Wilhelm Neurohr

Allenthalben klagen die Politiker, Parteien und Medien über die dramatisch nachlassende Wahlbeteiligung und damit über den Verlust an demokratischer Legitimation. Geht es jedoch um die Frage von mehr direkter demokratischer Beteiligung der mündigen Bürgerinnen und Bürger an politischen Sachfragen oder bei Kandidatenaufstellungen, dann blocken vor allem die großen Parteien mit ihrem „Macht- und Meinungsmonopol“ gerne ab oder halten sich bedeckt. Dies hat aktuell vor der Landtagswahl wieder eine Befragungsaktion der bundesweiten Initiative „Mehr Demokratie e.V.“ auch hier im Kreis Recklinghausen bei den heimischen 31 Landtagskandidaten der verschiedenen Parteien in den 5 Wahlkreisen ergeben, im Rahmen des so genannten „Abgeordneten-Watch“ im Internet.

Das auf die einzelnen heimischen Kandidatinnen und Kandidaten bezogene Befragungsergebnis ist sehr aufschlussreich, aber auch deprimierend nach 60 Jahren bewährtem Grundgesetz. Darin ist ja verankert, dass die Parteien lediglich bei der politischen Meinungs- und Willensbildung mitwirken, neben bürgerschaftlichen Gruppen und direktdemokratischen Elementen. Von Letzterem halten nur wenige unserer antretenden Landtagskandidatinnen und -kandidaten (vor allem der kleineren Parteien) etwas, während sich die Vertreter vor allem von CDU und SPD in dieser Region eher ablehnend oder bedeckt halten.

Sie wurden zu 7 Punkten gefragt, etwa ob sie Bürgerbegehren zu Bebauungsplänen und Planverfahren zulassen (und dafür auf Kostendeckungsvorschläge verzichten). Weiter wurde gefragt, ob sie die viel zu hohen Abstimmungshürden beim Bürgerentscheid nicht senken wollen, wie in anderen Bundesländern längst der Fall. Eine weitere Frage betraf die Erlaubnis freier Versammlungen bei Volksbegehren und die deutliche Absenkung der dazu notwenigen Unterschriftenzahl. Schließlich wurde nach haushaltswirksamen Volksbegehren gefragt und nach mehr Einfluss der Bürger auf die Zusammensetzung von Stadt- und Gemeinderäten.

Denn die Parteiendemokratie, die sich laut v. Weizsäcker „den Staat zur Beute gemacht haben, ist ja laut Grundgesetz zu einer Bürgerdemokratie weiterzuentwickeln, denn das Volk ist der Souverän, ansonsten fällt unsere Demokratie von der Parteienherrschaft in quasi feudalherrschaftliche Strukturen zurück. Darum sammelt die recht erfolgreiche Bürgerinitiative „Mehr Demokratie e.V.“ am 28. April von 11-16 Uhr auf dem Recklinghäuser Altstadtmarkt wieder Unterschriften. Diese sind nötig, denn so erschreckend ist die Haltung unserer 31 Landtagskandidatinnen und -kandidaten unserer 5 Wahlkreise:

Die meisten antworteten gar nicht auf die Internet-Umfrage von „Mehr Demokratie“ – weil ihnen das Thema nicht wichtig erschien? Vor allem führende CDU-Kandidaten wie Lothar Hegemann oder die (lernfähigen?) SPD-Kandidaten Becker, Gottschlich und Hübner wollen sich dazu wohl lieber nicht äußern. Ein Lob gebührt dem CDU-Kreisvorsitzenden MdL Hovenjürgen wegen seiner Beantwortung, allerdings schoss er den Vogel ab mit sieben mal „Nein“ zu mehr Demokratie – er gesteht den Bürgern keinerlei verbesserte Beteiligung zu, weil es den eigenen parteipolitischen Machtanspruch schmälern könnte? Aber auch SPD-Kandidatin Eva Steiniger-Bludau antwortet 6 Mal mit nein – lediglich bei der Absenkung der Abstimmungshürde beim Bürgerentscheid ist sie zu Zugeständnissen bereit. Die meisten FDP-Kandidaten sind ambivalent mit ja und nein im Wechsel zu den einzelnen Punkten. Die Grünen Kandidaten billigen den Bürgen in den meisten Punkten mehr Beteiligungsrechte zu. Durchgängig positiv antworteten die Kandidaten der Linkspartei und der Piratenpartei auf sämtliche verbesserten Einflussmöglichkeiten der Bürger. Wieviel Demokratie darf sein?

Daraus lässt sich die Prognose wagen, dass bei der anstehenden Landtagswahl eher die kleinen Parteien an Zuspruch gewinnen, aber die Wahlbeteiligung insgesamt weiter sinken wird. Schade um den mangelnden Reifegrad unserer Demokratie und das Demokratieverständnis unserer heimischen Kandidaten, die leider ohne Bürgerbeteiligung aufgestellt wurden!