Wilhelm Neurohr

Dass die Sklaverei etwas ganz selbstverständliches ist und neun Zehntel der Menschheit als Sklaven leben müssen, wurde in der griechischen Kultur selbst durch die weisesten Menschen und großen Philosophen wie Plato und Aristoteles nicht hinterfragt. Heute würden wir es als eine Verletzung der Menschenwürde betrachten, wenn jemand noch so denkt. Doch auf einer Tagung der Hans-Martin-Schleyer-Stiftung zur „Weiterentwicklung von Hartz IV“ bewiesen kürzlich die politischen und wirtschaftlichen Eliten und neoliberal orientierte Wissenschaftler auf erschreckende Weise, dass dieses unchristliche Denken in diesen Kreisen sich wie selbstverständlich zur Forderung nach einer neuen Sklaverei der Gegenwart verfestigt und steigert – konträr zur Gegenwartsforderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle zur Abschaffung des modernen Sklaventums unserer Zeit.

Es ist erst zwei Monate her, als der Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner „Forschungsinstitut für die Zukunft der Arbeit“, Hilmar Schneider, auf einer Tagung der angesehenen Hanns Martin Schleyer-Stiftung zur „Weiterentwicklung von Hartz IV“ folgenden Vorschlag unterbreitete: Durch Arbeitslosen-Auktionen auf dem Arbeitsmarkt sollen „Billiglöhner“ „an den Mann gebracht“ werden.[1] Ein Beispiel Das Sozialamt schreibt ein Angebot für 80 Arbeitslose Arbeitskräfte aus. Dann kann jeder bieten, ob Unternehmer oder Privathaushalt. Wer Leute braucht, die ihm den Keller entrümpeln, gibt an, welchen Stundenlohn er dafür zu zahlen bereit ist. Das höchste Gebot gewinnt. Die ersteigerten Arbeitslosen erhalten aber weiter nur ihr Arbeitslosengeld II. Die Erlöse aus der Versteigerung fließen der öffentlichen Hand zu. Für diesen ernst gemeinten zynischen Vorschlag erhielt der Arbeitsmarktsmarktforscher Beifall von den anwesenden Politikern und Wirtschaftsvertretern.

Ablösung der Ware von der Arbeitskraft – oder: Sklaven muss es immer geben?

„Sklaven muss es immer geben“, so hieß es noch zur Zeit des ersten Christentums. Ist es aber noch des neuen Christentums würdig, heute noch so zu reden und zu denken, oder hat derjenige nicht Unrecht, der eines Menschen Arbeit als käufliche und verkäufliche Ware betrachtet? Mit der Erkenntnis, dass die Menschen mit Bezug auf ihre Seele gleich sind vor Gott, hat das Christentum eigentlich die Menschen entsklavt. Doch die Sklaverei ist aus der sozialen Ordnung immer noch nicht ausgeschlossen. Hier wird ein Teil des Menschen, seine Seele, und dazu noch ein im Leib sich Abspielendes, von Menschen als Ware gekauft und auch von ihm selber auf dem Arbeitsmarkt verkauft, nämlich seine Arbeitskraft und seine Fähigkeiten. Es können nicht Hunderte Millionen Menschen wie Maschinen im Produktions- oder Dienstleistungsbetrieb behandelt werden.

Dass Arbeitskraft bezahlt werden kann, empfand Rudolf Steiner als das Aufreibende und Aufregende, als den springenden Punkt (das Punktum saliens) der sozialen Frage:[2] „Die soziale Dreigliederung löst die Ware von der Arbeitskraft ab, so dass die Menschen in der Zukunft nur Ware, nur äußeres Erzeugnis, nur vom Menschen Abgesondertes kaufen und verkaufen können, dass aber der Mensch aus Brüderlichkeit für die anderen Menschen arbeiten wird.“

In diesem Sinne wird derzeit durch die Verfechter der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens die Denkschablone der „käuflichen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt“ zu überwinden versucht. Es geht um die Befreiung des Menschen aus der Abhängigkeit vom Erwerbseinkommen, also um die Überwindung der Sklaverei der Gegenwart, um ein zutiefst christliches Anliegen. Dieses Anliegen zieht inzwischen 1000 bis 1500 Zuhörer in die Vorträge von Götz Werner, der als Geschäftsführer der dm-Drogeriekette über die Medien die Idee des Grundeinkommens populär gemacht hat.

Vollbeschäftigung durch Arbeitszwang? Die Versklavung im Denken

Demgegenüber propagierte der Bonner Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider als ein Sprachrohr der neoliberalen Eliten in einem Zeitungsinterview[3] ungerührt mit seiner geforderten Versteigerung von Arbeitslosen an Meistbietende „mehr Druck auf die Arbeitslosen und Arbeitssuchenden“, indem durch Arbeitszwang Vollbeschäftigung erreicht werden soll. Eine Grundsicherung solle nur denjenigen zukommen, „die am Markt kein Existenz sicherndes Einkommen erzielen können“. Die Menschen seien es der Solidargemeinschaft schuldig, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, egal welcher Art, sonst würden sich die Menschen „in trügerischer Sicherheit wähnen“; durch Zwang entstünde aber größere Motivation. Für die Grundsicherung müsse in jedem Falle gearbeitet werden, um den Anreiz zur Aufnahme regulärer – sprich abhängiger Erwerbsarbeit – zu erhöhen über das Lockmittel des erhöhten Erwerbseinkommens.

Mit der Interview-Frage konfrontiert, der sinnentleerten „Arbeit um jeden Preis“ stattdessen die Alternative eines bedingungslosen Grundeinkommens entgegenzustellen, das den Menschen die Freiheit gebe, das zu tun, was sie wirklich wollen und Kreativität und Produktivität freizusetzen, antwortet Hilmar Schneider: Vor dem Egoismus im Wirtschaftsleben könnten die übrigen Menschen nur geschützt werde über „ökonomische Zwänge“. Er sehe seine Aufgabe als „unabhängiger Wissenschaftler“ darin, unpopuläre Vorschläge in die Debatte einzubringen, die sich die politische Klasse aus Angst vor dem Unmut der Wähler nicht zu propagieren traue. Auf diese Weise gebe es „wenigstens eine kleine Chance auf Bewusstseinswandel, aus dem heraus dann ein zukunftsfähiges und nachhaltiges soziale Sicherungssystem entsteht“.

Kann ein auf Zwangsarbeit und Arbeitszwang beruhendes System des Erwerbseinkommens mit der Arbeitskraft als handelbare oder versteigerbare Ware jemals zukunftsfähig und nachhaltig sein? Ist nicht der beklagte Egoismus im Wirtschaftsleben die Folge eben dieser Abhängigkeitsverhältnisse bei der Erwerbsarbeit? Und bemerken Hilmar Schneider und die ähnlich denkenden Politiker, Wirtschaftsführer und Wirtschaftswissenschaftler nicht ihre eigene Versklavung im neoliberal eingeschnürten Denken mit einem erschreckenden Menschenbild? Die soziale Frage kann nur über die geistige Erkenntnis gelöst werden, die Rudolf Steiner so ausdrückte: „Was als nächste Etappe nach der Überwindung der Sklaverei überwunden werden muss, das ist, dass des Menschen Arbeit Ware sein kann! (…) Es mag ein weiter Weg sein, um das zu erreichen, doch nichts wird die soziale Frage lösen als einzig und allein dieses.“[4]


[1] NRhZ-Online-Neue Rheinische Zeitung vom 19.02.06 und andere Medien

[2] Vortrag in Dornach, 21. September 1918 zu den sozialen Grundforderungen unserer Zeit in geänderter Zeitlage (GA 186)

[3] „Die Tageszeitung“ taz vom 11./12. März 2006 in der NRW-Ausgabe

[4] wie vor