Wilhelm Neurohr

Die Botschaft der SPD-Führung nach ihrer Wochenend-Klausurtagung Ende Januar in Potsdam - zur Vorbereitung auf die Bundestagswahl 2013 und drei vorherige Landtagswahlen – lässt aufhorchen: Denn offenbar will die SPD gegen sich selber bzw. ihre eigene Politik ankämpfen? Da verkündet Parteichef Sigmar Gabriel, man wolle keinen Wahlkampf gegen Merkel machen (um die angestrebte große Koalition nicht zu gefährden?), sondern die „Gegner“ seien die Finanzmärkte und die soziale Spaltung in Deutschland. Nun hat die jüngste OECD-Studie, die just während des zurückliegenden SPD-Parteitages veröffentlicht wurde, nachgewiesen, dass die soziale Spaltung in Deutschland ihre Ursache und ihren Ausgangspunkt in der folgenschweren Schröderschen Hartz-IV-Gesetzgebung hat. Unter Federführung der SPD in der rotgrünen Regierungsära (mit Hilfe der Grünen und der damals oppositionellen CDU-Opposition) waren die daraufhin eingetretenen sozialen Ungerechtigkeiten und der Sozialabbau mit steigender Armutsquote also gewollt oder in Kauf genommen. Denn gleichzeitig veranlasste SPD-Finanzminister Hans Eichel auch noch die so genannte „Jahrhundert-Steuerreform“ als Kernprojekt der „Agenda 2010, mit der die reichen Spitzenverdiener durch Senkung des Spitzensteuersatzes um 11% entlastet wurden. Die verheerende Folge: Jährlich 50 Mrd. € steuerlicher Einnahmerückgang, so dass seither Staat und Kommunen verarmen und sich rasant verschulden, folglich weiteren Sozialabbau betreiben. Und die Deregulierung statt notwendige Regulierung der Finanzmärkte war bekanntlich ebenfalls ein Agenda-2010-Projekt von SPD-Finanzminister Hans Eichel, der u. a. die Hedgefonds freigegeben hat. Und auch sein Nachfolger, SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der selbsternannte Möchtegern-Kanzlerkandidat, erstrebte, den Börsenstandort Frankfurt bzw. den global konkurrierenden Finanzmarkt Deutschland international zu stärken durch Deregulierungen. Die verheerenden Folgen kennen wir seit der Finanzmarktkrise 2009. Und nun sind also diese von der SPD einst gehätschelten Finanzmärkte und die von der SPD verschuldete „soziale Spaltung“ die Gegner der einstigen Sozialdemokraten? Wollen die wackeren Genossen im Wahlkampf wie Don Quichotte gegen eigene Windmühlenflügel ankämpfen? Die weitere Idee der SPD-Klausurtagung von Potsdam ist allerdings zu begrüßen, die Parteibasis und die Bürger an der Erstellung des neuen SPD-Regierungsprogrammes zu beteiligen. Doch das Ergebnis lässt sich leicht vorwegnehmen: Ist es doch keine zwei Jahre her, dass die SPD in einer breitangelegten Mitgliederbefragung an alle 10.000 Ortsverein der Partei ihre Basis vor Ort nach den Gründen für die Abkehr der Wähler und Parteimitglieder befragte. Die Antwort war eindeutig und benannte durchgängig 2 wesentliche Punkte: Hartz IV und Rente mit 67 werden einhellig abgelehnt! Hat die SPD daraus wirkliche Konsequenzen gezogen? Nein, sie hat die Befragungsergebnisse schleunigst wieder in der Schublade verschwinden lassen und verdrängt, wenngleich sie von Armutsbekämpfung“ sonntags allenthalben redet. Nun also zum Schein die nächste Beteiligungsaktion? Wer mag noch daran glauben, dass die Schröder-getreuen potentiellen Kanzlerkandidaten Steinbrück oder Steinmeier wirkliche Lernfähigkeit an den Tag legen und die Meinung der sozialen Verlierer in ihr Regierungsprogramm schreiben? Vorsichtshalber schonen sie Merkels Politik, um sich selber in einer großen Koalition dort einreihen zu können. Machterwerb als Selbstzweck statt für eine soziale Umkehr? Was ist nur aus der 100-jährigen Sozialdemokratie geworden und aus ihren einstigen Visionen für eine gerechte Gesellschaft?