Wilhelm Neurohr

Email-Antwort der CDU-Bundesgeschäftsstelle vom 04.03.2010 zum zugesandten Aufsatz:

„Thüringen ist überall – Scheinheiligkeit nach einer ganzen Serie politischer Tabubrüche“ vom 07.02.2019

Sehr geehrter Herr Neurohr,

vielen Dank für Ihr Schreiben an den Generalsekretär der CDU Deutschlands, Herr Paul Ziemiak. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass Herr Ziemiak aufgrund der Vielzahl von Anschreiben nicht persönlich auf jedes antworten kann. Entschuldigen Sie die verspätete Antwort. Aufgrund der Vielzahl an eingegangenen Anfragen sind wir in Verzug geraten. Wir bitten Sie dies zu verzeihen.

Ihre Hinweise haben wir aufmerksam gelesen und sind für Ihre offenen Worte und Ihre Anmerkungen sehr dankbar. Gerade die Rückmeldungen sind für uns immer wieder hilfreich und außerordentlich wichtig.

Danke für Ihr Schreiben anlässlich der Situation in Thüringen. Für die CDU Deutschlands gilt: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter, noch in indirekter Form. Jetzt geht es darum, schnell für stabile und klare Verhältnisse in Thüringen zu sorgen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Neuwahlen dafür der klarste Weg sind. Äußerungen von SPD, Grünen und Linken mit einem Ultimatum zur Vertrauensfrage weisen darauf hin, dass von deren Seite offenbar keine Neuwahlen gewünscht sind.

Für uns gilt:

1. Von der CDU gibt es keine Stimmen für einen Kandidaten der AfD oder der Linkspartei.

2. Von der CDU gibt es keine Stimmen für einen Kandidaten, der auf Stimmen der AfD angewiesen ist.

3. Bodo Ramelow hat offensichtlich keine Mehrheit im Thüringer Landtag.

4. Wir erwarten, dass es eine Bereitschaft von SPD und Grünen gibt, einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu präsentieren, der oder die als Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin nicht das Land spaltet, sondern das Land eint.

5. Die CDU ist zur konstruktiven Mitarbeit bereit. Sie hat bereits Projekte definiert, auf deren Grundlage eine konstruktive parlamentarische Sacharbeit im Interesse des Landes möglich ist.

6. Wenn der Versuch scheitert, innerhalb des Parlamentes und unter Wahrung der hier genannten Grundsätze der CDU stabile Verhältnisse zu erreichen, sind Neuwahlen unausweichlich.

Vom Statut der Partei her sind die Landesverbände der CDU autonom. Sie bestimmen die Politik in ihrem eigenen Landesverband. Zudem ist ein Abgeordneter in seinem Mandat frei. Allerdings sind die Landesverbände und Mitglieder an die Grundsätze und Beschlüsse gebunden, die die Bundespartei, grundsätzlich über ihre Parteitage, gefasst hat. Vereinfacht ausgedrückt: Wo CDU draufsteht, muss CDU drin sein. Die CDU hat immer wieder bestätigt, dass sie jedwede Zusammenarbeit mit Links- und Rechtsaußen ausschließt. Durch die Wahl von Thomas Kemmerich ist der Eindruck des Zusammenwirkens der CDU Thüringen bzw. ihrer Landtagsabgeordneten mit der AfD entstanden. Aus innerer Überzeugung und infolge unserer Beschlusslage hat unsere Parteiführung zurecht darauf hingewiesen, diesen Fehler für die Zukunft zu korrigieren.

Dass die CDU-Abgeordneten dem Wahlverhalten, ihren eigenen Kandidaten nicht zu wählen, auf den Leim gegangen sind, ist ein schwer nachvollziehbarer Vorgang. Er hat viele Menschen irritiert und Vertrauen beschädigt. Es gilt jetzt, durch richtiges Handeln Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die CDU in Thüringen wird sich glaubhaft neu aufstellen müssen.

Für eine gewisse Freude, dass der sozialistische Kandidat nicht zum Ministerpräsidenten gewählt worden ist, mag man gewisses Verständnis haben. Allerdings ist der Preis, dass Herr Kemmerich durch Nationalisten zum MP gewählt wurde, zu hoch und erschüttert die Grundfesten der Demokratie. Kurzum: Die Wahl geschah zwar demokratisch, aber unter Beteiligung der AfD, die gerade die Demokratie lächerlich machen will. Es gibt keine bürgerliche Mehrheit im Thüringer Landtag.

Die Alternative für Deutschland ist eine in weiten Teilen antidemokratische, geschichtsvergessene, faschistoide und menschenverachtende Partei. Herausragende Vertreter der AfD wie Björn Höcke und Alexander Gauland verharmlosen den Nationalsozialismus. Die AfD ist aus unserer Sicht eine gefährliche Partei für unsere Gesellschaft und unser Land. Sie ist antibürgerlich, in Teilen rechtsextremistisch und antisemitisch. Große Teile der AfD verfolgen einen völkisch-autoritären Politikansatz und stellen grundlegende Prinzipien unserer Verfassung infrage. Sie verachtet demokratische Institutionen und die repräsentative Demokratie. Das hat sie im Thüringer Landtag sehr deutlich bewiesen. An Lösungen für die Menschen ist sie nicht interessiert. Sie setzt ihre Meinung mit dem („wahren") Volkswillen gleich. Sie verachtet Kompromiss und Ausgleich, die das Wesen einer stabilen und erfolgreichen Demokratie sind. Die Partei sät Hass, verachtet und versucht, unser Land zu spalten. Sie schürt Ängste, Neid und Missgunst. Die AfD unterteilt die Gesellschaft in Freund und Feind. Die CDU gehört für die AfD zu den Feinden, die es zu zerstören gilt. Deshalb sehen wir die AfD als politischen Gegner, mit dem es keine Zusammenarbeit geben kann. Zwischen Union und AfD kann es nur klare Kante und schärfste Abgrenzung geben. Koalitionen oder irgendeine andere Art der Zusammenarbeit sind für aufrechte Christdemokraten ausgeschlossen. Das wäre ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten.

Sollten Sie weitere Fragen oder Anregungen haben, können Sie sich gerne erneut an uns wenden. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute!

Mit freundlichen Grüßen aus dem Konrad-Adenauer-Haus

Till Sager

CRM-Team

Bürgerservice der CDU-Bundesgeschäftsstelle

Antwort-Email vom 06.03.2020 an die CDU-Bundesgeschäftsstelle

Sehr geehrter Herr Sager,

für Ihre ausführliche Antwort mit Darstellung der (hinlänglich bekannten) Beschlusslage der Bundes-CDU zur Abgrenzung gegenüber der AfD bedanke ich mich. Die Beantwortung geht aber völlig an dem von mir angesprochenen Sachverhalt vorbei.

Mir ging es nämlich nicht nur um das Fehlverhalten einiger CDU-Landtagsabgeordneter und Parteifunktionäre in Thüringen. Sondern es ging mir vor allem um den vorausgegangenen, viel schwerwiegenderen Sündenfall der CDU im Europaparlament bei der Wahl der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit Stimmen von Rechtspopulisten und Nationalisten (wie z.B. Salvinis Lega), die der deutschen AfD ideologisch nicht nachstehen. Thüringen war also keineswegs der "erste" Sündenfall der CDU.

Nachdem die Grünen im EU-Parlament die Zustimmung zu Frau von der Leyen versagt hatten, fehlten für die Wahl der Kommissionspräsidenten nötige Stimmen, die dann nur noch von Rechtsaußen zu rekrutieren waren. Dazu gab es weder große öffentliche Empörung noch Rügen vom CDU-Bundesvorstand - weil dessen Beschlüsse sich nur auf die AfD, nicht jedoch auf vergleichbare Rechtsnationale bezogen? Das ist für mich noch viel skandalöser als die Entgleisung der CDU im Thüringer Landtag.

Des Weiteren hatte ich jüngste Beispiele aus der Kommunalpolitik im Ruhrgebiet genannt, wo die örtliche oder regionale CDU sich nicht gescheut hat, mit lokalen Rechtspopulisten im Stadt- und Regionalparlament (Vorläufer und Sympathisanten der AfD) in Amt und Würden zu gelangen oder sogar jahrelang Koalitionen mit denen im Stadtparlament zu schmieden. Auch der Vorsitzende des Regionalparlaments im Kommunalverband Ruhrgebiet (RVR), der MdL und heutige CDU-Generalsekretär NRW, hatte sich nach Hinterzimmergesprächen mit der rechtspopulistischen UBP den Posten verschafft, abseits der vom Wähler gewollten Mehrheitsverhältnisse.

Sollte die CDU nicht deshalb ihre Unvereinbarkeitsbeschlüsse nicht allein auf die AfD beziehen, sondern auch auf geistverwandte rechtspopulistische Wählerbündnisse ausweiten?

Nicht zuletzt hatte ich meinen überarbeiteten Beitrag noch ergänzt um die rechtspopulistischen Sünden der damaligen CDU-Spitzenpolitiker in Hessen in den 80-er und 90-er Jahren (einschließlich der ausländerfeindlichen Parolen im Wahlkampf des Roland Koch) sowie aus der Zeit, als Alexander Gauland, damals noch CDU, bis Anfang der 90-er Jahre noch Chef der Staatskanzlei in der CDU-Landesregierung unter Alfred Dregger (ehemaliges NSDAP-Mitglied) und Walter Wallmann (Mitglied der Burschenschaft Germania) war?

Und auch zur Werte-Union äußerte Friedrich Merz noch 2019 verständnisvoll: Die Wertkonservativen fühlten sich aktuell von der CDU verlassen....Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach äußerte, dass die Werteunion Positionen vertrete, "die noch vor zehn, 15 Jahren ganz selbstverständlich zum Meinungsspektrum der Union gehört haben."

Ginge man historisch noch weiter zurück, müsste man auch an die Todsünden der Nachkriegs-CDU in den 50-er und 60-er Jahren bei der Förderung ehemaliger Gestapo- und NSDAP-Mitglieder und der NS-Jusitiz bis in höchste Regierungsämter erinnern...(Filbinger, Kiesinger, Gehlen und Globke etc.)

Sehr geehrter Herr Sager, glauben Sie ernsthaft, dass allein mit dem von Ihnen lang und breit dargestellten Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU gegenüber der AfD diese latenten politischen Rechtstendenzen in der CDU nunmehr auszumerzen seien und nicht weiter schwelen, somit immer wieder aufbrechen werden? Das können Sie mir gerne beantworten für die weitere öffentliche Debatte zu diesem Besorgnis erregenden Thema.

Mit freundlichen Grüßen

Wilhelm Neurohr