig in ein Geschenk, von dem alle Menschen Nutzen haben können.

Allerdings besteht „das Perfide an dem TRIPSD-Abkommen eben darin, dass es diesen Gedanken der Sozialbindung aus dem Patent- und Urheberrecht entfernt, um dieses selbst in ein Mittel ungerechtfertigter Machtentfaltung zu verwandeln“ (Strawe). Es geht also in ein ganz andere Richtung, nämlich in die schrankenlose Ausweitung des Begriffs des geistigen Eigentums zum Zwecke der Herstellung universeller Ausbeutbarkeit und Verkäuflichkeit der Ressourcen dieser Erde durch die großen Konzerne, wie das perverse Beispiel der Patentierbarkeit von Pflanzensorten für die kommerzielle Verwertung zeigt.

Notwendige Grenzziehung zwischen Geistes- und Wirtschaftsleben

Wir erleben also einen Verlust an Widerstandskraft des Geisteslebens gegenüber einem konkurrenzbestimmten Wirtschaftsleben. Für die Zukunft ist aber ein ganz anderes Bewusstsein im Sinne des „heilenden Pfingstgeistes“ vonnöten: In der Befreiung des Bewusstseins der Gedanken, der Ideen und der Sprache im Sinne des Pfingstereignisses kann der Mensch für die anderen Menschen uneigennützig tätig sein. Er wird fähig, den anderen Menschen etwas zu schenken oder zugänglich zu machen von dem gemeinsamen, umfassenden Geist, und zwar in der individualisierten Form aus dem höheren Ich – in der Gewissheit, dafür von den Menschen etwas Existenzsicherndes zurückgeschenkt zu bekommen.

Erst wenn die Menschen dermaleinst von diesem Pfingstereignis durchdrungen sind, erübrigt sich der politische Streit um die rechtliche Absicherung geistiger Urheberrechte als „geistiges Eigentum“, das dann vielmehr als Geschenk oder gemeinsam Errungenes in „Gemeineigentum“ übergeht, statt es wie einen persönlichen Schatz zu hüten. Nicht an sich denken, sondern für ein Großes und Ganzes in der Welt zu wirken, wird dann immer selbstverständlicher, losgelöst vom Wirtschaftsleben. Dadurch kann zu dem errungenen Geistigen noch „von oben“ etwas hinzukommen. Der tausendfältige geistige Schatz, der allen Menschen zur Verfügung steht, muss erst noch geborgen werden, indem es durch die Prägung unseres Ich schöpferisch gestaltet wird, dadurch, dass wir es selber denken und erkennen und verwandeln, über das hinaus, was von der gemeinsamen, vor-individuellen Geist-Substanz geschöpft worden ist, die allen zugänglich ist.

Vom Ungeist unserer Tage zum verbindenden, heilenden Geist

Die geistige Vielfalt wird dann in einer synthetischen Einheit vernetzt und zusammengefasst werden können. Erscheint nicht die virtuell vernetzte Computerwelt wie ein mechanisierter Vorbote dessen beim Zusammentragen und Vefügbarmachen der geistigen Einheiten zugunsten eines verbindenden Menschheitsganzen – würden hier nicht die geistigen Gaben als kommerzialisierten Ware legal oder illegal im weltweiten virtuellen Netzwerk vermarktet? Was nützen die (zumeist dem intellektuellen Gehirndenken entsprungenen Gedanken), wenn sie nicht von den einzelnen Menschen angeeignet und geistvoll innerlich durchdrungen und weiterentwickelt werden?

So wurde der heilige Geist zum Ungeist unserer Tage und muss wieder zum heilenden Geist werden. Nur so gelangen wir von der kollektiven Geistverarmung zum gemeinsamen geistigen Reichtum, von der Vollmacht des Geistes über den Stoff. Darüber nachzusinnen bietet sich die bevorstehende Zeit zwischen Pfingsten und Johanni vor der Sommersonnenwende an, in der wir den von Materie durchwobenen Geist in dem zum Geist emporgehobenen Erdenstoff (Emil Bock) erleben, die Zeit des beginnenden geistigen Wachstums, in der das Alte zu Ende geht und etwas Neues werden muss im Sich-wieder-Hinwenden in das menschliche Innere – in einen schöpferischen Prozess geistigen Urhebertums.

Dort erleben wir die wahre Geistgemeinschaft im Einklang und in neuer Wirksamkeit und fühlen uns der werdenden Gemeinschaft selbstlos verpflichtet. Unser Geist wirkt dann bei der Übergabe in den sozialen Fluss heilend auch auf die wirtschaftlichen Konkurrenzkämpfe im Geschäft mit dem geistigen Eigentum.