Wilhelm Neurohr

Wohnungsnot und Armutsbekämpfung im Wahljahr 2025

„Bezahlbares Wohnen muss höchste politische Priorität erhalten“

„Bezahlbares Wohnen ist der Schlüssel zur sozialen Integration“ betonte das „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ vor zwei Wochen am „Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut“. Doch die Forderung der Sozialverbände und Mietervereinigungen nach einem Umdenken bei den politischen Prioritäten, um die Krise auf dem Wohnungsmarkt zu beenden, blieb bei Regierung und Opposition ein Jahr vor der Bundestagswahl ungehört. An der Wahlurne könnten die Mieter und Wohnungsuchenden den Parteien einen Denkzettel verpassen, denn sie fühlen sich verhöhnt durch solche Wahlplakate mit leeren Versprechungen: „Kanzler für bezahlbares Wohnen – Scholz packt´s an!“

Von verstärkten Anstrengungen bei der drängenden Wohnungsfrage, die wahlentscheidend sein kann, ist weiterhin nichts zu merken, obwohl das Land einen Rekord an Wohnungslosen verzeichnet. Mieter und Wohnungsuchende, die steigende Mieten und teilweise Wucherpreise nicht mehr zahlen können, fühlen sich von den Parteien im Stich gelassen. Viele davon wenden sich womöglich als Protestwähler den Rechtspopulisten zu, obwohl diese ebenso wenig zu einer Problemlösung beitragen wie die etablierten Parteien mit ihrem Totalversagen in der Wohnungsmarktpolitik.

Zwar hat die Bundesregierung der Wohnungsnot den Kampf angesagt, doch die versprochenen 400.000 neue Wohnungen sind nicht in Sicht und eigentlich werden sogar noch ein paar hunderttausend Wohnungen mehr gebraucht, nämlich insgesamt 700.000 an der Zahl. Eine überfällige Bodenrechtsreform zur Verbilligung von Bauland und Eindämmung der preistreibenden Grundstücksspekulation steht gar nicht auf der Tagesordnung. Und das von Kanzler Scholz vollmundig versprochene „Schließen der Schlupflöcher bei der Mietpreisbremse“ ist ausgeblieben, so dass der Anstieg der Mietpreise für manche zu einer Armutsfalle wird. Jeder vierte Mieterhaushalt ist inzwischen von Armut bedroht. Nur seine Jusos in der SPD halten noch die Forderung nach einem Mietenstopp, einem Mietendeckel oder einer Mietpreisbremse aufrecht.

„Eiszeit am Immobilienmarkt“ mit ungenutzten Potenzialen

Auch die fast 2 Mio. leerstehenden Wohnungen (über 4%) teils als Spekulationsobjekte, werden nicht mobilisiert. Und auch mögliche Aus -und Anbauten, Dachausbauten oder Wohnungsteilungen im Wohnungsbestand gehen zu schleppend voran. Fast jede zweite Wohnung, darunter auch Einfamilienhäuser, werden landesweit von Singlehaushalten belegt, mit oft viel zu großen Wohnflächen für eine einzelne Person. Nebst den unzureichenden Neubauten gibt es somit ungenutzte Wohnungspotenziale, während andererseits die Wohnungsuchenden Schlange stehen. Zudem fehlen bundesweit 2 Mio. altersgerechte Seniorenwohnungen als Mangelware Nr. 1. Den Seniorinnen und Senioren droht eine echte Wohnungsnot. Aber auch junge Familien, Studenten und Singles suchen verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum.

Deutschland steht vor einer „Eiszeit am Immobilienmarkt“, mit drastischen Folgen. Vor allem fehlt es an sozial gefördertem Wohnraum, wie das Bündnis feststellt. Ihm gehören die Diakonie Deutschlands, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, der Deutsche Mieterbund und die nationale Armutskonferenz sowie das Bündnis „AufRechtbestehen“ an. Letzteres fordert sogar eine Verstaatlichung von Wohnungs- und Energiekonzernen, um bezahlbaren Wohnraum in öffentlicher Hand unter demokratischer Kontrolle zu schaffen und bestehendes zu überführen. Dies wäre dauerhaft günstiger als hohe Wohnkosten über Wohngeldzuschüsse zugunsten der Vermieter und Immobilienbesitzer und der privaten Immobilienkonzerne zu subventionieren.

Regelungen gehen an der Realität am Wohnungsmarkt völlig vorbei

Da mehr als 12% der Bürgergeld-Haushalte im Schnitt 100 € Wohnkosten aus ihrem Regelsatz bestreiten müssen, weil ihre Wohnung als „nicht angemessen“ eingestuft wird, obwohl sie keine Chance haben, eine billigere Wohnung zu finden, müssen wieder ausreichende Angebote an zugänglichem sozialem Wohnraum erstellt werden. Die bestehenden Regelungen gehen an der Realität am Wohnungsmarkt völlig vorbei. Dennoch will FDP-Finanzminister Lindner die Wohnkosten für die Bürgergeldbezieher nur noch pauschal ansetzen, ohne die tatsächlichen Mietkosten zu berücksichtigen. Und Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) will das Bürgergeld am liebsten ganz abschaffen.

Der Wohnungsbau braucht eine auskömmliche öffentliche Förderung, denn der Wohnungsmangel ist akuter denn je. Und die gemäß Koalitionsvertrag der Ampelregierung eingeführten Regelungen zur Wiederbelebung der Wohngemeinnützigkeit durch sozial orientierte Unternehmen (mit Steuervergünstigungen) zugunsten von angebotenen Mieten unter der marktüblichen Miete zeigen noch keine spürbare Wirkung. Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland ist bereits auf 263.000 gestiegen, das ist binnen 5 Jahren ein Anstieg um 17%. In NRW sind das über 78.000 Wohnungslose, darunter auch Familien mit Kindern. Insgesamt drängen 1,5 Mio. Zuwanderer zusätzlich auf den Wohnungsmarkt. Der Ukraine-Krieg lässt die Zahl der Wohnungssuchenden weiter steigen. Noch nie war der Druck auf dem Wohnungsmarkt so groß.

Auch die Mittelschicht kann ihre Wohnungsmiete kaum noch aufbringen

Inzwischen sind von der Wohnungsnot und den ungebremst steigenden Mietpreisen auch die Mittelschichten massiv betroffen. In NRW kann sich über die Hälfte der Bevölkerung mit mittlerem Einkommen kein bedarfsgerechtes Wohneigentum mehr leisten. Ihr Traum vom Eigenheim ist angesichts der steigenden Bau- und Grundstückspreise längst geplatzt und sie drängen ebenfalls auf den überteuerten Mietwohnungsmarkt mit seinem Wohnungsmangel. Der dort herrschende Mietenwahnsinn führt dazu, dass dreimal so viele Menschen wie früher ihre Miete nicht mehr bezahlen können und die steigende Miete immer mehr Haushalte überlastet. NRW verzeichnet einen Rekord an Wohnungslosen.

In den Großstädten lebt jeder zweite Haushalt in zu kleinen und zu teuren Wohnungen. Die Zahl der Wohngeldberechtigten stieg seit Jahresbeginn um 2 Millionen. Täglich gibt es über 80 Zwangsräumungen, insgesamt mit 30.000 mehr als je zuvor. Der Mietenwahnsinn hat soziale Sprengkraft.

Mieten verschlingen bis 50% des Nettoeinkommens

Wurden bislang ein Viertel bis max. 30% eines Haushaltseinkommens für die Miete und die Wohnkosten aufgewendet, so müssen heute viele Mieter 40% ihres Einkommens dafür aufbringen. Bei rund 7 Mio. Menschen verschlingen die Mietkosten bereits 50% des Nettoeinkommens. Das sind unhaltbare Zustände. Doch die eingeführte unzureichende Mietpreisbremse als Schutzregelung ist quasi tot, weil die unsoziale FDP, die beträchtliche Spenden aus der Immobilienbranche erhält, die Mietpreisbremse nicht bis 2029 verlängern will, wie im Koalitionsvertrag eigentlich vorgesehen.

Das Bündnis aus Mieterbund, Wohnungswirtschaft, Baugewerkschaft und Sozialverbänden hatte deshalb im Vorjahr am „Tag des Wohnungsbaus“ vor sozialen Konflikten gewarnt. Es droht eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Die Wohnungsversorgung entwickelt sich damit zur sozialen Frage Nr.1. Das verbriefte Menschenrecht auf eine bezahlbare Wohnung als Grundbedürfnis gerät ins Wanken. „Preisexplosionen können Wohnträume zum Einsturz bringen“ (Helmut Glaßl).

Regierungswechsel ohne Hoffnung auf Änderungen für Mieter?

Wer auf einen Regierungswechsel hofft und damit auf Lichtblicke am Wohnungsmarkt, sollte bedenken, dass CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz als Multimillionär sein Geld vor allem als Aufsichtsratschef beim Finanzkonzern BlackRock verdient hat, dem zweitgrößten Aktionär des Immobilienspekulanten Vonovia. Mit dem Auslaufen der Mietpreisbremse werden jährlich wieder „Milliarden von den Mietenden zu den Besitzenden geschaufelt, von unten nach oben made by FDP“, wie die taz in einem Kommentar schreibt. Über die fragwürdige Aktienrente werden die künftigen Rentnerinnen und Rentner dann „mit Brosamen an den Spekulationsgewinnen beteiligt.“

Die Mieterinnen und Mieter und die Wohnungslosen und Wohnungsuchenden haben nur eine Chance auf Verbesserung der unerträglichen Situation am nicht funktionierenden Wohnungsmarkt, der die grundgesetzliche Sozialverpflichtung des Eigentums in unserem Sozialstaat einfach ignoriert: Sie müssen im Wahlkampf Ihre Anliegen, Sorgen und Nöte auf Platz 1 der Themenliste setzen und alle Parteien dazu herausfordern. Kommunen, Land und Bund sind jetzt massiv gefordert. Aber auch private Initiativen und Ideen zur Problemlösung sind gefragt.

Wilhelm Neurohr, 29. Oktober 2024