Wilhelm Neurohr

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Für die Einladung hier nach Wiesbaden darf ich mich zunächst herzlich bedanken.

Mit gewisser Ehrfurcht bin ich in die noch relativ reiche und gepflegte Landeshauptstadt von Hessen gefahren.

Als Vertreter aus dem Bundesland NRW, in dem es der kommunalen Selbstverwaltungsebene ganz besonders bedrohlich ergeht, muss ich Ihnen eingangs leider dramatische Lageberichte auftischen, die zunächst Endzeitstimmung verbreiten.

Zum Schluss kommen wir aber hoffentlich zu der gemeinsamen Erkenntnis, dass vielleicht das drohende Ende der kommunalen Selbstverwaltung zugleich der hoffnungsvolle Aufruf zu einem neuen Anfang ist, der durch Menschen wie Sie gestaltet wird, die sich heute Abend für dieses Thema interessieren und engagieren.

Es geht heute Abend eigentlich um 3 große Gefährdungen der kommunalen Selbstverwatung:

Bei uns in Nordrhein-Westfalen ist der Verfall der Städte und der kommunalen Infrastruktur

allenthalben schon optisch sichtbar, mit einer Vielzahl von sozialen Brennpunkten so dass mir als gelerntem Stadtplaner das Herz blutet.

Öffentliche Gebäude und Schulen verkommen, weil kein Geld für die Renovierung mehr da ist; viele Straßen mit ihren Schlaglöchern sind bessere Feldwege; Parks verschmutzen und vergammeln, weil wegen der Sparmaßnahmen nicht genügend Personal vorhanden ist; an der abendlichen Beleuchtung wird gespart, und ohne Tabus wird über weitere Schließungen oder Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen und Einrichtungen in allen Bereichen nachgedacht.

Kinderarmut und Sozialhilfeempfänger sind in manchen Stadtbezirken auf 30% der Bevölkerung angewachsen, die Arbeitslosen auf 20%. Dort konzentrieren sich die Verlierer der Globalisierung, deren Grenzen nicht mehr zwischen Staaten und Kontinenten verlaufen, sondern mitten durch die Bevölkerungsgruppen vor Ort in den Stadtteilen.

Und es sind ja die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, auf deren Rücken die desolaten Gemeindefinanzen saniert werden sollen, indem ausgerechnet bei den Ärmsten der Armen die Sozialleistungen nach den Hartz-Gesetzen gekürzt werden - zwecks Kostenentlastung für die Kommunen.

Tatsächlich will man aber den Kommunen auch noch die Kosten für die Langzeitarbeitslosen aufbürden.

Seit kurzem werden den Kommunen auch die Eingliederungshilfen für die Behinderten zu teuer, insgesamt 578.000 Leistungsempfänger sind bundesweit betroffen. Der Deutsche Städtetag hat Anfang diesen Monats eine Diskussion darüber losgetreten, ob es nicht die Pflicht eines jeden einzelnen sei, sich gegen das Lebensrisiko der Behinderung privat abzusichern.

Die soziale Gerechtigkeit gerät also immer mehr unter die Räder. Kanzler Schröder, der die Kommunen finanziell ausbluten lässt, hat ja sein bisheriges Motto von „Innovation und sozialer Gerechtigkeit“ verkürzt und spricht jetzt nur noch vom „Jahr der Innovation“.

Die soziale Gerechtigkeit ist erst real und nun auch aus dem Wortschatz ausgelöscht.

Hier ist man geneigt, den alten Staatsrechtslehrer aus dem Altertum, den heiligen Augustinus zu zitieren, der sagte: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt, was ist der anderes als eine große Räuberbande?“

Inzwischen sind auch die verarmten Kommunen Opfer dieser räuberischen Umverteilung von unten nach oben, von der öffentlichen Hand in die privaten Taschen.

Während die Gesamtverschuldung der Kommunen gegen 100 Milliarden € tendiert, ist in der gleichen Zeit das Geldvermögen in privater Hand auf 5,8 Bio. € angewachsen, allerdings konzentriert auf einige wenige Taschen. Das sind diejenigen, die von der Steueroase Bundesrepublik profitieren.

Wer in den letzten Wochen und Monaten die Zeitungsschlagzeilen verfolgt hat, der wird mitbekommen haben, dass sich unsere Kommunen – die Städte, Kreise und Gemeinden – nicht nur in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik befinden, sondern in einer ernsten Existenzbedrohung.

Die Situation de Kommunen ist so dramatisch wie noch nie, und daran wird die halbherzige Gemeindefinanzreform der Bundesregierung nichts ändern, die bei allen Kommunalpolitikern maßlose Enttäuschung und Empörung hervorgerufen hat.

Die Gesamtverschuldung der Kommunen in Deutschland beträgt inzwischen 90 Mrd. €.

Nach einem Rekorddefizit von 10 Mrd. € im vergangenen Jahr, davon alleine in NRW 4,4 Mrd. €, müssen die Kommunen auch in 2004 weitere Schulden in Milliardenhöhe machen.

Den 141 Mrd. € Einnahmen stehen trotz drastischer Ausgabenkürzungen 151 Mrd. € Ausgaben gegenüber.

Daran ändert nichts der Reformkompromiss zwischen Regierung und Opposition bei der sogenannten Gemeindefinanzreform vom Dezember, die den Kommunen lediglich 2,3 Mrd. € jährlich erbringt, also nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die vorgezogene Stufe der nächsten Steuersenkung, die wiederum mit Privatisierungen gegenfinanziert werden soll, wird den Kommunen indirekt noch mehr Einnameverluste in Höhe von 3,8 Mrd. € zusätzlich bescheren.

Das Finanz- und Schuldendesaster ist aber nicht wie ein Naturgesetz vom Himmel gefallen oder weil alle Kommunen über ihre Verhältnisse gelebt hätten, sondern es war und ist bundespolitisch gewollt. Die vorausgegangene Steuerreform von Finanzminister Hans Eichel hat bei den Gemeinden insgesamt 40 Mrd. € bei der Gewerbe- und Körperschaftssteuer wegbrechen lassen, um so den Rationalisierungs- und Privatisierungsdruck auf der kommunalen Ebene zu erhöhen und den Leistungs- und Personalabbau in den Kommunen zu forcieren und zu erzwingen.

Der gewollte Ausverkauf des Sozialstaates soll vor der kommunalen Ebene nicht halt machen, damit deren lukrativen Dienstleistungen von privaten kommerziellen Anbietern übernommen werden können und die defizitären Dienstleistungen eingestellt werden. Die Verarmung der öffentlichen und kommunalen Haushalte zugunsten privater Reichtumsvermehrung ist nicht nur die Folge dieser Politik, sondern deren Ziel und Absicht.

Hier schlägt die neoliberale Art und Weise der Globalisierung als Folge einer bestimmten Denkweise unmittelbar bis auf die kommunale Ebene und deren Finanzausstattung durch.

In NRW sind folglich 90% der Städte nicht mehr in der Lage, ihre Ausgaben über reguläre Einnahme zu bestreiten. Im Vorjahr fehlten 557 Mio. €, die nur über Kredite oder Verkauf von Vermögen aufzubringen waren. Von 396 Kommunen des Landes befanden sich im Vorjahr 170 in einem sogenannten Haushaltssicherungskonzept, das in 56 Fällen nicht genehmigt war – das heißt, sie hatten keinerlei Lösungen, wie sie innerhalb von 4 Jahren ihr Defizit ausgleichen können.

Das bedeutet im Klartext: Sie sind de facto Pleite. Die Presseschlagzeilen sind also nicht übertrieben, die da lauten: „Der Pleitegeier kreist über den Rathäusern“.

Aus dem Ruhrgebiet nenne ich 3 Beispiele:

  • Die Großstadt Duisburg finanziert ihre laufenden Personalkosten bereits rechtswidrig über Kredite. Die Stadt Gelsenkirchen hatte Haushaltslöcher von rund 50 Mio. € bei gleichzeitig 17,3% Arbeitslosen. Der dort ansässige Energiekonzern E.on verlangte von der Stadt 30 Mio. € Körperschaftssteuer zurück nach Nutzung des Privilegs, Firmenbeteiligungen steuerfrei abzugeben, wie dank Finanzminister Hans Eichel eingeführt.
  • 9 von 10 Städte im krisengeschüttelten Kreis Recklinghausen, wo ich in der Kommunalverwaltung tätig bin, werden nicht einmal mehr die Haushaltssicherungskonzepte von den Aufsichtsbehörden genehmigt –ein Armutszeugnis für den größten Kreis der Bundesrepublik und die fünftgrößte Gebietskörperschaft nach Berlin, Hamburg, München oder Köln.

Der kommunale Gestaltungs- und Handlungsspielraum ist folglich nahe Null. Alle Sparbemühungen sind ausgereizt; Personalkosteneinsparungen bundesweit im Ausmaß mehrerer Hunderttausend Stellen bereits erfolgt; interkommunale Zusammenarbeit ist vielfach ausgeschöpft. Der perspektivlose Ausverkauf von Staat und Kommune ist also längst in vollem Gange. Krankenhäuser, Stadtwerke, Altenheime –alles steht zum Verkauf an Private an und wird kommerziellen statt öffentlichen Interessen untergeordnet.

Man muss schon Masochist sein, um unter diesen widrigen Umständen überhaupt noch Kommunalpolitik verantworten zu wollen.

„Tafelsilber“ wird verkauft; wertvolle Grundstücke, Gebäude oder Anteile an regionalen Versorgungsunternehmen werden verscherbelt, mit Verlust politischer Einflüsse und Gestaltungsmöglichkeiten.

Eine Gemeinde ohne eigene Einrichtungen, Immobilien oder vermögen ist jedoch ein Papiertiger.

Die in der Verfassung garantierte kommunale Selbstverwaltung befindet sich im Ausverkauf, und die betroffenen Bürgerinnen und Bürger leisten nur schwachen Widerstand. Dabei sind bundesweit in den letzten Jahrzehnten schätzungsweise 50% aller kommunalen Dienstleistungen und Einrichtungen eingeschränkt, aufgegeben, ausgegliedert, verkauft oder privatisiert worden. Jetzt ist auch der verbliebene Rest gefährdet.

Der Ernst der Lage wird deutlich durch ungewöhnliche gemeinsame Bündnisse, wie es sie noch nie zuvor jemals gegeben hat:

die kommunalen Spitzenverbände , also der Städtetag, der Städte- und Gemeindebund und der Landkreistag, unternehmen zusammen mit der Gewerkschaft verdi, mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden, mit attac und mit Bürgerinitiativen, mit den Sozialverbänden und mit den Bürgermeistern und Gemeinderäten über alle parteipolitischen Grenzen hinweg spektakuläre Protestaktionen.

Unter dem Motto „Städte in Not - Reformen statt Kahlschlag“ starteten im November bundesweite Aktionswochen, mit kreativen Maßnahmen.

Viele phantasievolle Aktionen sind von attac, von verdi, von Bürgerinitiativen oder von Beschäftigten der Rathäuser veranstaltet worden.

Verwaltungsmitarbeiter in der Stadt Essen beispielsweise demonstrierten mit Wasser und Brot und mit einem Streichkonzert: Sie tauften das Rathaus in „Kassa blanco“ um. Die Auszubildenden der Stadtverwaltung liefen als Sandwich durch die Stadt und zeigten mit vergammelten Straßenschildern und Laternen aus den Museum, was alles auf dem Spiel steht.

In einer anderen Stadt wurde in einer Badewanne demonstriert, was alles baden gehen wird, vom öffentlichen Nahverkehr bis zu den maroden Straßen, von Jugend- und Sozialeinrichtungen bis zu den Kultureinrichtungen und öffentlichen Krankenhäusern. Leistungs- und Angebotskürzungen sind längst in vollem Gange.

Die öffentlichen Versorgungseinrichtungen für Energie, Wasser und Abfall sind größtenteils schon privatisiert. Und in 150 finanzschwachen Kommunen in Deutschland sind diese an amerikanische Firmen verleast worden im Rahmen des sogenannten Cross-Border-Leasing. Bei uns in Recklinghausen hat sich dagegen eine Bürgerinitiative in kürzester Zeit etliche Tausend Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt, ist jedoch vor dem Verwaltungsgereicht unterlegen.

Die unseriösen Leasing-Geschäfte mit amerikanischen Trusts als Steuertricks, die demnächst durch den US-Senat unterbunden werden sollen, sind als Akt der Verzweiflung bei den finanzschwachen Kommunen anzusehen.

Um für ein laufendes Haushaltsjahr ein paar Millionen € Einnahmen zu erzielen zum Stopfen von Haushaltslöchern, werden für Jahrzehnte die Abwasserkanalisation, die Kläranlagen, Schulgebäude, Stadthallen, Rathäuser U-Bahn-Strecken usw. verleast, mit unvertretbaren Risiken für die Kommunen durch 700-seitige kleingedruckte Knebelungsverträge in englischer Sprache, die kein Stadtrat verstehen und lesen kann.

Die eigentlichen Gewinner dieser Geschäfte sind die Finanztrickser in Nadelstreifen, also die involvierten Arrangeure, Finanzmakler, Anwälte, Bankberater und Wertgutachter, die bei dem Steuerdeal eben so viele Millionen abkassieren wie die Kommunen selber.

Es sind also nicht die Retter und Helfer der Kommunen, sondern ihre Verführer und Gegner, die sich in einem trojanischen Pferd verstecken.

Für die nun in Abhängigkeit geratenen Gemeinden sind das keine nachhaltigen Geschäfte: Wie gewonnen so zerronnen. Denn im nächsten Haushaltsjahr stehen sie vor dem gleichen Problem neuer Einnahmelöcher.

Mit katastrophalen Sparplänen droht auch die Schließung von Kindergärten, Schulen und karitativen Einrichtungen der freien Träger sowie die Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

In Nordrhein-Westfalen läuft derzeit eine landesweite Unterschriftenaktion für ein Bürgerbegehren gegen die Streichorgie der Landesregierung im Bereich der Jugendhilfe und freien Jugendarbeit der Kommunen.

Hier sollen die Mittel rabiat um 70% gekürzt werden. Die Kürzungen bedeuten das Aus für die meisten Einrichtungen.

Und auch in anderen Bereichen bedeutet jede weitere finanzielle Kürzung das Aus für weitere öffentliche Einrichtungen aller Art. Auch bislang reiche und prosperierende Städte sind längst betoffen, nicht mehr nur die strukturschwachen Industriestädte.

Freibäder, Bibliotheken und Musikschulen schließen, öffentliche Gebäude vergammeln und deren Ausstattung steht zur Disposition. Bei uns in Recklinghausen findet gerade der Ausverkauf der städtischen Sozialwohnungen statt und als erste Stadt erwägt man auch, die städtischen Trauerhallen auf den Friedhöfen zu privatisieren, d.h. zukommerzialisieren. Bald kann sich der Normalsterbliche keine Bestattung mehr leisten.

Geburt und Tod sowie Lebenshaltung des Menschen werden unbezahlbar in einer Gesellschaft, die den Menschen und seine öffentliche Versorgung nur noch als lästigen Kostenfaktor betrachtet – so ist das kalte neoliberale Weltbild und Menschenbild der Marktradikalen nun einmal ideologisch geprägt, in dem der Mensch selber zu einer handelbaren Ware geworden ist.

In Recklinghausen und 12 weiteren Städten im nördlichen Ruhrgebiet haben wir deshalb ein breites Recklinghäuser Bündnis zur Rettung der Kommunen geschmiedet, dem ein landesweiter Kongress zur Rettung der kommunalen Selbstverwaltung vorausgegangen war unter dem Titel: „Droht der Ausverkauf von Staat und Kommunen?“ Daran konnte ich maßgeblich mitwirken.

Die umfangreiche Dokumentation darüber ist gerade im Druck und die kann ich attac Wiesbaden gerne zukommen lassen.

In Stuttgart haben wir einen großen sozialen Zukunftskongress im Sommer vorigen Jahres veranstaltet, wo wir Zukunftsvisionen für die Erhaltung und Gestaltung des öffentlichen und kommunalen Gemeinwesens und für eine wirksame Gemeindefinanzreform entwickelt haben. Die Tagungsergebnisse sind ebenfalls schriftlich dokumentiert und bei ver.di oder beim Sozialforum Stuttgart erhältlich.

Immer mehr Menschen werden allmählich wach, weil Ihnen bewusst wird, dass die kommunale Selbstverwaltung eine lebenswichtige soziale. Politische und kulturelle Funktion ausfüllt.

Öffentliche und kommunale Dienstleistungen sind soziale Errungenschaften, ohne die Demokratie gar nicht möglich ist. Sie sind Grundlage des deutschen und europäischen Gesellschaftsmodells und Wertesystems.

Ohne kommunale Daseinsvorsorge ist eine Gewährleistung der allgemeinen Menschenrechte nicht möglich und damit kein menschenwürdiges Leben, insbesondere nicht der Zugang zu lebensnotwendigen Einrichtungen medizinischer Versorgung, Bildung, Wasser, Wohnung, Energie und Verkehrsmittel usw.

Je mehr die Globalisierung voranschreitet und die nationalstaatlichen Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten schwinden, umso bedeutender wird die kommunale und regionale Selbstverwaltungsebene als soziale, kulturelle und demokratische Gestaltungsebene - wenn wir uns nicht einer quasi anonymen Wirtschaftsdiktatur ohnmächtig ausliefern wollen.

Wenn es die kommunale Selbstverwaltungsebene nicht in ihren übrig gebliebenen Resten noch gäbe, müssten wir sie gerade jetzt ganz neu erfinden und beleben.

Die Städte und Dörfer waren ja ursprünglich die sozialen und kulturellen Keimzellen für unser solidarisches Gemeinschaftsleben in gegenseitiger Hilfeleistung. Nur von hier aus kann deshalb auch wieder eine soziale und kulturelle Erneuerung und Zukunftssicherung in erster Linie erfolgen.

Eine Veränderung und Verbesserung der Welt findet entweder durch die handelnden Menschen vor Ort statt oder sie findet gar nicht statt. Bloße Fordrungen an höhere Instanzen helfen uns nicht weiter.

Wenn die aktive Bürgergesellschaft nicht eine höhere Wertschätzung für die kommunale Selbstveraltungsebene entwickelt, nachdem die Kommunalparlamente ja immer weniger zu entscheiden haben, dann verabschieden wir uns von den tragenden Fundamenten eines demokratischen Gesellschaftsmodells.

Die Politik in Staat und Kommunen verzichtet auf ihre rechtlichen und politischen Gestaltungsvorgaben, weil sie durch die Wettbewerbsideologie der Globalplayers erpressbar geworden sind.

Man überlässt den Wirtschaftsunternehmen nicht nur das politische Feld, obwohl das Demokratieprinzip über dem Ökonomieprinzip stehen sollte, sondern man betätigt sich auch noch als deren Erfüllungsgehilfen durch die Verquickung von Staat und Wirtschaft, anstatt auftragsgemäß das Wohl des Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.

Statt dessen möchte man das Volk am liebsten belehren und umerziehen, bis es die Notwendigkeit des verfassungswidrigen Sozialstaatsabbaus trotz der sozialen Spaltungen und Ausgrenzungen endlich einsehen möge.

Wir schlittern sehenden Auges in eine Art Wirtschaftsdiktatur, und unsere Kinder und Enkel werden uns dermaleinst ähnliche Fragen stellen wie wir seinerzeit unseren Großeltern nach der Diktatur der dreißiger Jahre, was wir denn an Widerstand geleistet haben zugunsten einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz.

Die kommunale Selbstverwaltung ist ja nicht nur durch die dramatische Finanzsituation, sondern durch dreierlei Entwicklungen massiv bedroht und gefährdet, auf die ich heute Abend noch zu sprechen komme.

In der Öffentlichkeit ist aber bisher der Fokus nur auf die offenkundige Gefährdung durch die von Staat und Wirtschaft entzogenen Gemeindefinanzen gerichtet. Zumindest für diesen Teilaspekt ist man endlich wach geworden.

Noch schlafend ist die Politik und Öffentlichkeit trotz der vielen Kampagnen von attac für diejenigen, viel bedrohlicheren Gefährdungen der kommunalen Selbstverwaltung, die ihr von globaler Ebene droht, nämlich von der WTO, der Welthandelsorganisation.

Jetzt könnte man fragen: was haben wir auf der kommunalen Dienstleistungsebene mit der Welthandelsorganisation zu tun – also mit einer Einrichtung, die seit ihrer Gründung im Jahre 1994 rund 20 internationale Abkommen geschlossen hat mit ihren 146 Mitgliedsstaaten von insgesamt 189 Staaten dieser Erde.

Nun, da gibt es ein Abkommen, das seit 1999 neu verhandelt wird und kurz vor dem Abschluss steht, mit dem die Zukunft fast sämtlicher kommunalen Dienstleistungen und damit die Existenz der kommunalen Selbstverwaltungsebene weltweit in Frage steht, unabhängig von der jeweiligen Finanzsituation, und zwar endgültig und unumkehrbar.

Die Rede ist vom sogenannten GASTS-Abkommen, dem weltweiten Rahmenabkommen für den weltweiten ungehinderten Handel mit Dienstleistungen.

Die Abkürzung GATS steht für „General agreement on Trade in Services“ .

Erstmalig in der Menschheitsgeschichte – zumindest aber seit dem Sklavenhandel – werden zwischenmenschliche Dienstleistungen zur Handelsware nach dem internationalen Handels- und Wettbewerbsrecht erklärt – mit schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Daseinsvorsorge und die kommunale Selbstverwaltung.

Die ganze Erde und der Mensch selber wird damit zur käuflichen Handelsware auf dem liberalisierten Markt, was er auf dem Arbeitsmarkt ohnehin schon ist.