Wie die Corona-Krise Missstände an den Schlachthöfen beseitigen hilft:
Die unendliche Geschichte des Schlachtbetriebes Oer-Erkenschwick
Starke Worte und späte Einsicht des NRW-Gesundheitsministers Laumann (CDU) zu den Missständen in den Schlachtbetrieben der Fleischindustrie: „Jahrelanges parteiübergreifendes Versagen“ hat er eingestanden und kündigt jetzt „Nulltoleranz und Austrocknen des Sumpfes“ an. Das betrifft nicht nur den Kreis Steinfurt, sondern in starkem Maße auch den Kreis Recklinghausen. Vorausgegangen waren hier Mitte Mai fast 2000 Massentests mit 40 festgestellten Corona-Fällen am Westfleisch-Schlachtbetrieb Oer-Erkenschwick (vormals Gustoland und davor Barfuß).
Wenn böse Zungen von „mafiösen Strukturen“ in der Fleischbranche sprechen, dann seien hier aus der Region nur einige „Highlights“ in Erinnerung gerufen. Mit jahrzehntelanger Unterstützung durch Politiker vor Ort und im Land wurde erst der „unternehmerische Erfolg“ beim Handel mit Billigfleisch zu Lasten des Tierwohls, des Verbraucherschutzes und des Arbeitnehmerschutzes ermöglicht, den man am liebsten für „systemrelevant“ erklären würde.
Dreiviertel der Schlachthofbeschäftigten mit prekären Werkverträgen
Von den derzeit 1850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim „größten Arbeitgeber in der Stadt“ Oer-Erkenschwick sind heute 1350 (= 73 Prozent!) prekär beschäftigte Werkvertragsarbeiter von dubiosen Subunternehmen, überwiegend aus Rumänien, aber auch aus Ungarn und Lettland. Diese Billiglohnempfänger sind in Containern am Werksgelände oder in dicht belegten Schlichtwohnungen auch in Nachbarstädten untergebracht, für die ihnen überhöhte Miete vom spärlichen Lohn abgezogen wird. Die hygienischen Bedingungen und der Arbeitsschutz waren schon immer Streitpunkte, ebenso die unzureichenden amtlichen Kontrollen: „Die Schutzmaßnahmen enden am Werkstor“ beklagt die Gewerkschaft „Nahrung, Genuss, Gaststätten“.
Erst nachdem das Land NRW die zuständigen Kreisgesundheitsämter wegen der Coronna-Fälle bei Westfleisch-Mitarbeitern angewiesen hatte, bei den Wohnungen und Arbeitsstätten der Billiglohnempfänger aus Osteuropa genauer hinzuschauen, wurden diese tätig, nachdem diese zu lange weggeguckt hatten. Das Kreisgesundheitsamt und das städtische Ordnungsamt nahmen daraufhin Mitte Mai 2020 erste Kontrollen vor, die sich auf hygienische Zustände und vorhandene Infektionsmittel sowie auf die Liste mit der angeblichen Raumbelegung beschränkten. Ergebnis: Keinerlei Hinweise auf erhöhtes Risiko und deshalb keine Wohnungsschließungen.
Im Geschäftsbericht 2018 von Westfleisch heißt es: „Unsere Mitarbeiter sind motiviert und qualifiziert. (…) Auch die Mitarbeiter der von uns beauftragten Subunternehmer erhalten den Mindestlohn von 7,50 €.“ (Inzwischen wohl angepasst auf 9,35 € ab 01.01.2020). Außerdem würden den Mitarbeitern „Genussrechte“ und sogar Aktien der Westfleisch-Finanz AG angeboten. Die rumänischen Werkvertrags-Mitarbeiter als Aktionäre?
Die unendliche Geschichte des Oer-Erkenschwicker Schlachtbetriebes
Besonders krass währte „parteiübergreifendes Versagen in Oer-Erkenschwick in der Vergangenheit über 40 Jahre lang (!). In Zukunft wird alles besser? Die „unendliche Geschichte“ des Oer-Erkenschwicker Schlachtbetriebes, in dem es nach Aussagen von Insidern zeitweilig zuging „wie in einem Tollhaus“, lässt sich wie ein spannender Kriminalroman nachlesen. So z. B. im Zeitungsarchiv der „Recklinghäuser Zeitung“ und „Stimberg-Zeitung“ des Medienhauses Bauer und der WAZ, aber auch in den überregionalen Medien. „Ein Fall für Günther Wallraff“, so meinten Kritiker seinerzeit.
Denn vor nunmehr 30 Jahren wurden die amtlichen Fleischkontrolleure und Tierärzte des Kreises (ebenso wie einige dem Unternehmer zugeneigten Orts- und Kreispolitiker) mit jährlichen Fleischpaketen des zu kontrollierenden Barfuss-Unternehmens großzügig beschenkt. Und das behördliche Kontrollpersonal wurde außerdem vom Unternehmen zur jährlichen Weihnachtsfeier in die Werkskantine eingeladen. Die leitenden Tierärzte weilten angeblich sogar regelmäßig im Partykeller von Barfuss zur gemeinsamen Lagebesprechung, so wurde behauptet. Das Unrechtsbewusstsein war offenbar schwach ausgeprägt. Daraufhin ermittelte damals der Staatsanwalt. Der leitende Tierarzt des Kreises vor Ort im Schlachthof wurde (auch wegen weiterer Verfehlungen) später strafversetzt in den Innendienst, sein Vorgesetzter im Veterinäramt bekam Besuch von Polizei und Staatsanwaltschaft mit Hausdurchsuchung daheim wegen Korruptionsverdachtes.
Missstände sollten möglichst nicht benannt werden
Auch die Gewerbeaufsicht wurde von einigen Mitarbeitern des Veterinäramtes und deren Interessenvertretern wiederholt in den Schlachtbetrieb der Gebrüder Barfuss gebeten wegen unhaltbarer hygienischer Bedingungen und unzumutbarerer Arbeitsbedingungen sowie mangelhafter Sozialräume etc. Die leitenden Tierärzte vor Ort sahen weniger die Notwendigkeit, klagten die Fleischkontrolleure, so dass vom Schlachthofbetreiber die Missstände zumeist nur sehr zögerlich oder unzulänglich behoben wurden. Der Betriebsrat von Barfuss, der seiner Geschäftsleitung loyal verbunden war, verurteilte die Beschwerden aus den Reihen des amtlichen Kontrollpersonals. Angeblich soll es auch Bedrohungen danach gegeben haben, wie ehemalige Mitarbeiter schilderten. Ein besonders krasser Fall: Ein Kreisveterinär, der zu genau hingeschaut hatte bei der Fleischkontrolle, wurde nach eigenen Angaben abends auf dem Heimweg nach Münster von Kollegen oder Betriebsangehörigen verfolgt und hatte daraufhin aus Angst seine Stelle sofort gekündigt, wie er Gewerkschaftsvertretern anvertraute.
Später in den 90-er Jahren gab es häufige Überschreitungen der Arbeitszeitverordnung und von Dienstvereinbarungen, indem zeitweilig unzulässige 12- bis 16-Stunden-Schichten für das behördliche Kontrollpersonal sowie zu schnelle Bandgeschwindigkeiten oftmals an der Tagesordnung waren, oft ohne Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Pausen- und Ruhezeiten. Ob die Kontrolleure gegen Schichtende noch zu einer gründlichen und konzentrierten Fleischüberprüfung imstande waren – oder war das gar nicht erwünscht? Diese Skandalserie begann bereits in den 1980-er und 1990er Jahren und steigerte sich dann mit der Übernahme des Barfuss-Schlachtbetriebes durch Westfleisch im Jahr 2004.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft offenbarten mafiöse Verflechtungen
Dass die Staatsanwaltschaft in 2005, ein Jahr nach der Übernahme von Barfuss durch Westfleisch, gegen Subunternehmer und Leitende Angestellte von Westfleisch ermittelte wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung und zudem wegen des Verdachtes der Steuerhinterziehung, wegen Betruges und der Bildung einer kriminellen Vereinigung, ist fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Hinzu kam der Verdacht auf Geldwäsche und Schwarzarbeit mit einem Schaden von 14 Mio. €. Die Verflechtungen mit rumänischen Scheinfirmen und deren Sozialversicherungsbetrug in Millionenhöhe traten zutage, so dass laut Urteil 2,4 Mio. Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen waren. Dass die Werkvertragsarbeiter der Subunternehmen in 12-Stunden-Schichten 6 Tage in der Woche Akkordarbeit am Schlachtband leisten mussten, war dabei nur ein Randthema.
In 2006 berichtete „Report Mainz“ über den „Gammelfleisch-Skandal“ und die Ermittlungen der Essener Staatsanwaltschaft dazu. Hier der Originalton:„Die Firma BARFUSS in Oer-Erkenschwick, eine Großschlachterei. Hier fallen jedes Jahr Hunderte Tonnen solchen Schlachtabfalls an. Doch statt sie zu entsorgen, verkaufte das Unternehmen seinen Schlachtmüll an den dubiosen „Fleischhändler Uwe D.“ Der musste wissen, was er da kaufte. Das Material war als Schlachtabfall deklariert. Doch der Hinweis, dass das Fleisch nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, wurde auf dem Lieferschein einfach nachträglich geschwärzt. (…) Eingelagert hat Uwe D. laut Ermittlungen der Essener Staatsanwaltschaft das Stichfleisch in diesem Kühlhaus in Melle. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Firma den Behörden auffällt. 90 Tonnen, größtenteils vergammeltes Ekelfleisch, wurden hier im vergangenen Jahr beschlagnahmt. Von Geschäftsbeziehungen zu Uwe D. will man hier aber nichts wissen.“
Keine Wertschätzung für Qualität und Transparenz?
Um für die Verbraucher zu verschleiern, woher die Fleisch- und Wurstwaren in den Billig-Discounterläden stammen, wurden die Produkte des in die Negativ-Schlagzeilen geratenen Barfuss-Großbetriebes unter verschiedenen Phantasienamen (wie „Zimbo-Wurst“ u. a.) vermarktet. Die Stiftung Warentest hatte 2007 einzelne Produkte der verschiedenen Fleischproduzenten bepunktet in Bezug auf Unternehmensverantwortung für Soziales und Umwelt. Bei der Firma Barfuss („unter ferner liefen“) wurden nur unzureichende Ansätze attestiert sowie kaum Einflussnahme auf die Schweinezucht, vor allem auch keine Kontrolle und Einfluss auf die Produktionskette. Das Nichtvorhandensein sozialer Leitlinien bei Barfuss wurde ebenso bemängelt wie kein genügend verankerter Umweltschutz sowie nur lückenhafte Bearbeitung von Kundenanfragen.
Dessen ungeachtet brüstete sich Westfleisch in seinem Geschäftsbericht 2008 mit folgender Aussage:„Auf der ANUGA im Oktober 2007 in Köln wurden die „Qualitätspartnerschaft Westfleisch“ und das neue Logo erstmals der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Fachleute und Wettbewerber erkannten gleichermaßen an, dass sich Westfleisch als erstes Unternehmen in der Fleischbranche zu Sozialverantwortung, Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Tierschutz und Tierwohl, Qualitätskontrollen und Frischegarantie, Mindestlohn und Mitarbeiterbeteiligung bekennt.“ Und weiter heißt es: „In bisher 15 Bausteinen geht es um Transparenz im Prozesssystem und in der Kommunikation, um die Garantie von Qualität, Herkunft und Sicherheit, um die Gleichrangigkeit von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten und um Vorgaben, die über den gesetzlichen Normen liegen und die sich dokumentieren und auditieren lassen.“ Die Ergebnisse der Auditierung 2018 zeigten jedoch vor allem, dass in 15 Punkten lediglich keine Verschlechterungen eingetreten waren.
Qualitätskontrolle zugunsten der Verbraucher gewährleistet?
In den Schlachthöfen sollen eigentlich die amtlichen Fleischkontrolleure und Veterinäre (im Akkord am Schlachtband) dafür sorgen, dass die Schlachthygiene zugunsten des Verbraucherschutzes eingehalten wird und so nur als unbedenklich eingestuftes Fleisch weiterverarbeitet wird. Zudem hat die Gewerbeaufsicht auf die Arbeitsbedingungen und den Gesundheitsschutz des Schlacht- und Kontrollpersonals zu achten. So waren die gültigen Regelungen. Nachdem jedoch die gründliche Kontrolle der Tierkörper durch Anschneiden und Anfassen 2014 per EU-Recht durch die bloße visuelle Inaugenscheinnahme ersetzt wurde, schlugen laut Panorama-Sendung vom März 2016 die Fleischkontrolleure in den Schlachtbetrieben bei ihren Veterinärämtern allenthalben Alarm. Das dadurch reduzierte und überlastete Kontrollpersonal könne nicht mehr die einwandfreie Qualität des Fleisches gewährleisten, weil etliche Abszesse in die Zerlegung gelangten. Dies war auch strittiges Dauerthema beim Schlachtbetrieb Oer-Erkenschwick und beim zuständigen Kreisveterinäramt, umso mehr mit Blick auf die geplante Steigerung und Verdoppelung der Schlachtzahlen. Doch die Fleischlobby hatte sich mit ihrer höchst umstrittenen Neuregelung bei der EU durchgesetzt zu Lasten wiederum der Verbraucher.
Die Firma Barfuss und später Westfleich hatten zuvor gegen fast jeden angeblich „zu hohen“ Gebührenbescheid des Veterinäramtes vor dem Verwaltungsgericht geklagt, mit dem die Personal-und Sachkosten für die Fleischkontrolle durch das Kreispersonal von Gesetzes wegen in Rechnung gestellt wurde, wie in der Regionalpresse nachzulesen. Stets wurde durch das Unternehmen angezweifelt, ob nicht zu viel Kontrollpersonal durch die Kreisbehörde eingesetzt wurde und ob die arbeitsrechtlich auch zu bezahlenden Pausenzeiten zu großzügig bemessen worden seien. Insbesondere die regulär zu bezahlenden Krankenfehlzeiten von Fleischkontrolleuren und Tierärzten waren kostenmäßig ein Dorn im Auge. Dazu überließ man(unzulässiger Weise) dem Unternehmen die internen Personaleinsatzpläne der Kreisbehörde für ihr Kontrollpersonal zur kritischen Überprüfung. Die Gerichts- und Verfahrenskosten sowie juristischen Personalkosten für den Kreis dürften sich im Laufe der Jahre für den Steuerzahler summiert haben.
Bürgerinitiative gegen den zweitgrößten Schlachthof in Deutschland
Zum damaligen Zeitpunkt der Übernahme des Barfuss-Schlachtbetriebes durch Westfleisch im Jahr 2004 wurden insgesamt bereits 5,5 Mio. Schweine geschlachtet und zusammen 750.000 Tonnen Fleisch verarbeitet. Das erhöhte den Umsatz von Westfleisch auf 1,5 Mrd. € und beförderte das Unternehmen zum drittgrößten in Deutschland und zum fünftgrößten in Europa. In 2016 schlachtete Westfleisch insgesamt bereits 8 Mio. Schweine. Und in 2017 schlachtete es allein in Oer-Erkenschwick 220.000 Schweine mehr als im Vorjahr infolge der geplanten Verdoppelung in zwei Stufen von 55.000 auf 100.000 Schweine pro Woche. Damit soll der bundesweit zweitgrößte Schlachthof entstehen, abgesegnet durch die am 02.Juli 2018 mit geringfügigen Auflagen erfolgte Genehmigung des Kreises Recklinghausen.
Dagegen wehrte sich die Bürgerinitiative „Nein zur Westfleisch Erweiterung“. Sie hatte 2018 in einer Kreistagsitzung 3.266 Unterschriften an den Landrat übergeben und hält seither Mahnwachen vor dem Werkstor ab. Ihre Ablehnung begründen sie mit „Tierleid, schlechten Arbeitsbedingungen, Umweltbelastungen u.a. durch Abwässer, Geruchsbelästigungen und erhöhtem Verkehrsaufkommen“. Bereits Anfang Dezember 2017 hatte der Kreis allerdings schon mitgeteilt, keine gesonderte Umweltprüfung durchzuführen. Nach einer Vorprüfung gehe man nicht von einer zunehmenden Lärm-und Geruchsbelästigung aus. Durch bauliche und technische Veränderungen sollen sich die Werte sogar verbessern, heißt es. Zu den Geruchsbelästigungen der Wohngebiete in der Nachbarschaft und Windrichtung heißt es in der amtlichen Genehmigung vom 2. Juli 2018 zu der gefühlten Belästigung der Anwohner lapidar: „Unangenehme, aber nicht ekelerregende Gerüche“.
Schwachstelle Tiertransporte und Tierwohl
Die Geschäftsleitung von Westfleisch brüstet sich in ihrem Geschäftsbericht von 2018 mit der Selbstverpflichtung, Transportzeiten für die Schlachttiere von in der Regel unter 4 Stunden einzuhalten, mit angemessener Ladedichte und sinnvollen Ruhezeiten vor der Schlachtung. Aufgrund regionaler Verdichtung von Vertragsbetrieben betrage die mittlere Entfernung zum Westfleisch-Standort 56 km bei einer Transportzeit von angeblich unter 2 Stunden bei Schweinen. Dies verbindet sie mit einem Bekenntnis zur Regionalität der tierischen Erzeugnisse in landwirtschaftlichen Betrieben Nordwestdeutschlands. Das sah lange Zeit auch in der Ära von Barfuss wohl noch anders aus.
Die Anlieferung von Hunderttausenden Schweinen wöchentlich mit LKW zum Oer-Erkenschwicker Schlachthof am Hübelkamp aus Intensivtierhaltung erforderte lange Zeit auch Transporte aus Holland, Dänemark und Osteuropa – also lange Tiertransporte von über 8 Stunden Dauer mit einzuhaltenden Auflagen. (Laut Transport-Verordnung ist es beispielsweise zulässig, Rinder bei Temperaturen bis 35 Grad über eine Dauer von 29 Stunden zu transportieren, bis sie zum ersten Mal den LKW verlassen müssen. Hier steht ihnen jeweils nur eine Fläche von 1,6 Quadratmetern zur Verfügung). Die Situation für die Tiere verschlimmert sich, wenn die unzureichenden Bestimmungen auch noch missachtet werden. Das geschieht leider täglich, wie investigative Journalisten und Tierschutzverbände vielerorts beobachtet haben. Es werden oft mehr Tiere auf die Lastwagen geladen, als erlaubt ist. Die Pausen-Zeiten zur Versorgung der Tiere werden nicht eingehalten, Tiere mit Verletzungen werden verladen, Fahrzeuge haben technische Mängel usw. Auf dem Oer-Erkenschwicker Schlachthof sollen zeitweilig mit Schweinen voll beladene LKW angeblich die halbe Nacht am Werkshof auf den morgendlichen Schlachtbeginn gewartet haben, entgegen den Regelungen der Transportverordnung und des Tierschutzes. Nachgewiesen oder überprüft wurde dieser Vorwurf allerdings nicht.
Veterinärrechtliche Auflagen zur Tötung der Schlachttiere
In der behördlichen Genehmigung des Kreises vom 02.07.2019 für den erweiterten Schlachtbetrieb in Oer Erkenschwick sind u. a. folgende veterinärrechtlichen Auflagen enthalten, die Außenstehenden einen anschaulichen Einblick in die Tötungsmaschinerie des Schlachthofes geben. Dort heißt es in Auszügen: „Die Tiere sind so zu betäuben, dass sie schnell und unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Wahrnehmungs-und Empfindungslosigkeit versetzt werden. (…) Schweine müssen ohne Einengung des Brustkorbes aufrecht und auf festem Boden stehen können, bis sie das Bewusstsein verlieren. (…) Schweine müssen spätestens 30 Sekunden nach dem Einschleusen in die Betäubungsanlage den ersten Halt erreichen“.
„Zum Zwecke der Betäubung müssen Schweine mindestens 100 Sekunden in der v.a. Kohlendioxidkonzentration verbleiben. Die erforderliche Kohlendioxidkonzentration von mindestens 80 % zur Betäubung von Schweinen muss am ersten Halt und am letzten Halt vor dem Auswurf in der Kohlendioxidbetäubungsanlage in Kopfhöhe der Tiere gewährleistet sein. Die Kammer, in der die Schweine dem Kohlendioxid ausgesetzt werden, muss mit Geräten zur Messung der Gaskonzentration am ersten Halt und am letzten Halt vor dem Auswurf ausgestattet sein.“ Im Geschäftsbericht 2018 von Westfleisch heisst es: Weil Verbraucher nicht mehr akzeptieren, dass männliche Ferkel ohne Betäubung kastriert werden, werden alle von Westfleisch vermarkteten Ferkel seit Jahresbeginn vor dem Eingriff mit Schmerzmitteln behandelt – wie es seit 1. April 2009 den QS-Bedingungen entspricht.“
Wenig Rücksicht auf die Umwelt?
Seit Jahrzehnten beklagen sich die Anwohner vor allem des Oer-Erkenschwicker Stadtteils Horneburg über die penetranten Geruchsbelästigen durch den Schlachtbetrieb, aber auch über die Verkehrs- und Lärmbelästigung durch die intensiven LKW-Transporte Tag und Nacht. (Die Nachttransporte wurden inzwischen per Auflage für das Erweiterungsvorhaben eingeschränkt). Heftige Diskussionen gab es auch laut Presse und Erörterungsprotokoll vom 16.01.2018 über die 2009 schließlich erteilte Genehmigung durch die Kreisverwaltung und Bezirksregierung für die Grundwasserentnahme von 1 Mio. Kubikmeter für betriebliche Zwecke, mit befürchteten Folgen für den Grundwasserhaushalt.
Bis zur behördlich auferlegten Nachrüstung der Betriebskläranlage wurde das verschmutze Abwasser des Großbetriebes teils ungeklärt in den überlasteten Esseler Bruchgraben eingeleitet, wie Kritiker laut Presse behaupteten. Inzwischen wurde gutachtlich erklärt, dass die vorhandene Kläranlage des Dattelner Mühlenbaches für die unbedenkliche Aufnahme der erhöhten betrieblichen Abwässer ausreichen würde. Stolz bekennt sich die Geschäftsführung von Westfleisch in ihrem Geschäftsbericht 2018 auf ihre „Erfolge bei der Ressourcenschonung seit 2001“ und auf den Ökoprofit-Audit als Standard in allen ihren Schlachtbetrieben. Die Firma hat den Umweltschutz entdeckt, auch wenn im März 2018 23 Verletzte durch Gasaustritt bei Reinigungsarbeiten zu verzeichnen waren.
Politische Unterstützung für das Fleischunternehmen
Wenn der NRW-Umweltminister Laumann (CDU) mit Blick auf die großen Schlachtbetriebe von einem „jahrelangen parteiübergreifenden Versagen der Behörden spricht“, dann sollte sich der Blick zwangsläufig auch auf die enge Verquickung zwischen Politikern und Fleischunternehmern sowie Behörden in Stadt und Kreis unter dem Aspekt falsch verstandener regionaler Wirtschaftsförderung richten, wo „eine Hand die andere wäscht“. Bereits in den 1970-er Jahren gingen die ersten negativen Schlagzeilen über Oer-Erkenschwick durch die Regionalpresse, nachdem Firmenchef Norbert Barfuss eine umstrittene Baugenehmigung durch den Oberkreisdirektor für einen private Villa im landschaftlich geschützten Außenbereich ( bei der ehemaligen Jugendherberge Oer-Erkenschwick am Haardrand) erhielt. Der skandalöse Deal für das Wohnhaus wurde legalisiert mit der Idee, durch eine angegliederte Fasanenzucht o. ä. eine Ausnahmegenehmigung als landwirtschaftlicher Nebenerwerbbetrieb zu erhalten. Auch darüber hinaus gepflegte freundschaftliche Bande zwischen den Unternehmer-Brüdern Barfuss und dem damaligen Kreisverwaltungschef waren legendär.
Regelrecht als Lobbyist für den heimischen Barfuss-Fleischbetrieb betätigte sich vor allem lange Jahre der damalige SPD-Landtagsabgeordnete aus Oer-Erkenschwick, zugleich örtlicher Parteivorsitzender und Fraktionschef im Stadtrat sowie Mitglied im Kreistag und im SPD-Unterbezirksvorstand. (In 2004 trat er nach internen Querelen aus der SPD aus und wechselte zur Bürgerpartei Oer-Erkenschwick, ab 2009 dann zur rechtspopulistischen UBP). Beruflich als selbständiger Kaufmann tätig, wurde besagter SPD-Politiker mit Wurst-und Fleischwaren der Firma Barfuss zu günstigen Konditionen beliefert, so wussten jedenfalls seine verärgerten Parteifreunde zu berichten. Als Landtagsabgeordneter setzte er sich für Fördermittel des Landes zugunsten der Schlachtbetriebs-Erweiterung von Barfuss zum „Europa-Schlachthof“ ein, unterstützt von einem CDU-Spitzenpolitiker aus dem Kreis im Landtag, dem man damals einen Beratervertrag bei Barfuss nachsagte, was nicht dementiert wurde. Übrigens erhielt besagter SPD-Politiker in Oer-Erkenschwick ebenfalls eine umstrittene Baugenehmigung für ein privates Wohnprojekt am Rande des Landschaftsschutzgebietes, wie seinerzeit von der Presse aufgedeckt. Weil sich die Kreisbehörde zunächst sträubte, wurden der damalige Baudezernent des Kreises und sein zuständiger Sachbearbeiter zum damaligen Bürgermeister von Oer-Erkenschwick (ebenfalls zeitweiliger Landtagsabgeordneter) einbestellt, um nach rechtlichen Möglichkeiten einer Genehmigung für den Parteifreund zu suchen.
Das unschlagbare Arbeitsplatzargument?
Letztlich zählte für die Stadt- und Kreispolitiker aller Parteien zugunsten des Schlachtbetriebes Barfuss das unschlagbare Argument der heimischen Arbeitsplätze. Dass es sich überwiegend um prekäre Zeit- und Werkvertrags-Arbeitsplätze für Billiglöhner aus Osteuropa handelte, hat selbst die Sozialdemokraten auf ihrem damaligen Agenda-Kurs bis heute nicht gestört. Und die Grünen im Kreistag mit ihrer zaghaften Umweltkritik waren zu eng in einer Art Dauerkoalition im Kreistag an die unternehmensfreundliche CDU angebunden, als dass sie allzu kritisch mit den Schlachtbetrieb politisch ins Gericht gehen mochten. Solche Verflechtungen zwischen Parteien, Behörden und Schlachtunternehmen vor Ort sollte Minister Laumann ins Visier nehmen, wenn er glaubhaft „den Sumpf austrocknen“ will, an dem auch die Landesregierung allzu lange wohlwollend beteiligt war.
Wilhelm Neurohr