Wilhelm Neurohr

Im Dezember 2003 findet in Genf die „World Summit on the Information Society (WSIS)“ statt – ein UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft unter Beteiligung der Zivilgesellschaft. Bis dahin arbeiten Bund, Länder und Kommunen in Deutschland längst im Rahmen ihrer Media@Komm-Projekte mit Nachdruck daran, die technischen Infrastrukturen des Internet intensiv zu nutzen, um im Verbund mit kommerziellen Betreibern (Public Private Partnership) den öffentlichen Raum, die öffentlichen Dienstleistungen und Infrastrukturen sowie die Demokratie und Bürgerbeteiligung digital zu gestalten und die föderalistisch aufgebauten Demokratie-Ebenen im Verbund mit kommerziellen Angeboten virtuell zu verknüpfen und zu verschmelzen.

Das ist der Beginn einer neuen Ära in der elektronischen Informationsgesellschaft nach einem technokratischen Verwaltungs- und Demokratiemodell, mit dem die Fragen nach Beginn oder Ende von Demokratie und Freiheit auftauchen, bis hin zur Befürchtung der weltweiten sozialen Spaltung der Menschen im digitalen Zeitalter nach ihren Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten.

eGovernment und andere gesellschaftliche Formen der Nutzung weltweiter Netze werden zu einem deutlichen Wandel in der Rolle des Staates und der Kommunen und an deren Arbeitsplätzen sowie der öffentlichen Dienste führen, auch durch gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit privaten Partnern. Bereits im Dezember 1999 hat die Bundesregierung ihr Programm „Moderner Staat – Moderne Verwaltung verabschiedet“, im September 2002 folgte die eGovernment-Initiative „Bund Online 2005“, mit der alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung bis zum Jahre 2005 online bereitgestellt werden. Dem haben sich Landes- und Kommunalverwaltungen angeschlossen. Welche Chancen und Risiken sind mit „eGovernment“ und „eDemokratie“ sowie „eKommerz“ und „eLearning“ verbunden und was verbirgt sich dahinter?

Auflösung der kommunalen Selbstverwaltung im virtuellen Netzwerk? Demokratie in entgrenzten Räumen ist neu zu erfinden

Wie öffentlich und demokratisch wird eGovernment sein und wie werden zivilgesellschaftliche Komponenten gestärkt? Wie verändert das Internet den öffentlichen Raum und die Informationsfreiheit sowie die Arbeitswelt? Bleiben Datensicherheit und die vertrauliche Kommunikation sowie informationelle Selbstbestimmung der Bürger gewahrt? Verbergen sich hinter den öffentlichen Internet-Portalen kommerzielle Unternehmen, ohne dass dieses erkennbar wird? Wie wird mit dem neuen Urheberrecht gewährleistet, dass der Zugang zu Werken in öffentlichen Bibliotheken im digitalen Zeitalter erhalten bleibt?

Besorgte Kritiker befürchten unter anderem, dass sich insbesondere die ohnehin akut gefährdete kommunale Selbstverwaltung mit ihren sozialräumlichen Gestaltungsmöglichkeiten als „virtuelles Rathaus“ und virtuelles Verwaltungsnetzwerk in den kommerziellen Netzwerken internationaler Dienstleistungskonzerne auflöst und von der eigentlich notwendigen Reformdebatte abgelenkt wird. Das eigene Rathaus mit den bislang noch dahinterstehenden Kommunalbediensteten wird im anonymen Netzwerk eines grenzüberschreitenden Dienstleistungsverbundes nicht mehr identifizierbar sein, weil die Dienstleistungen teilweise in auswärtigen Kompetenzzentren zentral erbracht werde sollen. Damit droht auch die Mitbestimmung der betriebs- und Personalräte ausgehebelt zu werden. Schon wird in der Zivilgesellschaft (z.B. in Recklinghausen) daran gearbeitet, dem gegenüber ein bundesweites Internet-Bürgernetzwerk „Publi-City“ als Kommunikationsplattform und einflussreiches Diskussionsforum für die Bürger vorzubereiten. Demokratie und Regieren in entgrenzten Verwaltungs- und Wirtschaftsräumen und virtuellen politischen Räumen sind neu zu erfinden, mit einer besonderen Rolle der Zivilgesellschaft.

Nachdem die Staatsgrenzen im Zuge der Globalisierung immer bedeutungsloser werden, verlieren auch die Gemeindegrenzen als soziale und kulturelle Gestaltungs- und Bezugsräume politischen Verwaltungshandelns im digitalen Zeitalter ihre Bedeutung, obwohl die kommunale Selbstverwaltung umso wichtiger wird, je mehr die Globalisierung voranschreitet. Da die öffentlichen Haushalte insbesondere der Kommunen finanziell vor dem Ruin stehen, erstreben und erhoffen jedoch die Betreiber von E-Government mit dem „virtuellen Rathaus“ und einer grenzenlosen Bündelung und arbeitsteiligen Zentralisierung ihrer Verwaltungs- und Dienstleistungsangebote das größte Kosten- und Personaleinsparungsprogramm seit Bestehen der öffentlichen Verwaltung und damit gigantische Rationalisierungsgewinne. Gleichzeitig erhofft man sich mehr Demokratie und Bürgerorientierung durch neuartige Beteiligungsformen per Internet in den entgrenzten Räumen. Können aber unverbindliche Diskussions- und Kommunikationsforen im Internet, die von der Exekutive ausgewertet oder ignoriert werden, die demokratischen Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozesse oder parlamentarischen und direktdemokratischen Mehrheitsverfahren ersetzen?

Geraten Bürger, Verwaltungen und Regierungen in neue Abhängigkeiten und der Persönlichkeits- und Datenschutz und Sozialkontakte unter die Räder?

Ist durch E-Government eine nachhaltige kommunale Haushaltssanierung möglich und bringt die technische Rationalisierung wirklich Ersparnisse und mehr Partizipation der Bürger, oder beschert sie der öffentlichen Hand nur neue zusätzliche Kosten und Aufwände und den Bürgern weniger direkte Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Datenschutzprobleme mit der geplanten „digitalen Bürgerakte“, die in sämtlichen Verwaltungen abrufbar und verfügbar sein soll? Handelt es sich um den Ausweg aus der Krise oder entstehen ganz neue Bedrohungen und Herausforderungen durch die Vision eines technokratischen Demokratie- und Verwaltungsmodells mit dem „gläsernen Bürger“ und dem „gläsernen Mitarbeiter“? Oder macht der bequeme und jederzeit von jedem Ort verfügbare digitale Dienstleistungsservice für die Bürger die Nachteile und die Demokratiedefizite und Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen per saldo wett? Lenken eGovernment und eDemokratie von den eigentlichen gesellschaftlichen Problemen und den wahren Problemursachen lediglich ab oder sind sie die verheißungsvollen Problemlöser der Zukunft, weil es bisher an bloßer Technikunterstützung gemangelt hat?

Kritiker befürchten neue Abhängigkeiten und schleichende Privatisierungen und Zerschlagung öffentlicher Informations-Infrastrukturen bis hin zur vollständigen Privatisierung der Netze mit vereinheitlichter Software sowie Einschränkungen des Persönlichkeits- und Datenschutzes - der sich nach Meinung von Befürwortern des eGovernment den technischen Erfordernissen anzupassen habe - außerdem mehr Regulierung und Zentralisierung sowie Überwachung statt neue Freiräume, ferner mangelnde Abgrenzung zwischen öffentlichen und kommerziellen Diensten und Zwangsnutzungen statt Freiwilligkeit. Geraten Regierungen und Verwaltungen in Abhängigkeit von fremden Monopolen? Und reicht die Medienkompetenz der Bevölkerung aus, um alle Gefahren im elektronischen Netzwerk zu durchschauen und der drohenden Anonymisierung in den direkten Bürgerkontakten vor Ort zu entgehen? Droht der Verlust der sozialen Welt bei Demokratie per Netz oder winkt eine Bereicherung und Erweiterung der demokratischen Möglichkeiten mit „Versammlungsfreiheit im Netz? Kann eine Regierung oder gar ein Unternehmen Kontrolle über die Medien ausüben ?

Wie wird verhindert, dass gesellschaftliche Gruppen ohne Medienkompetenz ausgegrenzt werden? Immerhin sind 875 Mio. Menschen weltweit Analphabeten, zwei Drittel davon Frauen, vor allem in bevölkerungsreichen Entwicklungsländern (bis zu 75% auf dem Lande), die sich keinen Internet-Zugang leisten können. Im Zuge des drastischen Sozialabbaus wird selbst in Deutschland demnächst ein PC und Internet-Zugang für immer mehr Menschen unerschwinglich werden. Ein Zugang zum Internet, das einmal als demokratisches Zukunftsmedium große Hoffnungen geweckt hat, bleibt bislang einer kleinen Minderheit der Weltbevölkerung vorbehalten. Eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Demokratie-Entwicklung im digitalen Zeitalter ist längst überfällig, wird aber bislang meist nur in Expertenkreisen geführt.

Die Software als Kulturgut: Digitale Spaltung erfordert eine Charta der Bürgerrechte in der Wissens- und Informationsgesellschaft

Diskutiert werden allerdings bereits die öffentlichen Rahmenbedingungen für ein demokratisches Europa im digitalen Zeitalter einschließlich der Gefährdungen für die Demokratie, auch weil eine digitale Spaltung eintreten könnte, wenn nicht alle den gleichen Zugang im Rahmen des gigantischen Projektes haben. Aber auch der föderalistische Staatsaufbau, die räumlichen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Verwaltungen und Demokratie-Ebenen sowie die Strukturen der kommunalen Selbstverwaltung laufen Gefahr, sich im grenzenlosen kommerziellen Netzwerk mit seinem Dienstleistungs- und Datenverbund aufzulösen. Auch gibt es ungeahnte und ungelöste oder unlösbare neue Probleme des Datenschutzes. Es ergeben sich vielfältige Notwendigkeiten für europaweite Gesetzesabstimmungen und Klärungen, auch vor dem Hintergrund des globalen Einflusses auf deutsches und europäisches E-Geschehen. Wie sieht es überdies aus mit der Eigenständigkeit von Kulturen und Minderheitskulturen und deren unterschiedlichen Zugangsformen? Erwogen wird bereits eine Charta der Bürgerrechte in der Wissens- und Informationsgesellschaft.

Die Software als Kulturgut und die Macht über die Netze hat großen Einfluss auf die Gesellschaft von morgen und erscheint keinesfalls ethisch neutral, da Software-Bindung globale Macht verleiht und die Chancengleichheit einschränkt. Wer hat etwas davon und ist der Aufwand größer als der Nutzen eines technokratischen Zukunftsmodells? Was ist verboten und was ist erlaubt? Sollen alle Daten universell in einen Topf oder widerspricht das dem Menschenbild des Grundgesetzes? Wo bleibt die gesellschaftliche Zieldiskussion über das gigantische Vorhaben und seine vielfältigen rechtlichen Problematiken? Ist Kommunikationsfreiheit ohne Zensur gewährleistet? Und welche Folgen hat die Virtualisierung der Arbeitswelten für die Menschen, die hinter dem Netzwerk tätig sind? Besteht die Gefahr der Polarisierung und Spaltung am Arbeitsmarkt mit einem gleichzeitigen Abbau sozialer Spaltung? EGovernemt wird die Arbeitswelt auch im öffentlichen Dienst dramatisch verändern und die wenigen verbleibenden Arbeitsplätze zu Heimarbeitsplätzen mit Scheinselbständigen-Status degradieren, so befürchten die Gewerkschaften. Fragen über Fragen, die es erfordern, sich näher mit dem bereits zügig voranschreitenden Vorhaben E-Government zu beschäftigen, je mehr sich auch auf diesem technischen Wege Politik, Wirtschaft und Kultur immer mehr vermischen und verschmelzen statt sich abzugrenzen und zu gliedern - umso mehr ein Zukunftsthema auch für das Netzwerk Soziale Dreigliederung.

Media@Komm-Projekte - eine der größten deutschen Initiativen zur Entwicklung und Umsetzung von Multimediaprojekten in Städten u. Gemeinden mit Millionenförderung

Die Präsenz von Städten und Gemeinden im Internet wächst. Der breite Durchbruch zur rechtsverbindlichen Interaktion in elektronischen Netzen auf Basis der elektronischen Signatur (elektronische Unterschrift und Identifikation) steht noch aus. Hier setzt das Projekt MEDIA@Komm an, welches eingegliedert in das Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, durch das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technologie (BMBF), als eine der größten deutschen Initiativen zur Entwicklung und Umsetzung von Multimediaprojekten in Städten und Gemeinden ins Leben gerufen wurde. In einem Förderwettbewerb wurden die Städte und Gemeinden ermittelt, welche die besten integrativen Konzepte zur Entwicklung von multimedialen Diensten, möglichst unter Nutzung der elektronischen Signatur, entwickelt haben. Unter Weiterführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) wurden insgesamt fast 25 Mio. € an Fördermitteln investiert. Etwa die gleiche Summe floss zusätzlich durch Investoren der Privatwirtschaft in das Projekt.

Am Wettbewerb beteiligten sich 136 Städte und Gemeinden. Preisträger wurden die Stadt Esslingen, die Region Nürnberg/Fürth sowie die freie Hansestadt Bremen. Der Förderzeitraum von 1999 bis 2002 wurde durch das BMWA um ein weiteres Jahr bis Ende 2003 verlängert. Ziel aller Preisträgerstädte ist es, zwischen der Verwaltung auf der einen Seite und Bürgern sowie ansässigen Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite rechtsverbindliche Dienstleistungen und Transaktionen über elektronische Kanäle abwickeln zu können. Der generelle Fokus liegt hierbei auf der Vereinfachung der Verwaltungsabläufe und damit der Verbesserung von Serviceleistungen durch die Verwaltung.

Im Zuge dieses Vorhabens gibt es mehrere Referenzprojekte und –gemeinden: Ein Forschungsprojekt hat ein Verfahren entwickelt zur beweiskräftigen und sicheren Langzeitarchivierung digital signierter Dokumente. Die Stadt Rathenau im Land Brandenburg hat den Förderpreis für das Projekt „Elektronische Akteneinsicht“ in enger Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes und dem Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik erhalten. Ziel des Projektes ist es, nach dem Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz grundsätzlich den voraussetzungslosen Zugang zu den von der Verwaltung vorgehaltenen Informationen auch elektronisch über das Internet zu ermöglichen. Die niedersächsische Staatskanzlei hat nach dem Vorbild von Privatunternehmen ein sogenanntes Call-Center für schnelle elektronische Auskünfte eingerichtet, mit Aufklärung über ihre datenschutzrechtliche Betroffenheit. Die Stadt Hamburg erprobt bereits den Versand von Briefwahlunterlagen über das Internet. Eine Software-Firma aus Bremen hat ein Basismodul mit allen benötigten Funktionen entwickelt, damit die öffentliche Verwaltung und ihre Kunden datenschutzgerecht, sicher und rechtsverbindlich über das Internet kommuniziere können. Ein weiteres Projekt befasst sich mit Versuchen von Wirtschaft und Verwaltung zum mobilen Arbeiten, bei dem berufliche Tätigkeiten außerhalb konventioneller Betriebsstätten oder Amtsstuben unter Nutzung von Telekommunikation durchgeführt werden. Hierbei wird im Gegensatz zur klassischen Telearbeit besonderes Gewicht auf große räumliche Beweglichkeit gelegt. Und die Stadt Marburg erprobt bereits eine elektronische Chipkarte mit den Funktionen einer elektronischen Fahrkarte und elektronischen Geldbörse. Die Finanzämter erproben eine Finanzsoftware zur Abgabe elektronischer Steuererklärungen per Datenfernübertragung.

In Nordrhein-Westfalen wird das Projekt eGovernment NRW und das Leitbild „Digitales Ruhrgebiet“ in Partnerschaft mit privaten kommerziellen Firmen von der Landesregierung massiv forciert, aber kaum finanziell gefördert. Für die Kommunen soll sich das Vorhaben ausschließlich durch Personalkosteneinsparung rechnen. Als notwendig erkannt hat man dort eine Harmonisierung und Standardisierung der kommunalen IT-Landschaft, in der bisher die verschiedensten Programme und Systeme eingesetzt werden, die nicht alle miteinander kompatibel sind. Inzwischen befasst sich die Stadt Dortmund als „digitale Stadtverwaltung“ mit dem Projekt, alle Produkte und Dienstleistungen der Stadtverwaltung für die Bürger über das Internet elektronisch verfügbar zu machen. Andere Städte erproben Ratsinformationssysteme oder Online-Verfahren für Ratssitzungen. Die Bezirksregierung Düsseldorf überträgt bereits seit Jahren die Sitzungen ihres Regionalrates Online per Videostream ins Internet und ermöglicht in anderen Bereichen Viedeokonferenzen. Die Polizei in Köln bietet bereits die Möglichkeit elektronischer Strafanzeigen. Die Stadt Hagen wurde zur Modellstadt für das „Virtuelle Rathaus“ als Online-Verwaltung in Weiterentwicklung der Bürgerämter mit zukunftsorientierten IT-Technologien und elektronischen Kommunikationsformen. Hinzugekommen ist der Modellkreis Recklinghausen als größter Kreis der Bundesrepublik mit dem Projekt „Virtuelles Kreishaus“ in Vernetzung mit den 10 kreisangehörigen Städten und anderen Behörden.

EGovernment für jedermann und jede Frau – kinderleicht und sicher? Erscheinungsformen und Modelle von eGovernment im öffentlichen Sektor

Der Begriff eGovernment – zusammengesetzt aus den beiden englischen Wörtern „electronic“ (elektronisch, rechnergestützt) und „Government“ (Verwaltung, Regierung) – bezeichnet die Bemühungen der öffentlichen Verwaltung, ihre Aufgaben und die darauf bezogenen Verwaltungsabläufe mittels der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie zu erfüllen. Dabei steht die Nutzung des World Wide Web, also des Internets, häufig als Medium im Mittelpunkt der Betrachtung. EGovernment ist gleichsam Synonym für die Modernisierung der überkommenen aktendominierten Verwaltung im Innen- und Außenbereich, für Aufbruchstimmung und den IT-Einzug in die Verwaltungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen. Der Begriff eGovernment erhält für die speziellen Verwaltungsaufgaben und -anforderungen einer Behörde einen eigenen Bedeutungsinhalt. Er bezeichnet die Durchführung von Prozessen der öffentlichen Willensbildung, der Entscheidung sowie der Leistungserstellung und –abwicklung in Politik, Regierung und Verwaltung unter Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechniken, insbesondere des Internet. Einbezogen ist der gesamte öffentliche Sektor.

Für Aufbau, Struktur und Abwicklung von eGovernment sind drei Interaktionsformen bestimmend, nämlich Information, Kommunikation und Transaktion, mit Auswirkungen für die interne und externe Kommunikation der öffentlichen Verwaltung, die sich online auf die Bürgerinnen und Bürger zubewegt, aber dazu konsequente Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen zuvor im Inneren abwickeln muss. EGovernemt ist aber nicht nur allein im Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürgerschaft wirksam, sondern außerdem wirken weitere Akteure mit, nämlich die Politik, die Wirtschaft sowie Organisationen und Verbände, die mit ihnen und untereinander vielfältig verflochten sind. Die Politik erhofft sich dadurch ein verbessertes Instrument auch der Wirtschaftsförderung und Standortpflege als auch die Verbesserung der politischen Willensbildungsprozesse der Parteien, Fraktionen und Mandatsträger mit Hilfe des eGovement unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, mit neuen Impulsen für partizipative Prozesse und Bürgerengagement. Auch die sonstigen am Gesellschaftsprozess Beteiligten, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kirchen, Berufsverbände, Interessenvereinigungen und zivilgesellschaftliche Gruppen finden im eGovernment ein Forum zum Transport von Informationen und Kommunikation und können dies zur Intensiveierung ihre Mitwirkungsfunktionen nutzen. Neue Kooperationsformen schaffen intensive Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen einer Vielzahl von Behörden und Einrichtungen, losgelöst von Einzugsgebieten und Ansässigkeit von Spezialisten. So trägt eGovernment zur Überwindung von Raum und Zeit bei.

Die verschiedenen Modelle und Erscheinungsformen von eGovernment auf verschiednen Ebenen haben neue Kategorien herausgebildet, wie z.B. „eDemokratie“, „eInformation“, „eKommunikation“, eTransaktion“, eKommerz“ und „eLearning“, eRegister“ und „eArchiv“, die als bloße begriffliche Ableitungen oder Unterbegriffe hier nicht näher erläutert werden sollen. EGovernment und andere gesellschaftliche Formen der Nutzung weltweiter Netze werden zu einem deutlichen Wandel in der Rolle des Staates und der Kommunen führen. Das gilt insbesondere für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, für dessen Schutz auch der Einzelne selbst tätig werden muss. Die bisherige Vollzugsverantwortung des Staates wird sich also in eine Gewährleistungs- und Infrastrukturverantwortung verändern: Der Staat muss den Einzelnen in die Lage versetzen, die Vertraulichkeit und Integrität seiner personenbezogenen Daten selbst besser als bisher zu schützen, und er muss dazu von seiner Seite die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehören der Einsatz von datenschutzfreundlicher Technik ebenso wie die Bereitstellung von Selbstschutzinstrumenten und die Einführung von Auditierungsverfahren und Gütesiegeln.

Wenn jedoch mit der Einführung des internationalen GATS-Abkommens und anderer globaler Entwicklungen die kommerziellen Betreiber den Staat und die Kommunen an die Seite drängen oder vereinnahmen, schwindet auch der Einfluss des Staates auf dieses weltweiten Internet-Entwicklungen und ihre demokratische und rechtliche Ausgestaltung.

Ohnehin werden diese technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und erweiterten Möglichkeiten zur mobilen Datenkommunikation auch die Strukturen und Arbeitsverfahren der Verwaltungen weiter massiv verändern. Zuständigkeiten und Ortsgebundenheiten werden ihre Bedeutung verlieren. Produktion und Vertreib von Verwaltungsleistungen werden im Kundeninteresse getrennt werden können: die Bürger werden nur noch über ein einziges Internet-Fenster an die Verwaltung ihr Anliegen herantragen, ohne sich um Zuständigkeiten oder Aufgabenverteilungen kümmern zu müssen, und das unabhängig vom jeweiligen Wohnort oder Aufenthaltsort. Angebote werden auch noch stärker nach Zielgruppen ausdifferenziert und auch komplexe und verknüpfte Leistungen umfassen. Ohne die Vermittlung von technischer und kultureller Medienkompetenz für alle, gerade auch für ältere Menschen, Zuwanderer, sozial Schwache und Behinderte wird jedoch die digitale Spaltung der Gesellschaft nicht zu vermeiden sein. Gleichwohl darf die Nutzung des elektronischen Weges zu den Verwaltungen und zur Politik nicht rechtlich verpflichtend oder alternativlos vorgegeben werden, sondern dem Einzelnen muss die freie Wahl des Mediums überlassen bleiben. Vor allem muss der Schutz personenbezogener Daten gesichert bleiben, sowohl bei den Nutzungsdaten als auch bei den Verbindungsdaten und den Inhaltsdaten, wie es der Datenschutz vorschreibt. Dazu gehört auch die Transparenz für die Nutzer – eine ungeheure Herausforderung für die Datenschützer angesichts der vielen Bedrohungen im Netz.

Der Autor ist als Personalratsvorsitzender einer großen Kreisverwaltung („Modellkreis eGovernment“) seit 10 Jahren Mitglied im Koordinierungsausschuss der Gemeinsamen Kommunalen Datenverarbeitungszentrale für die 11 Kommunen des nördlichen Ruhrgebietes sowie in einem interkommunalen Arbeitskreis E-Government und hat an diversen Tagungen und Veranstaltungen zu dem Thema teilgenommen, u.a. beim Regierungspräsidenten Münster, in der Staatskanzlei Düsseldorf und zuletzt an einem ver.di-Bundeskongress in Berlin.

Quellen- und Literaturhinweise:

  • Handlungsempfehlungen für datenschutzgerechtes eGovernment der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder; Hrsg.: Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, Hannover
  • Konferenzunterlagen des ver.di-Kongresses „eDemokratie – eGovernment –öffentliche Dienste“ vom 7.-5. Mai 2003 in Berlin
  • „Wie öffentlich und demokratisch wird eGovernment sein?“ 100 Fragen zum Thema eGovernment und öffentliche Dienste, „governet.de Forum für demokratisches eGovernment“, eine Initiative von ver.di (Hrsg. Annette Mühlberg, Band 3 der ver.di-Schriftenreihe „Innovation + neue Medien + Beteiligung, Öffentliche Dienste im Wandel“ )
  • „Online-Arbeiten im Virtuellen Rathaus“, Gewerkschaftliches Memorandum an das Projekt Media@Komm, Esslinger Erklärung, (Hrsg. Annette Mühlberg, Band 2 der ver.di-Schriftenreihe „Innovation + neue Medien + Beteiligung, Öffentliche Dienste im Wandel“)
  • „Rechtskonformes eGovernment, Antworten auf Kernfragen beim Bau eines virtuellen Rathauses“, Media@Komm Erfolgsmodell kommunales eGovernment, Hrsg. vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Februar 2003
  • Kreistagsvorlagen und Statusberichte der Gemeinsamen Kommunalen Datenverarbeitungszentrale Recklinghausen (GKD) zu den eGovernment-Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Kreises Recklinghausen, vom 6.11.2002
  • Broschüre eGovernment-Strategie der Gemeinsamen Kommunalen Datenverarbeitungszentrale Recklinghausen, 2003
  • „Mitbestimmung bei eGovernment“ mit vernetzter Personalratsarbeit, Aufsatz von Dr. Manuel Kiper in der Zeitschrift „Der Personalrat“ 3/03
  • „eGovernment auf der Cebit 2003 - NRW-Behörden präsentieren zukunftsweisende Projekte“, Sonderdruck der Landesregierung NRW zu den „e-services“ auf dem Gemeinschaftsstand der Unternehmen und Verwaltungen aus NRW auf der Computermesse Cebit 2003 in Hannover
  • „Bürgerservice durch eGovernment“, Bericht über den Informationstag der Staatskanzlei NRW für Kommunen am 15. Januar 2003 in Düsseldorf, in der Zeitschrift „VM-Impulse“ zur Verwaltungsmodernisierung und Zukunftsvisionen im öffentlichen Dienst NRW, Ausgabe Februar 2003.
  • „Online: Beschäftigte brauchen Rechte“, Broschüre zur Kampagne von ver.di und OnForTe (Arbeiten, Lernen, Kommunizieren im Netz), www.onlinerechte-fuer-beschaeftigte.de
  • „Call Center, Service Center, eGovernment“, in „aser:info“, Schriftenreihe des Institutes ASER e.V., Ausgabe November 2002
  • „E-Government: Effizient verwalten – demokratisch regieren“, Broschüre der Bertelsmann-Stiftung als Ergebnisinternationaler Recherchen, Hrsg.: Thomas hart, Stefan Friedrichs, Oliver Schmidt, Gütersloh, ISBN 3-89204-663-89
  • „Electronic Government – Chancen der Veraltungsmodernisierung durch Informationstechnologie“, Electronic Office der Industrie- und Handelskammer zu Köln, XIII P+P
  • E-Governent, Folienvortrag W.Neurohr auf der Klausurtagung 2003 der Personalräte Kreisverwaltung Recklinghausen in Bödefeld

Datenschutz und Zukunftsvision eGovernment und eDemokratie: Treffen die Befürchtungen von George Orwell und Aldous Huxley zu?

Vor 100 Jahren, am 25. Juni 1903, wurde der berühmte Autor des Zukunftsromanes „1984“ und „Farm der Tiere“, George Orwell in England geboren. Sein weltbekannter Roman „1984“ handelt am Beispiel des kleinen Angestellten Winston Smith davon, wie ein totalitärer Staat, der „große Bruder“, seine Bürger perfekt kontrolliert und manipuliert, jede individualistische Regung brutal ausmerzt. In Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ (1932) setzt dieser Orwells Terror-Staat östlicher Prägung gleichsam das westliche Pendant entgegen: eine volltechnisierte, kollektivierte Wohlstandswelt, die allen Menschen Luxus und genormtes Glück beschert. Der Preis: Auslöschung jeder Individualität, Untergang von Kunst und Kultur, Verödung der Seele. Beide Spielarten haben sich unter dem Begriff „1984“ zu einem globalen Schreckensbild vereint, das von manchen in Erinnerung gerufen wird mit Blick auf die Gegenwartsplanungen zu eGovernment und eDemokratie.

Während Huxley, anders als etwa H.G. Wells, die Auswirkungen des technischen Fortschritts fürchtete, war Orwell wie Wells ein Optimist, der auf die Weiterentwicklung und Verbesserung ethischer, moralischer und humanitärer Werte hoffte und lediglich befürchtete, diese Fortschritt könne vom Menschen behindert werden. Technischer Fortschritt war für Orwell nicht per se negativ und so sind seine „1984“-Schreckensbilder auch nicht ohne weiteres auf heute projizierbar; sie sind keine Prophezeiungen, vielmehr entschiedene Warnung vor Missbrauch. Dabei hätte der Autor von den heutigen Möglichkeiten nur träumen können:

„Der Televisor war gleichzeitig Empfangs- und Sendegerät. Jedes von Winston verursachte Geräusch, das über ein leises Flüstern hinausging, wurde von ihm registriert. Außerdem konnte Winston, so lange er in dem von der Metallplatte beherrschten Sichtfeld blieb, nicht nur gehört, sondern auch gesehen werden.“

Moderne Techniker können da nur müde lächeln. Kaum ein Quadratmeter der Erde, der heute nicht rund um die Uhr von Satelliten mit hoch auflösenden Kameras überwacht wird. Abhör-Attacken über Hunderte von kilometern sind ein Klacks. Fast alle öffentlichen Räume in großen Städten und manche Bereiche in Betrieben, Banken oder Hotels oder Bahnhöfen werden per Video-Kamera pausenlos überwacht. Dank Handy-Technologie und Auto-Navigatoren lässt sich der Aufenthaltsort des Benutzers sekunden- und metergenau bestimmen. Jeder Schritt im Internet bleibt unauslöschlich und jederzeit nachvollziehbar.

Rund 9 Mio. Bundesbürger, hieß es 1979, seien in geheimen Datenbänken erfasst. Ein knappes Vierteljahrhundert später reden wir von anderen Größenordnungen. Die Zahl der Telefonüberwachungen, berichtete der Bundesdatenschutzbeauftragte im Mai 2003, habe sich seit 1995 verfünffacht. Die Kreditinstitute verfügen über die Datensätze von 55 Millionen Bürgern, mit denen „Warndateien“ bestückt werden. Zentrale Hinweise zum Schutz vor zahlungsunfähigen oder unwilligen Kunden registrierte der Datenschutzbeauftragte auch bei der Versicherungs- und Wohnungswirtschaft. Die weiteren Zugriffsmöglichkeiten auf dem Finanzmarkt könnten zu einer weitgehenden Offenlegung des Sparverhaltens jedes Bürgers führen. Und der Software-Marktführer Microsoft hat längs alle Zugangsmöglichkeiten zu den Daten seiner Internet-Kunden weltweit.

Untrennbar mit der Überwachung, mit der Erhebung und Speicherung von Daten verbunden ist die Frage des Zugriffs, die Absicherung von Missbrauch. Hier ist die Legislative gefordert. Denn in der Praxis werden die Komponenten der Datenschützer, bei wachsendem Aufgabenbereich, eher beschnitten denn erweitert. Der Generalbundesanwalt konstatierte schon vor 20 Jahren: Innere Sicherheit gehe vor Datenschutz, nicht umgekehrt. (Und die Landesregierung NRW erwägt im Zuge von eGovernment, im Rahmen einer „Experimentierklausel“ hinderliche Datenschutzbestimmungen flexibel zu handhaben oder per Gesetzesänderung „den technischen Anforderungen anzupassen“.) Wer aber befindet, wo berechtigtes Sicherheitsbedürfnis beginnt und Schutzwürdigkeit endet?

Die Äußerungen über die Sicherheit von Datenbänken haben oft die Qualität von Glaubensbekenntnissen. Entweder ich vertraue den Verantwortlichen, oder ich tue es nicht. Doch guter Wille, Integrität und Reputation sind eben nicht Verfassungsbestandteil, schützen nicht grundrechtliche Positionen des Einzelnen. Wer die Warnung für überzogene Unkenrufe hält, muss nur nach Amerika blicken, das auch hier die Vorreiterrolle übernommen hat. Der Handel mit Daten blüht. Die Firma ChoicePoint etwa besitzt und verkauft mit steigendem Gewinn die Datensätze von Bürgern. Mit Hinweis auf den 11. September und zum angeblichen Schutz von Freiheit und Demokratie werden unter der Bush-Administration die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen kontinuierlich eingeschränkt. Dass entsprechende Überlegungen bereits vor dem 11.9. angestellt wurden, sei nur am Rande vermerkt.

Gen-Technologie, Embryonenforschung, Klonen – die Liste der problematischen Themen, für die „1984“ steht, lässt sich beliebig fortsetzen. Da sind zum Beispiel Orwells Betrachtungen zur Geschichtsverfälschung, seine Fragen zur Gedankenmanipulation, zur Einschränkung oder Aufhebung der Meinungsfreiheit. Für George Orwell waren die von ihm beschworenen Gefahren aber durchaus abwendbar. Nicht in den Umständen sah er die Bedrohung, sondern in dem, was aus ihnen gemacht wird. Lebte der Autor noch, er würde gewiss jeden Einzelnen eindringlich gemahnen, sein Teil dazu beizutragen, dass eine liberale Verfassung auch liberal angewandt, dass für jeden die größtmögliche persönliche Freiheit und Sicherheit garantiert wird. Insofern ist „1984“ nicht nur eine Warnung, sondern vor allem auch eine Verpflichtung – und das erst recht für alle Betreiber und Befürworter von eDemokratie und eGovernment, denen sich in 5 Jahren kein Bürger und keine Bürgerin sowie kein Berufstätiger mehr entziehen kann. Wolfgang Platzeck im Kulturteil der „Recklinghäuser Zeitung vom 16.5.03