Wilhelm Neurohr

Die dramatischen Ereignisse und blutigen Unruhen mit Hunderten Verletzten und Toten in der kleinen westafrikanischen Republik Togo, die ich in den letzten Tagen und Wochen unmittelbar vor Ort persönlich dort miterlebte, sind eine Schande für das neue Europa. Denn als einer der ärmsten afrikanischen Staaten ist Togo - eine ehemals deutsche und später französischen Kolonie - Schauplatz der heutigen zynischen Afrika-Politik Frankreichs einerseits, das seit Jahrzehnten die Diktatur und jüngst den Militärputsch unterstützt hat, und der fehlenden Afrika-Politik Deutschlands andererseits, das nun zur Zielscheibe der Angriffe der togolesischen Regierungspartei geworden ist. Mit dem Brandanschlag auf das deutsche Goethe-Institut in der Hauptstadt Lomé durch Angehörige des Militärs und mit Steinwürfen auf die deutsche Botschaft, die den zurückgetretenen Innenminister von Togo Zuflucht gewährte, nachdem er die Wahlmanipulationen der Militärregierung verurteilte, nahmen die Ereignisse ihren verhängnisvollen Lauf.

Ich gehörte zu den etwa 300 Deutschen, die das Land Togo auf dem Höhepunkt der Unruhen vorsorglich am 30. April verlassen mussten, zusammen mit fast 12.000 einheimischen Flüchtlingen, die teilweise durch die Grenzflüsse in die Nachbarländer Benien oder Ghana flüchteten, nachdem die Grenzen geschlossen wurden. Während des letzten Halbjahres hatte ich insgesamt 4 Monate in Togo verbracht, um das Entwicklungs- und Dreigliederungsprojekt der Ananas-Kulturfarm AVENIR nördlich der Hauptstadt Lomé voranzubringen, über das mehrfach im Goetheanum berichtet wurde. Die letzte April-Woche verbrachte ich bei einer befreundeten Familie in Lomé, weil die Flüge nach Paris ausgefallen waren und Straßensperren und Barrieren ein Fortkommen z.B. über die Grenze des Nachbarstaates Benin vereitelten.

Ich wohnte ausgerechnet im Stadtteil Bé, inmitten der Hochburg der demokratischen Oppposition. Hier waren die größten Proteste, Unruhen und Brände durch Molotowcocktails und hier wüteten anschließend tagelang die uniformierten Soldaten und Gendarmen, um im Auftrag des regierenden Diktators bzw. seines noch amtierenden Interimspräsidenten Terror und Angst unter der Bevölkerung zu verbreiten. Telefon- und Internetverbindungen sowie Radio waren ohnehin unterbrochen und die Menschen somit von allen technischen Informations- und Kommunikationsmitteln abgeschnitten, so dass ich auch kaum Kontakt zu Deutschland aufnehmen konnte.

Ich erlebte, wie bewaffnete Trupps von 4 bis 5 jungen Soldaten in die Häusern der Straße eindrangen und wahllos die männlichen Bewohner mit Gewehrkolben verprügelten. Im Nachbarhaus wurde ein 8-jähriges Kind erschossen, ob absichtlich oder versehentlich. Ein befreundeter Nachbar erlitt einen Streifschuss an der Stirn. Auch an unsere verbarrikadierte Tür hämmerten sie laut und zornig und ließen erst nach, als jemand sagte, dort wohne eine Deutsche, das könne Ärger geben. Einen Tag später hätte gerade die Tatsache, dass dort eine Deutsche wohnt, Gefahr für Leib und Leben bedeutet, nachdem sich die Propaganda und der geschürte Hass auf die in Togo ansonsten sehr beliebten Deutschen gerichtet hatte, weil sie mit der Opposition sympathisieren würden.

Der deutsche Botschafter in Lomé, mit dem ich persönlich oft Kontakt hatte, wurde von der Propaganda fälschlich als ehemaliger SS-Funktionär angeprangert, was allein schon aufgrund seines Geburtsjahrganges 1941 nicht stimmen kann. Tags zuvor hatte ich noch mit einem jungen Soldaten, der mit zwei anderen auf dem Hausdach das Wohnviertel beobachtete, ein Gespräch geknüpft, als er um Essen bat, das ihm am hellichten Tag verweigert wurde, um nicht bei den Bewohnern als Unterstützer der Militärs zu gelten. Er stand selber nicht hinter dem Regime und den Massnahmen und verurteilte die Verhältnisse, wie viele andere Soldaten auch, aber sie hatten Angst zu desertieren oder Befehle zu verweigern, weil sie um ihr eigenes Leben fürchteten. Obendrein werden sie gar nicht oder nur sporadisch entlohnt.

Vorausgegangen waren die manipulierten Wahlen, bei denen sich Faure Gnassingbé, ein Sohn des kürzlich verstorbenen Diktators Gnassingbé Eyadema - der 38 Jahre lang in seiner Gewaltherrschaft von Frankreich und zeitweilig auch vom damaligen deutschen Politiker Franz-Josef-Strauss unterstützt wurde - zum Wahlsieger mit 60% ausrufen ließ. Ein zivilgesellschaflicher Wahlbeobachter der Liga für Menschenrechte erklärte, dass er Wahlen wie diese noch nie erlebt habe. Zunächst hatte sich Faure nach dem Tod seines Vaters - der von Frankreichs Staatspräsident Jaques Chirac als ein „enger persönlicher Freund seiner Familie und Freund Frankreichs“ gewürdigt wurde - durch einen Militärputsch im Februar verfassungswidrig an die Macht gebracht, umgeben von französischen Beratern. Auf Druck der afrikanischen Union und der internationalen Gemeinschaft war er dann im März zwar zurückgetreten, wohnte aber weiterhin im Präsidentenpalast und benutze das Präsidentenflugzeug usw. Den laut Verfassung als Übergangspräsidenten vorgesehen Parlamentsspräsidenten hatte er nach einer Auslandsreise die Wiedereinreise ins Land verweigert und selber nach einer Verfassungsänderung, die ihn zur Fortführung der ursprünglichen Amtszeit seines verstorbenen Vaters berechtigte, die Wahlvorbereitungen kurzfristig veranlaßt.

Die oppositionelle Forderung, neutrale Wahlbeobachter aus Europa nach Togo zu entsenden, wusste Frankreich innerhalb der EU offensichtlich zu verhindern. Auch die UNO konnte angeblich in so kurzer Zeit keine Wahlbeobachter entsenden, obwohl Kofi Annan, der aus dem togolesischen Nachbarland Ghana stammt, die widrigen Verhältnisse in Togo sehr wohl kannte. Nicht einmal eine Wahlverschiebung war gefordert worden. Lediglich einige Nichtregierungsorganisationen stellten vereinzelte Wahlbeobachter und baten auch AVENIR um Mitwirkung. Die demokratische Opposition, ein Zusammenschluss von 6 Parteien, einigte sich auf den 74-jährigen Bob Akitani als Gegenkandidaten, nachdem der im Exil lebende charismatische 66-jährige Oppositionsführer Gil Christ Olympio nicht kandidieren durfte, weil er die letzten Jahre nicht im Land leben konnte. Auf dessen Vater, den ersten demokratischen Präsidenten von Togo vor der Zeit Eyademas, hatte seinerzeit Gnassingbé Eyadema ein tödliches Attentat verübt, bei dem ein maßgebliches Mitwirken der Franzosen vermutet wird. Nach einer kurzzeitigen Militärregierung kam dann Eyadema als Diktator selber an die Macht und manipulierte im Laufe seiner Amtszeit wiederholt die Verfassung und die Wahlen und überstand dank der Unterstützung Frankreichs alle Proteste aus der Bevölkerung und aus der internationalen Gemeinschaft.

Nach seinem Tod durch Herzinfarkt während eines Fluges trat nun sein Sohn Faure auf den Plan, der bereits mit 16 Jahren auf ein Militärinternat nach Frankreich kam - Präsisdent Chirac kannte ihn bereits als Kind - und der später angeblich Management in Frankreich studierte. Sein Vater hatte ihn dann zum Minister für Bergbau, öffentliche Bauten und Telekommunikation in Togo ernannt, damit war er zuständig für die Kernbereiche der Korruption in Togo. Zugleich verwaltete er das Familienvermögen der Diktatoren-Familie und baute mafiöse Handelsstrukturen im Klüngel von Staatspartei, Militärführung und Wirtschaftselite auf. Diese Machtstellung prädestinierte ihn unter den zahlreichen Söhnen des Diktators offenbar für die Nachfolge. Er beherrscht das Metier seines Vaters fast ebenbürtig oder übertrifft ihn noch.

Schon im Vorfeld der jetzigen umstrittenen Wahlen behaupteten seine Beamten, es gebe nicht genügend Papier, so dass vor allem in den Oppositionshochburgen nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt zur Wahl zugelassen wurden.

Neutrale Wahlbeobachter sind der Überzeugung, dass mindestens 80 bis 90% der Wähler, - vor den Wahllokalen hatten sich lange Schlangen gebildet - das Oppositionsbündnis gewählt hatten. Dies entspricht auch meinen persönlichen Erlebnissen in den Wochen vor der Wahl, in denen die Menschen in der Hauptstadt - wo die Mehrzahl der 5 Mio. Togolesen wohnen - in seltener Einmütigkeit und Ausgelassenheit mit gelben T-Shirts in den Straßen tanzten in Erwartung der demokratischen Befreiung, beinahe so wie in der Ukraine.

Doch dann wurde ich Augenzeugin eines wiederholten Vorfalls direkt gegenüber meinem Wohnqurtier, wo die Schule als Wahllokal hergerichtet war: Maskierte Gestalten in Uniform und mit Gewehren im Anschlag strürmten nach Schüssen in die Luft kurz vor Schliessung das Wahllokal, entrissen die Wahlurne mit den Stimmzetteln, steckten die Zähllisten und Wahlzettel in Brand und schossen dann wahllos in die Menschengruppen. Wie mir ein Bekannter aus der Schule später im Gespräch berichtete, habe man die Leiber der 5 dabei getöteten Personen in den Kofferraum des Militärfahrzeugs gepackt und so die Mordopfer beseitigt. In anderen Wahllokalen zeugten die schon ausgezählten und nur halb verbrannten Wahllisten noch von dem überwältigenden Wahlsieg der Opposition.

Als Faure Gnassingbé dann zum Wahlsieger mit 60% ausgerufen und sofort als erstes von Frankreich als Wahlsieger anerkannt wurde, während Amerika das Wahlergebnis anzweifelte und die Wahlmanipulation kritisierte, begannen jugendliche Oppositionelle mit lautstarken Protesten in den Strassen, steckten Autos, Reifen und Holz in Brand und randalierten, bis hin zu Plünderungen von Geschäften der in Togo verhaßten Libanesen, die wesentliche Handelsbereiche, insbesondere auch den Autohandel mafiös aufgeteilt haben. Angeheizt wurden die Proteste, als die afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS bei einer Konferenz in Nigeria den Vorschlag machte, eine nationale Gemeinschaftsregierung aus Oppositions- und Regierungsparteien mit dem Diktator Faure Gnassingbé und dem Oppositionsführer Olympio zu bilden, der angeblich zugestimmt habe, was dieser umgehend dementierte, weil man Faure nicht akzeptiere. Die Opposition rief daraufhin eine eigene Gegenregierung aus und provozierte damit die Terroraktionen der Militärs in der Hauptstadt mit ihren neuwertigen Waffen aus dem Westen.

Frankreich hatte wohl die Reaktionen der eigentlich sehr friedlichen Togolesen, die bislang nicht zum Bürgerkrieg oder zur Gewalt neigten, unterschätzt und deshalb die nigerianische Konferenz im Hintergrund mit organisiert. Nach Informationsquellen der Opposition habe Nigeria dafür das Versprechen von Frankreich erhalten, dass es sich für die Aufnahme Nigerias als afrikanische Vertretung im Weltsicherheitsrat einsetzen wolle.

Nachdem ich am 30. April mit einem verspäteten Flug von Lomè nach Paris unversehrt Togo verlassen konnte, aber noch die Häme und die Aggressionen der Zollbeamten im Flughafen ertragen musste, die mich zum Mitfeiern des Wahlsieges des Diktators aufforderten - auch im Flugzeug saßen Regierungsvertreter in Nadelstreifenanzügen, die in Paris mit Diplomaten den Wahlsieg feiern wollten - komme ich erst jetzt dazu, das Erlebte aufzuarbeiten und die Berichte aus Europa darüber auszuwerten. Was die Entwicklungen in Togo für das AVENIR-Dreigliederungsprojekt auf dem Lande und für die Dörfer bedeutet - wo man von all den Ereignissen kaum etwas mitbekam - ist noch nicht absehbar. Es soll und wird weitergehen, nachdem jetzt der Kindergarten mit 48 Kindern seinen Betrieb aufgenommen hat und während meines Aufenthaltes 350 neue Obstbäume gepflanzt wurden. Unser togolesicher Projektleiter ist mit seiner gesamten Familie jedenfalls von der Stadt auf die AVENIR-Farm geflüchtet und weiß nicht, was derweil mit seinem zurückgelassenen Haus in der Stadt passiert.

Es ist Frankreich vorzuwerfen, dass es Jahrzehnte lang ein Regime unterstützt hat und weiter unterstützt, dass Togo in die Katastrophe getrieben hat. Die EU hat sogar seit Jahren jegliche Entwicklungshilfe eingestellt, die eigentlich nach Verbesserung der situation wieder begonnen werden sollte. Deutschland muss sich vorhalten lassen, dass es außer Appellen an die togolesische Militärdiktatur, die Hetze gegen die Deutschen zu unterlassen und die deutschen Einrichtungen unbehelligt zu lassen, kein eigenes Konzept für eine Afrika-Politik hat. Dabei tragen die früheren Kolonialherren Deutschland und Frankreich eine ganz besondere Verantwortung für Togo und die anderen afrikanischen Staaten.

Während der deutsche Regierungschef dem französischen Staatspräsidenten zu Hilfe eilte, um eine drohende Ablehnung der umstrittenen EU-Verfassung durch das französische Volk zu verhindern, betreiben die beiden europäischen Regierungen auf dem fernen Schauplatz Togo ohne Verurteilung der dortigen Wahlmanipulationen ihre gegensätzlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen aus - wie zu besten Zeiten der Kolonialzeit und jenseits aller Demokratie- und Menschenrechtsfragen. Hier kam das alte Europa wieder zum Durchbruch. Dies wird für mich Gesprächsthema in den nächsten 5 Wochen sein, wenn ich mit meinem Mann und mit Freunden in Frankreich über die Rolle Frankreichs in Togo berichte und wir uns in die Diskussionen über die EU-Verfassung in Frankreich bis Ende Mai mit einbringen.

Mechthild Gruner-Neurohr
(Mitverfasser: Wilhelm Neurohr)