Wilhelm Neurohr

Vergebliche Proteste gegen Rechtsextremismus?

Tabubruch nach der Europawahl:

Erwartet uns ein rechtes Dreierbündnis von Ursula von der Leyen, Giorgia Meloni und Marine le Pen?

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Foto: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Suche nach rechten Bündnispartnern

Verlässt knapp zwei Wochen vor der Europawahl die in Umfragen führende CDU mit ihrer Spitzenkandidatin den demokratischen Konsens, um sich erneut mit Hilfe von Rechtsextremen die Spitzenposition und die Mehrheit in der EU zu sichern? Die CDU bereitet zusammen mit der Europäischen Volkspartei (EVP) längst den Tabubruch vor und will offensichtlich die Brandmauer nach rechts skrupellos durchbrechen, wenn es um die Macht in Europa geht. Hierbei ist die Machtbewusste Ursula von der Leyen überzeugte „Wiederholungstäterin“ auf der Suche nach Bündnispartnern rechts von der CDU im neuen EU-Parlament. Schon in der letzten Wahlperiode hat sie wegen ihrer Rücksicht auf den ungarischen Rechtspopulisten Orban und die polnischen Nationalisten, denen sie 2019 ihre Wahl als Kommissionspräsidentin mit hauchdünner Mehrheit verdankte, das EU-Parlament verärgert.

Als geeignete Bündnispartnerin betrachtet sie nun vor allem die umworbene postfaschistische Partei „Fratelli d`Italia“ der italienischen Regierungschefin Meloni. Dieser hat vor wenigen Tagen die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen von der rechtsnationalen und europa-skeptischen Partei „Rassamblement National“ (vormals Front National) eine Zusammenarbeit angeboten. Bahnt sich hier ein rechtes Dreierbündnis im EU-Parlament an? Denn plötzlich verschiebt die gesamte CDU-Führung die Brandmauer zwischen Konservativen und Rechtsaußenparteien nach rechts von Giorgia Melonis Partei, um mit einem „Mitte-Rechts-Bündnis“ die Machtposition ihrer Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen zu sichern, wie die ARD-Sendung Monitor am 23. Mai berichtete. Die amtierende Kommissionspräsidentin ist jedoch gerade wieder mit mehreren Skandalen und einem Strafverfahren konfrontiert, deren Aufarbeitung aber bis nach der Europawahl verschoben wurden, um ihrer Wiederwahl nicht zu schaden.

Zuvor hatten sich CDU-Politiker scheinheilig an den monatelangen Protesten Hunderttausender Bürgerinnen und Bürger gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie beteiligt. Die größte parteiübergreifende Demokratie- und Protestbewegung seit Jahren muss sich nun vor der Europawahl von der beteiligten Unionspartei getäuscht fühlen, aus deren Reihen bekanntlich mehrere Politiker auch an dem Potsdamer Geheimtreffen zum Thema „Remigration“ mit der AfD beteiligt waren, als Auslöser für die anhaltenden Demos. Die daraufhin erfolgte Abgrenzung der Unionspartei nach rechts hielt jedoch nur bis zur Europawahl, um danach alle Tabus zu brechen und jetzt einen Richtungswechsel anzustreben?

Zugeständnisse an die Rechten im EU-Parlament

Nun stellt sich in Europa die Unionspartei ungeniert an die Seite der Rechtsextremen aus den übrigen EU-Staaten. Schon die von den Menschenrechten abrückende EU-Flüchtlingspolitik auf dem "Kontinent der Menschenrechte" war ein Zugeständnis an die Rechtspopulisten und Nationalisten, die bei der diesjährigen Europawahl laut Umfragen ein Viertel der Parlamentssitze im EU-Parlament erhalten könnten und damit auch den Anspruch auf Posten in der EU-Kommission. Statt eines Zusammenrückens der demokratischen Parteien gegen die politischen Extremisten erleben wir also stattdessen eine Anbiederung der deutschen konservativen Unionsparteien an die Parteien von Rechtsaußen in der EU.

Unterteilung in gute und schlechte Rechtsextreme?

Der ultrarechten ID-fraktion im EU-Parlament - ein Zusammenschluss der EU-Abgeordneten aus rechtspopulistischen, nationalistischen und rechtsextremen Parteien - rechnet man den erfolgten Ausschluss der deutschen AfD aus ihrem rechten Fraktionsbündnis hoch an - als angeblichen Beweis für ihre pro-europäische Rechtsstaatlichkeit mitsamt NATO-treue und Ukraine-Unterstützung, so lautet die offizielle Begründung der CDU-Spitzenpolitiker. Die Union unterteilt also in gute und schlechte Rechtsextremisten, obwohl sie auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit mit der verrufenen AfD nicht ausschließt und aktuell bei der Kommunalwahl in Thüringen ein CDU-Stadtratskandidat in Ruhla zugleich als AfD-Kandidat für den Kreistag antrat. Bei ihrem politischen Opportunismus ist der Union scheinbar jede politische Konstellation recht, wenn es ihrem Wahlerfolg dient. Bei der EU-Wahl könnte ihr allerding der entlarvende Rechtsruck allerlei Stimmen kosten, die sie aber durch Zugewinn aus bisherigen AfD-Wählergruppen zu kompensieren hofft.

Keine Berührungsängste zu Neofaschisten?

Erst vor wenigen Tagen feierte die Bundesrepublik das 75-jährige Grundgesetz, dass von seinen Vätern und Müttern als Bollwerk gegen einen erneuten politischen Rechtsruck angelegt war, der nun wieder mit konservativen deutschen Politikern als Geburtshelfer bevorsteht, und das sogar auf europäischer Ebene. Aus ihrer engen Freundschaft zur ultrarechten italienischen Premierministerin Giorgia Meloni macht Ursula von der Leyen keinen Hehl. Und auch CSU-Chef Markus Söder eilte kürzlich zum Besuch bei Premierministerin Meloni nach Rom.

Dort schränkt Melonie nach dem Vorbild von Viktor Orban gerade die Pressefreiheit ein und macht sich die öffentlich-rechtlichen Sender gefügig. Mit einer geplanten Verfassungsänderung will sie ihre Machtposition gegenüber dem Parlament ausweiten. Und ihren armen Bürgergeld-Empfängern in Italien hat sie das Bürgergeld komplett gestrichen, so dass diese verarmen. Da lacht das CDU- Herz, die auch in Deutschland das Bürgergeld abschaffen will.

Dass Meloni mit dem noch rechteren Matteo Salvini koaliert, dessen rechtsextreme Partei Lega ihre Verbindungen zur Neonazi-Szene mit ihren Aufmärschen nicht leugnet, scheint von der Leyen und Söder nicht zu stören, und auch nicht Jens Spahn, der die Zusammenarbeit befürwortet, ebenso wie der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Um wieder die Kommissionspräsidentin zu stellen, scheut man also nicht vor Bündnissen mit Europas extremen Rechten, denen die Union insgeheim wohl näher steht als sie zugeben will.

Mussolini-Anhänger mit Hitlergruß und Aufmärschen im Schlepptau

Erstaunlich sind die sehr verhaltenen Kommentare in den meisten Medien auf die Ankündigung der CDU-Spitzenkandidatin, die postfaschistische italienische Partei Melonis, in der es auch Mussolini-Anhänger gibt und vereinzelt der Hitlergruß gezeigt wird, als künftige (geläuterte) Bündnispartnerin im EU-Parlament zu betrachten. Dies verwundert nicht, denn schon zum autokratischen und korrupten Rechtspopulisten Viktor Orban aus Ungarn hielten CDU und CSU jahrelange freundschaftliche Verbindungen, z.B. bei Orbans Freundschafts-Besuch auf der CSU-Klausur 2019, mit inhaltlicher Übereinstimmung in der Asylpolitik. Dafür lobte auch Donald Trump damals den ungarischen Autokraten und empfing ihn in Washington.

Die EVP-Fraktion der konservativen Parteien im EU-Parlament, zu der auch die Unionsparteien gehören, hat unter dem Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU) allzu lange mit Orbans Fidesz-Partei kooperiert und schielt schon seit längerem für die Zeit nach der nächsten Europawahl nach möglichen Partnern rechts von der Union, im Gleichklang mit Ursula von der Leyen.

Ursula von der Leyen als Wiederholungstäterin

Zur Erinnerung: Bereits nach der letzten Europawahl in 2019 hatte sich die CDU-Spitzenpolitikerin Ursula von der Leyen ihre Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin (mit äußerst knapper Mehrheit) in geheimer Wahl mit Hilfe der Rechtspopulisten von Viktor Orbans Fidesz-Partei und von Polens nationalistischer PIS-Partei sowie vermuteter Stimmen auch einzelner Rechtspopulisten aus anderen EU-Ländern wählen lassen, nachdem die Grünen und die SPD ihr die Wahl verweigerten. Angela Merkel hatte dazu im Vorfeld eigens den damaligen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nach Polen geschickt, um bei PIS-Parteichef Kaczyński für die deutsche Kommissionskandidatin zu werben; sie selber führte dazu Telefongespräche mit Victor Orban. In den meisten Medien wurde dies nicht skandalisiert (anders als beim Tabubruch im Thüringer Landesparlament im Fall Thomas Kemmerich, der sogar zum Rücktritt von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer führte).

Ermittlungen und Verfahren wegen von der Leyens skandalösen Fehlverhaltens

Aktuell läuft übrigens gegen Ursula von der Leyern eine Klage des EU-Parlamentes vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie eigenmächtig die Freigabe von Geldern an Ungarn vorgenommen hatte, die eigentlich wegen Korruption eingefroren waren. Außerdem laufen staatsanwaltliche Ermittlungen gegen sie wegen des Pfizer-Impfstoff-Deals, bei dem sie überdies beweisträchtige Nachrichten vom Handy gelöscht hat (wie schon zuvor bei ihren Skandalen als deutsche Verteidigungsministerin, wo sie auch eigenmächtiger Auftragsvergaben und des Löschens von beweisträchtigen Handydaten bezichtigt wurde). Damit hat sie auch gegen die Transparenzregeln der EU verstoßen.

Große Verärgerung hat sie jüngst auch dadurch ausgelöst, dass sie ihren Büroleiter aus ihrem Kommissionsbüro nun als ihren CDU-Wahlkampfleiter für die Europawahl eingesetzt hat, so dass kein klarer Trennstrich zwischen Parteiarbeit und neutralem Kommissionsbüro eingehalten wird. Zugleich wollte sie per Günstlings- und Vetternwirtschaft einen CDU-Parteifreund zum EU-Mittelstandsbeauftragten berufen, obwohl es im Auswahlverfahren qualifiziertere Bewerber gab.

Aktuell hat Ursula von der Leyen (als Freizeit-Reiterin) gegen den Verhaltenskodex für EU-Kommissare verstoßen, da sie die Lobbyorganisation European Horse Network (EHN), die im EU-Parlament ein und aus geht, mehrmals empfangen hat, obwohl EHN nicht im EU-Transparenzregister gemeldet ist. Für den Europa-Wahlkampf hat Ursula von der Leyen eine 70.000 € teure online-Werbekampagne schalten lassen, in der sie ihre eigene Arbeit anpreist, ohne die Urheberschaft ordentlich auszuweisen nach dem Verhaltenskodex für die Parlamentswahlen.

Noch nicht vergessen ist auch die bis heute nachwirkende "Berateraffäre" der Ursula von der Leyen während ihrer vorherigen Tätigkeit als deutsche Verteidigungsministerin, als sie die Unternehmensberaterin Katrin Suder von McKinsey zu ihrer Rüstungsstaatssekretärin machte und die Millionenaufträge für Beratungen an deren ehemaligen Arbeitgeber McKinsey eigenmächtig absegnete, während zugleich ihr ältester Sohn bei McKinsey tätig war. Zeitweilig war auch eine Tochter von Ursula von der Leyern bei McKinsey untergebracht, um dort ihre Bachelor-Arbeit zu schreiben.

Die unbeliebteste EU-Kommissionspräsidentin selbst in eigenen Reihen

Laut Infratest sind 53% mit der Arbeit der EU-Kommissionspräsidentin unzufrieden und selbst die CDU-Anhänger sind laut Forsa zu 51% dagegen, dass sie nochmal für eine zweite 5-jährige Amtszeit antritt. Schon mit ihrer Arbeit als Verteidigungsminsterin waren 2/3 unzufrieden. Das prädestiniert sie nun für die Spitzenkandidatur und ihre Wiederwahl im EU-Parlament mit Hilfe ihrer rechtsextremen Freundinnen und Freunde aus Italien, Frankreich und Ungarn?

Personelle Überschneidungen von CDU und AfD

Wenn die ehrgeizige EU-Kommissionspräsidentin der CDU mit Unterstützung ihrer nach rechts gerückten Parteiführung nunmehr auf europäischer Ebene die politische Zusammenarbeit mit Rechtsaußen, insbesondere mit ihrer als pragmatisch gelobten Freundin Giorgia Meloni anstrebt, dann ist das nicht nur fragwürdige Taktik zur Machterlangung, sondern offenbar auch ideologische Geistesverwandtschaft mit den Strömungen rechts von der CDU. Denn nicht von ungefähr gibt es an den Rändern der CDU bis zur Mitte der Partei personelle Überschneidungen mit der AfD seit ihrem Anbeginn: Über 6% der rund 35.000 AfD-Mitglieder waren vorher in der CDU oder CSU, insgesamt 2.200 an der Zahl. Bekanntlich war auch der heutige AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland vorher prominentes CDU-Mitglied als Chef der Staatskanzlei von CDU-Ministerpräsident Roland Koch in Hessen, bevor er ankündigte die CDU-Kanzlerin „zu jagen“. In 2022 wechselte die langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach zur AfD und führt seitdem die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung. Für die Büroleiter- und Mitarbeiter-Stellen in den Abgeordnetenbüros der AfD-Bundestagsabgeordneten bewarben sich auch zahlreiche Mitarbeiter, die vorher für die Unionsaabgeordneten tätig waren. Die AfD ist "Fleisch vom Fleische" der CDU, so hieß es damals.

Der frühere Verfassungsschutz-Präsident Georg Maaßen wechselte von der CDU in seine eigene rechtspopulistische Partei „Bündnis Deutschland“, die eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausschließt. Vorher war er Vorsitzender der CDU-nahen „Werteunion“, die lange Zeit von der CDU und einigen Spitzenpolitikern wie Jens Spahn hofiert wurde und die auch Friedrich Merz protegierte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte der heutige CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Werteunions-Vorsitzenden Maaßen vor rechtem Gedankengut in Schutz genommen.

Der frühere Vorsitzende der Werteunion, Max Otte, Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung und Berater des Bundeswirtschaftsministeriums, wurde in 2022 noch als CDU-Mitglied zum Bundespräsidenten-Kandidaten der AfD aufgestellt. Berlins früherer CDU-Finanzsenator Kurth, der auch als OB-Kandidat der CDU in Köln antrat, hat rechtsextreme Netzwerke mit sechsstelligen Summen unterstützt. Mit ihm auf dem umstrittenen Potsdamer Geheimtreffen der Rechten war auch der Jurist Ulrich Vosgerau mit CDU-Parteibuch, der die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat.

Bürgerproteste gegen rechts weiterhin mit der CDU oder gegen sie?

Alle Distanzierungen der CDU von ihren rechten Abweichlern in eigenen Reihen erscheinen nun im Lichte der EU-Strategien der CDU als fragwürdig und unglaubwürdig, wenn nicht jetzt eine intensive innerparteiliche Debatte darüber startet mit Widerspruch durch die demokratisch gesinnte Parteibasis.
Die überparteiliche Demokratiebewegung sollte vor und nach der Europawahl ihre Proteste gegen rechts verstärken und die Gefährdung der Demokratie auch in Europa in den Blick nehmen. Ob sie bei den parteiübergreifenden Aktionen weiterhin mit der CDU auftritt, sollte sie davon abhängig machen, ob sich deren örtliche und regionale Repräsentanten gegen die rechten Bestrebungen in eigenen Reihen glaubwürdig aussprechen und kein doppeltes Spiel betreiben. Wehret den Anfängen!

Wilhelm Neurohr, 27. Mai 2024

Siehe auch vorherigen Beitrag im Lokalkompass unter:

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