Wilhelm Neurohr

Die Geschehnisse vor, während und nach dem Irak-Krieg haben in den letzten Wochen und Monaten andere weltbewegende Themen und Ereignisse überlagert oder in den Hintergrund gedrängt. Nie zuvor war es jedoch so wichtig, alle globalen Ereignisse und Entwicklungen gedanklich und spirituell zu begleiten und zu durchdringen. „Wer das reale Leben ergreifen will, der muss sich ein Verständnis davon verschaffen, wie die heutige Lage herbeigeführt worden ist und wie die zukünftige Entwicklung in heutiger Zeit vorbereitet wird“ (GA 186).

Was sich im Schatten des Irak-Krieges mit Blick auf eine neue Weltordnung sonst noch aktuell abspielte im Labyrinth der Gegenwart, ist es wert, ins Bewusstsein zu heben, um so zu handeln, wie derjenigen wachen Weltbürger, die sich an einem einzigen Tag mit 18 Millionen anderen Menschen in 660 Städten der Erde bereits zu einer weltweiten Protestbewegung gegen den Irak-Krieg zusammenfanden. Die individuelle Auseinandersetzung mit den übrigen vielfältigen großen Zukunftsfragen der Menschheitszivilisation und mit der virulenten ökologischen und sozialen Frage ist jetzt umso wichtiger, nachdem – ebenfalls an einem einzigen Tag - im Irak die Zeugnisse und Belege von 5000 zurückliegenden Jahren der Zivilisation an deren Wiege in Mesopotamien geplündert und zerstört wurden.

Ein völliger Neubeginn der Menschheit als Selbstgestalter ihres Schicksals erscheint nun vonnöten, seitdem neue globale Gefährdungen die Menschheitszivilisation bedrohen, derweil die Ökonomie das gesamte Leben global und total beherrscht und damit vorneweg die Zivilisation gefährdet. Zehn von etlichen weiteren Gefährdungen, die aber zugleich auch Herausforderungen darstellen, seien als aktuelle Beispiele herausgegriffen. Sie ließen sich beliebig erweitern – auch um die Hoffnung auf zehn globale Initiativen beherzter Menschen zum geistigen Kampf gegen diese Gefahren und für ihre Überwindung und Verwandlung.

Gefährdet: Trinkwasserversorgung der Menschheit und Lebensräume durch Verstädterung

Anknüpfend an die Johannesburg-Konferenz des Vorjahres zur nachhaltigen Entwicklung (Goetheanum Nr. 32/33-2002) und an das Kyoto-Abkommen über Klima und Umweltschutz fand im diesjährigen „internationalen Jahr des Süßwassers“ ein internationales „Weltwasserforum“ statt. Diese große Weltkonferenz befasste sich mit der weltweiten Wasserknappheit und ihren drohenden Auswirkungen. Derzeit sind bereits 2 Mrd. von insgesamt 6 Mrd. Menschen weltweit ohne sauberes Trinkwasser und 2 bis 5 Millionen Menschen sterben an den Folgen des verschmutzten Wassers. Die Wasservorräte weltweit sind gefährdet.

Auch die allgemein für herausragend gehaltene Trinkwasserqualität in Deutschland erwies sich als Trugschluss, denn sie gehörte im weltweiten Vergleich eher zu den Schlusslichtern. Die Abhängigkeit der menschlichen Existenzbedingungen von lebendigem Wasser als Lebensgrundlage ist aber bislang nur ein Randthema, noch hinter dem Klimaschutz, dem Artenschutz, der Ernährungskrise und den leergefischten und verschmutzten Weltmeeren. Prophezeit werden die nächsten Kriege nicht um den Rohstoff Öl, sondern um den Zugang zu sauberem Wasser, also um das blanke Überleben, denn Wasser ist lebensnotwendig, einhergehend mit dem Durst nach geistiger Nahrung.

Die natürlichen Wasserkreisläufe sind auch gefährdet durch den Verschmutzungs-, Versiegelungs- und Zersiedelungsprozess mit der Konzentration der Weltbevölkerung in städtischen Ballungsräumen entlang der Verkehrsachsen, in wachsenden und ausufernden Metropolen und Mega-Städten zwischen 10 und 30 Millionen Einwohnern auf engstem Raum, mit all den Versorgungsproblemen und Zerfallserscheinungen: Fast zwei von drei Weltbürgern leben im Zuge der Armutswanderung demnächst in großen Städten mit hoher Kriminalitätsrate, in deren Elendsvierteln und Slums der eigentliche Zusammenprall der Kulturen stattfindet und der alltägliche Kampf ums Dasein. Dort konzentrieren sich die Verlierer der Globalisierung.

Gefährdet: Bekämpfung von Drogenkonsum und –handel

In Wien ging ein Kongress der UN-Drogenkommission zu Ende, mit einer ernüchternden Bilanz: Das Ziel einer Welt ohne Drogen ist pure Illusion. Trotz des stagnierenden Absatzes von Kokain und Heroin boomen weltweit die Amphetamine. Die Produktion von Opium und Heroin ist konstant geblieben; die Verbreitung von Cannabis und synthetischen Drogen weltweit im Ansteigen. Lediglich die Anbauflächen des Cocastrauches sind leicht rückläufig. Dem Siegeszug von Ecstasy und deren Amphetaminpillen, die in Labors hergestellt werden können, haben die Drogenbekämpfer wenig entgegenzusetzen.

Nachdem die UNO in Zusammenarbeit mit den fundamentalistischen Taliban in Afghanistan den Anbau von Mohn für die Opium- und Heroinproduktion weitgehend verbannt hatte, säten die Bauern nach Bushs Feldzug ab sofort wieder Schlafmohn aus und ernteten in 2002 mit 3.400 Tonnen Opium zwanzig mal soviel wie im Jahr zuvor. Das Land liefert Dreiviertel des in Europa konsumierten Heroins. Hinsichtlich der internationalen Drogenkonventionen liegen Theorie und Praxis weit auseinander. Das Ziel, den Kokain- und Heroinkonsum von Jugendlichen z.B. in Großbritannien bis 2008 zu halbieren, ist nicht realistisch. Somit wird die Menschheit weiterhin mit diesen und anderen Drogen in die Zukunft gehen, mit schwerwiegenden Folgen einschließlich Bewusstseinsstörungen und -veränderungen.

Gefährdet: Biologische Landwirtschaft und Alternative Medizin

Die Überwindung der Ernährungs- und Gesundheitskrise der Menschheit mit Blick auf lebendige Nahrung und menschengerechte Medizin wird durch weitere Hürden behindert: In der Diskussion um die Gentechnik in der EU fiel kürzlich der Schutz für die Bio-Bauern, nachdem bereits die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel zugunsten der Verbraucher erst ab einem bestimmten Grenzwert festgelegt wurde. Auch die Herstellungsmethoden speziell der biologisch-dynamischen Landwirtschaftspräparate werden durch die BSE-Verordnungen der EU untersagt, so dass Demeter sich gezwungen sah, ein Brüsseler Büro mit Lobbyfunktion für die biologisch-dynamische Landwirtschaft einzurichten (Goetheanum Nr. 18/2003). In der Medizin sind anthroposophische Therapie-Methoden und Heilmittel einmal mehr in Frage gestellt worden, auch im Zusammenhang mit Detailfragen der anstehenden Gesundheitsreform. In den Niederlanden musste erst durch ein Gerichtsurteil die Entscheidung des Ministers für Volksgesundheit aufgehoben werden, nichtregistrierte anthroposophische Heilmittel vom Markt zu nehmen.

Immer mehr drängen die Anhänger eines materialistischen Welt- und Menschenbildes in Wissenschaft, Medizin und Nahrungsmittelproduktion sowie Politik alle Alternativen beiseite, bis hin zum Vorwurf des US-Botschafters Tony Hall an die afrikanischen Länder, dass ihre Weigerung zur Annahme genmanipulierter Nahrungsmittel ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sei (Goetheanum Nr. 3/2003) und auch die Europäer aufgerufen wurden, Druck auf Afrika auszuüben. Große Nahrungsmittelkonzerne sowie Chemie- und Pharmaziekonzerne verabreichen der Menschheit tote Nahrung und schädliche Medizin und willfährige oder unaufgeklärte Politiker betreiben deren Geschäft im Namen des Rechtes, aber nicht im Namen der Verbraucher oder Patienten, die sich nun in Bewegung setzen müssten, soll nicht unsere gesamte Zivilisation erkranken, weil sie ohne geistige Ernährung auskommen muss.

Gefährdet: Leben und Gesundheit durch Seuchen wie SARS und AIDS

Nachdem sich seit zwei Jahrzehnten die AIDS_Epidemie mit weltweit 42 Mio. HIV-Infizierten als eine der großen Bedrohungen der Menschheit erwiesen hat und in Afrika zu einer der häufigsten Todesursachen geworden ist, tritt nun die rätselhafte Lungenkrankheit SARS auf. Warum ein bislang harmloser Erreger als Hühnervirus gerade jetzt auf den Menschen überspringen konnte und zur tödlichen Bedrohung im Zuge einer weltweiten Seuche wird, weckt nun das Bewusstsein dafür, wie gefährdet menschliches Leben immer schon war und ist: „Auch im Zeitalter von Börse und Internet teilen wir unseren Lebensraum mit Bazillen und Mikroben, hängt unser Überleben am Ausgang der unsichtbaren Schlacht zwischen unserem Immunsystem und dessen Angreifern“ (Publik-Forum Nr. 9/2003).

Der Zusammenhang von Armut und Erkrankung wird deutlich an der Ausbreitung der Seuchen vor allem in den armen Ländern und Elendsvierteln. Nun erinnert die Seuche SARS als Sinnbild der menschlichen Existenz daran – ähnlich wie in dem Roman „Die Pest“ von Camus - wie sterblich Mensch sind – und wie wunderbar. Ohne eine spirituelle Sicht der menschlichen Lebens- und Überlebensbedingungen, der Gesundheit und Ernährung und eines gesunden Sozialverhaltens, geschehen aber keine Wunder.

Gefährdet: Entschuldung armer Staaten

Auf der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfond (IWF) und Weltbank Mitte April in Washington, die diesmal nicht von den üblichen Gegendemonstrationen der Globalisierungskritiker begleitet wurde, wurde das geplante Insolvenzrecht für überschuldete Staaten – trotz des noch nachwirkenden Schreckens über das zahlungsunfähige Argentinien (Goetheanum Nr. 4/2002) – ad acta gelegt. Dies ist nicht zuletzt zurückzuführen auf die massive Lobbyarbeit privater Finanzinstitute, deren Macht durch ein geplantes Konkursgericht beschnitten würde. Das Thema Schuldenerlass wurde dem Thema Irak-Krieg geopfert, bei dem jetzt nur noch die Auswirkungen des Krieges auf Weltkonjunktur und Finanzierbarkeit des Wiederaufbaus im Irak interessierte. Inzwischen hat der US-Baukonzern Bechtel, in dem der frühere US-Außenminister Shultz im Verwaltungsrat sitzt, einen Großauftrag bis zu 680 Mio. Dollar für die Wiederherstellung der Infrastruktur (Reparatur der Wasser- und Stromnetze und er Abwassersysteme) erhalten. Die USA verfügen allein über 17% der Stimmen im IWF und damit über ein Veto-Recht.

Zwar beriet anschließend der UN-Wirtschafts- und Sozialrat über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Thema „Neue Entschuldungsverfahren“, in dem alle Betroffenen einschließlich Regierungen, internationale Finanzinstitutionen, Privatgläubiger und zivilgesellschaftliche Organisationen mit am Tisch sitzen sollten. Deren Erfolgsaussichten werden aber bezweifelt. In den letzten 30 Jahren sind die Schulden der 187 Entwicklungsländer, die sich in der Schuldenfalle befinden, um das 35-fache angestiegen, obwohl sie in den zurückliegenden 20 Jahren 4.500 Mrd. Dollar zurückgezahlt haben. Die Schuldenlast der Entwicklungsländer stieg gleichwohl in den letzten 10 Jahren um 34% auf 2,5 Billionen Dollar, obwohl sie eigentlich um die Hälfte gesenkt werden sollte, denn nur „Teilen macht alle reich“.

Auch wenn die reichen Industrieländer, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika mit 7.300 Mrd. Dollar öffentliche Schulden um ein Vielfaches verschuldet sind, wirken sich die existenziellen Folgen für die abhängigen Entwicklungsländer verheerend aus und führen in die Ausweglosigkeit, nachdem die Zinssätze drastisch angehoben wurden und ein Schuldenerlass oder Insolvenzverfahren abgelehnt wird. Wenn die Spaltung der Welt in reiche Gläubigerländer und arme Schuldnerländer nicht durch das christliche Prinzip der Schuldenvergebung gemildert wird und es in Vergessenheit gerät, dass die Reichen ihren Segen durch die Armen empfangen, wird sich weltweit unübersehbarer sozialer Sprengstoff entladen, der eine friedliche Welt, die zum sozialen Frieden durch Gerechtigkeit und durch die Macht der Menschlichkeit nicht fähig ist, in weite Ferne rücken lässt. Ein Indikator dafür ist auch die stagnierende Entwicklungshilfe, die sich unverändert bei beschämenden 0,22 bis 0,23 % des Bruttosozialproduktes der reichen Industrieländer bewegt.

Gefährdet: Abrüstung und Frieden in der Welt

Die Hoffnung, dass sich nach Beendigung des Kalten Krieges der polaren Machtblöcke in der Welt die Abrüstung fortsetzt und eine friedliche Welt möglich wird, hat sich nicht erfüllt. Nach dem 2. Weltkrieg sind mehr Menschen weltweit durch kriegerische Auseinandersetzungen und deren Folgen umgekommen als im großen Weltkrieg selber. Über 22 Millionen Menschen arbeiten als Soldaten oder Zivilisten für die militärischen Streitkräfte und noch mehr in der weltweiten Rüstungsindustrie. Weltweit werden 850 Mrd. Dollar für Rüstung ausgegeben, ein Vielfaches der verschwindend geringen Entwicklungshilfe. Allein die Militärausgaben der USA liegen mit fast 400 Mrd. Dollar so hoch wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt Russlands. Weit über die Hälfte der hohen öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben in den USA fließen in den Rüstungsbereich. Der Waffenhandel und –export blüht wie nie zuvor. Der Handel deutscher Rüstungsfirmen mit dem Irak für die Herstellung von Giftgastechnik und Raketen wurde bis 1990 mit Hermesbürgschaften in Höhe von fast 2 Mrd. € von deutschen Steuerzahlern subventioniert. Die Trennung von Geschäft und Moral untergäbt die Friedensfähigkeit.

Gefährdet: Menschenrechte und Menschenwürde in zivilisierten Staaten

Angesichts einiger grausamer Verbrechen entbrannte in Deutschland kürzlich eine ernsthafte öffentliche Debatte um die legale Einführung von Foltermethoden bei polizeilichen oder Staatsanwaltlichen Verhören, für die sich laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung aussprach. Auch einzelne Politiker und manche Fernseh- oder Pressekommentatoren schlossen sich diesen Auffassungen an oder führten ernsthafte Diskussionsrunde dazu durch. Zuvor hatte es Disziplinar- und Strafverfahren gegen Polizisten z.B. in den Polizeibehörden der Städte Hamburg und Hagen gegeben, weil dort Ausländer auf der Polizeiwache gefoltert worden waren. In Amerika gaben Vertreter von Geheimdiensten, Polizei und Militär in der Presse unumwunden zu, bei politischen Kriegsgefangenen wie z.B. den in Käfigen eingesperrten afghanischen Taliban oder jüngst im Irak bei Verhören bis an die Grenze der Folter gegangen zu sein oder Gefangene auch schon mal an die Geheimdienste von Folterländern übergeben zu haben, um dort die nach amerikanischem Recht unzulässige Folterhandlungen zur Erpressung von Aussagen oder Geständnissen oder als eine Art von Lynchjustiz vornehmen zu lassen, ohne sich selber „die Finger schmutzig zu machen“.

Wenn in zivilisierten demokratischen Staaten der westlichen Welt und des christlichen Abendlandes solche Methoden und Verstöße gegen die allgemeinen Menschenrechte und Konventionen auf Akzeptanz in der Bevölkerung, in den Medien und bei Vertretern von Justiz und politischem Rechtsleben stoßen, dann ist dieses veränderte Rechtsempfinden und Rechtsverständnis der Menschen ein Alarmzeichen für die gesamte Zivilisation in einer Welt, in der zunehmend das Recht des Stärkeren gilt, vom Irak-Krieg bis zum Wirtschaftsleben und menschlichen Zusammenleben, in dem immer mehr Menschen von der Teilhabe am kulturellen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen werden.. Auch das kulturelle Niveau einer Menschengemeinschaft spiegelt sich in deren marodem Rechtsleben.

Wenn hierbei nicht einmal mehr die alltägliche Verletzung der Menschenrechte und der Menschenwürde durch ein inhumanes und verantwortungsloses Wirtschaftssystem mit dem allgemein anerkannten Recht des Stärkeren, das auch die Politik und die Kultur für seine Interessen vereinnahmt hat und zu Egoismus und Habgier sowie Machtgelüsten verführt, als Unrecht empfunden wird, obwohl dessen wirtschaftspolitische Entscheidungen wie ein Todesurteil für viele Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel wirken, dann ist das Rechts- und Unrechtsempfinden gestört. Seelische Abgestumpftheit und Brutalisierung sind aber Krankheitssymptome einer niedergehenden Zivilisation.

Gefährdet: Kommunale Selbstverwaltung und Daseinsvorsorge

Je mehr die Globalisierung mit zunehmender Bedeutungslosigkeit der staatlichen Grenzen, Funktionen und Einflussmöglichkeiten voranschreitet, desto bedeutender wird weltweit die lokale und regionale Ebene der demokratischen Politikgestaltung und des örtlichen Gemeinwesens, weil hier mit Eigenverantwortung in überschaubaren, aber weltweit vernetzten Gemeinschaften soziale und kulturelle Gestaltungsräume sich eröffnen (Dreigliederungsrundbrief 1/2003). So bemühen sich weltweit über 4000 Gemeinden in vielen Ländern der Erde rund um den Globus im Rahmen der Lokalen Agenda 21 an runden Tischen um eine nachhaltige Entwicklung in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht. Diese positiven Bemühungen drohen nun zunichte gemacht zu werden durch eine „Globalisierung von oben“, mit denen ab 2005 eine weltweite Kommerzialisierung aller öffentlichen und kommunalen Dienstleistungen durch das Welthandelsabkommen für den Handel mit Dienstleistungen (GATS) erzwungen wird.

Das wird auch das Ende der kommunalen Selbstverwaltung eingeläutet, die in Deutschland und vielen anderen Ländern überdies akut gefährdet ist durch die inzwischen aussichtslose Finanzsituation und –ausstattung der örtlichen und regionalen Selbstverwaltungsebene, mit der eine Schließung und ein Ausverkauf kommunaler Infrastruktur sowie eine Privatisierung kommunaler Dienstleitungen unumkehrbar bereits in Gang gesetzt worden ist.

Damit sind die örtlichen Gemeinschaften verfassungswidrig ihrer Handlungs- und Gestaltungsspielräume beraubt und noch hoffnungsloser verschuldet als z.B. Bund und Länder in Deutschland. Das Gesamtdefizit aller kommunalen haushalte in Deutschland beträgt in diesem Jahr nach dem Wegfall von 30 Mrd. Steuereinnahmen über 11 Mrd. €., so dass bereits 159 Kommunen in ihrer Verzweiflung durch dubiose Steuertricks mit amerikanischen Firmen im Rahmen des sogenannten „Cross-Border-Leasing“ ihre Infrastruktur verleasen, um daran finanziell zu partizipieren, aber sich dadurch in zweifelhafte und riskante Abhängigkeiten begeben.

Nunmehr steht der Übergang zum „virtuellen Rathaus“ bevor, bis hin zur Gefahr der digitalen Auflösung der kommunalen Selbstverwaltungsebene und des Föderalismus im kommerzialisierten Netzwerk..

Gefährdet: Informations- und Kommunikationsfreiheit, Demokratie und Persönlichkeitsschutz

Unter dem Begriff „E-Government und E-Demokratie“ wird derzeit mit kommerziellen Dienstleistungs- und Netzanbietern „virtuelles Regieren und Verwalten im digitalen Zeitalter“ mittels Internet mit Nachdruck eingeleitet. Das ist der Beginn einer neuen Ära in der elektronischen Informationsgesellschaft nach einem technokratischen Verwaltungs- und Demokratiemodell, mit dem die Fragen nach dem Beginn oder Ende von Demokratie und Freiheit , von neuen Abhängigkeiten, von Überwachung und Persönlichkeits- und Datenschutz sich stellen – bis hin zur Frage der weltweiten sozialen Spaltung der Menschen im digitalen Zeitalter nach ihren Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten.

Werden die Sozialkontakte und demokratischen Entscheidungsprozesse durch E-Government erleichtert, erschwert oder beendet? Wie öffentlich und demokratisch wird E-Government sein und wie werden zivilgesellschaftliche Komponenten gestärkt? Wie verändert das Internet den öffentlichen Raum und die Informationsfreiheit sowie die Arbeitswelt? Bleiben Datensicherheit und vertrauliche Kommunikation sowie informationelle Selbstbestimmung der Bürger gewahrt? Verbergen sich hinter den öffentlichen Portalen kommerzielle Unternehmen? Wie wird mit dem neuen Urheberrecht gewährleistet, dass der Zugang zu Werken in öffentlichen Bibliotheken im digitalen Zeitalter erhalten bleibt?

Wie wird verhindert, dass gesellschaftliche Gruppen ohne Medienkompetenz ausgegrenzt werden? Immerhin sind 875 Mio. Menschen weltweit Analphabeten, zwei Drittel davon Frauen, vor allem in bevölkerungsreichen Entwicklungsländern (bis zu 75% auf dem Lande), die sich keinen Internet-Zugang leisten könnten.. Der Zugang zum Internet, das einmal als demokratisches Zukunftsmedium große Hoffnungen geweckt hat, bleibt bislang einer kleinen Minderheit der Weltbevölkerung vorbehalten. Die Software als Kulturgut und die Macht über die Netze erfordert gesamtgesellschaftliche Zieldiskussionen über dieses gigantische Vorhaben mit seinen Weichenstellungen, die erstmals im Dezember 2003 auf einem UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft unter Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfinden wird. Ergänzt werden müsste die Diskussion um die Gefährdung der Demokratie durch den Vorrang des Wirtschaftlichen über das politische auf allen Ebenen,, mit der Tendenz zu einer heimlichen zentralistischen Weltregierung aus Welthandelsorganisation (WTO), Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) unter der Regie der Weltmacht Amerika..

Gefährdet: Sozialer Ausgleich und sozialer Frieden

Die heftigen kontroversen Diskussionen in Deutschland um Sozialabbau, Sozialreform und soziale Gerechtigkeit in diesen Wochen sind als eine Art globale Stellvertreterdiskussion zu verstehen, deren Probleme weltweites Thema in Zeiten der Globalisierung unter der ideologischen Regie der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung sind. Die Politik der Parteien scheint am Ende zu sein und der Begriff der Reformen steht nicht mehr für Fortschritt und Gesellschaftsveränderung, sondern sinnentleert für die beliebige Änderung einzelner Gesetzesparagraphen oder abzubauender Sozialleistungen im Zuge gesellschaftlicher Umverteilungen mit Verabschiedung von der Sozialstaatsidee.

„Der Staat wird abgeschafft – nicht zugunsten freier Assoziationen von Menschen, sondern zugunsten öffentlich entpflichteter, hierarchisch organisierter und global operierender Wirtschaftsorganisationen,, die als transnationale Unternehmen auf dem besten Wege sind, eine global organisierte private Planwirtschaft zu etablieren“ (Hermann Scheer, träger des alternativen Nobelpreises), also zum eigenen Nutzen und ohne Rücksicht auf die übrigen Teilnehmer am Wirtschaftsprozess in einer damit sinnentleerten, geschweige brüderlichen Wirtschaft, die unseren Traum vom Weltbürger zerstört .

Die totale Marktfreiheit der Unternehmen erschreckt diejenigen Menschen, die im Sinne der allgemeinen Menschenrechte auf globale und soziale Gerechtigkeit und Solidarität vertrauten, nun aber auch in den reichen Industriestaaten und Dienstleistungsgesellschaften die zunehmende Spaltung in Wohlhabende und Almosenempfänger erleben oder befürchten müssen, solange privater Reichtum mit öffentliche Armut erkauft wird. Hilfreiche Reformvorschläge, wie sie von Anthroposophen aus der Dreigliederungsbewegung vor spirituellem Hintergrund mit sozialer Phantasie eingebracht und von einzelnen Politikern oder Gewerkschaften aufgegriffen wurden - wie z. B ein über Verbrauchssteuern finanziertes Sozialsystem, eine Heranziehung aller Einkommensarten und nicht nur des Erwerbseinkommens sowie eine Reform des Boden- und Eigentumrechtes und von Arbeit und Einkommen - wird von Regierungspolitikern verworfen, die ihre eigenen unzureichende Vorschläge als „alternativlos“ mit Macht durchsetzen wollen.

So wird der berechtigte Ruf der Politik nach mehr Eigenverantwortung der Bürger zur scheinheiligen Flucht der Politik aus der Verantwortung für das soziale Gemeinwesen, mit bedrückenden Folgen für die Menschen. So führt die Globalisierung nicht zur Einen Welt, sondern lässt die Welt auseinanderbrechen in Gewinner und Verlierer, weil die Habgier der reichen zum Götzendienst wird und er Markt zur Religion erhoben wird. Nur die gerechte Teilhabe aller Menschen am gemeinsam erarbeiteten gesellschaftlichen Wohlstand schafft den sozialen Frieden und Ausgleich, der die Menschen in der Weltwirtschaft brüderlich vereint. Ohne eine gemeinsame geistige Weltanschauung und ohne gelebtes Verständnis für die Bedürfnisse der anderen wird das nicht gelangen. Die soziale Frage ist zu Beginn des 21. Jahrhundert die Schlüsselfragen für das Überleben der Menschheit.