Zum Niedergang der ältesten Partei Deutschlands:
Der unaufhaltsame Abstieg der SPD zur 5%-Partei
Ist die 162-jährige SPD noch zu retten?
Wie die nicht lernfähigen Sozialdemokraten 25 Jahre lang ihren eigenen Niedergang ignorierten und ihm nun schockiert entgegensehen /
Wie kann die von Akademikern dominierte SPD noch gerettet werden?
„In erster Linie soll die SPD in NRW
bis zur Landtagswahl 2027
wieder als Arbeiterpartei sichtbar werden“
"Gleichwertige Lebensverhältnisse
als Kernanliegen der Sozialdemokratie
hat die SPD nicht erreicht“,(Positionspapier der NRW-SPD
vom Oktober 2025)
Wie lernfähig sind die Sozialdemokaten, nachdem sie in den letzten 25 Jahren mit Wahlniederlagen in Serie ihren eigenen Niedergang ignorierten und ihm nun fassungs- und verständnislos entgegensehen? Wie nach jeder Wahlniederlage so hieß es auch 2025 nach ihrem historisch schlechtesten Bundestagswahlergebnis und ihrem zugleich schlechtesten Kommunalwahlergebnis seit 1946 im Stammland NRW diesmal wieder: „Wir haben verstanden“ – nachdem die SPD diesmal bundesweit eine Dreiviertel Mio. Wähler an die AfD und 1,8 Mio. an die CDU sowie 1 Mio. Wähler an Linke und BSW verloren hat; dabei auch 3% Jungwähler. Von ihren einstmals über 1 Mio. Parteimitgliedern ist in der überalterten und orientierungslosen SPD heute nur noch ein Drittel verblieben, ebenso ist ihr nur noch ein Drittel von der früheren Stammwählerschaft zugeneigt.
In Wirklichkeit haben die sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre in Land und Bund ihre Nichtwähler und ihr eigenes Versagen wieder nicht verstanden wegen ihrer Entfremdung von den Mitgliedern und der Bevölkerung. Die angekündigte „Aufarbeitung der Wahlergebnisse“ mit „schonungsloser Selbstkritik“ und „programmatischer Neuausrichtung“ sowie einem „Zurück zur Arbeiterpartei“ als „Kurswechsel“ mag man an der frustrierten Parteibasis und in der einstigen Stammwählerschaft schon nicht mehr hören, geschweige daran zu glauben, da man immer wieder enttäuscht wurde. Meint es die SPD in ihrem Schockzustand diesmal wirklich ernst mit einer überfälligen „Kurskorrektur“, obwohl es ihr laut taz „an Rückgrat und einer echten Gerechtigkeitserzählung fehlt“?
Welcher „neue Kurs“ ist gemeint? Wofür steht eigentlich die SPD als Dauer-Juniorpartner der CDU im Bund, nachdem stattdessen die gewandelte Linkspartei die früheren sozialdemokratischen Themen übernommen hat und damit zweistelligen Zuspruch erhält? Wo bleibt die ehrliche und schonungslose Ursachen- und Fehleranalyse? „Wer den bundesweiten Niedergang der SPD und dessen Gründe verstehen will, der kann und konnte diesen Absturz wie durch ein Brennglas im Ruhrgebiet beobachten“, schreibt Lutz Heuken im „Blog der Republik“. Er war also lange und Schritt für Schritt voraussehbar.
„Die SPD kümmerte sich nicht mehr um die Menschen in Problemvierteln “
In den 1970-er Jahren erreichte die SPD hier in ihrer „Herzkammer“ bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen immer deutlich über 50%, in Hochzeiten sogar 60%, um dann nach 2000 unter 50% zu sinken und aktuell nochmals auf die Hälfte davon. „Immer mehr Menschen wandten sich ab, weil sich die SPD von ihnen abgewendet hat“, konstatiert Heuken. „Die SPD hat die Menschen allein gelassen.“
Die SPD als einstige „Kümmerer-Partei“ hat sich aus den Problemvierteln zurückgezogen, nachdem die einstige Arbeiterpartei längst zu einer Partei der Akademiker und Lehrer in den „besseren Vierteln“ geworden ist, mit inhaltlichem Abdriften nach rechts statt links von der Mitte. Indem sie sich von ihren Stammwählern und der sozialen Klientel entfernte, hat sie so das Vertrauen der Wähler verloren.
Sozialpolitik ohne Empathie für die Betroffenen?
Deren politische Interessenvertreter fehlte es oft an Empathie und Betroffenheit, da sie sich nur theoretisch in die Probleme derer hineinversetzen konnten, die zum Millionenheer der sozialen Verlierer gehören. Sonst hätten sie nicht die Verschärfung statt Lockerung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger seinerzeit durch SPD-Arbeitsministerin Nahles und die aktuelle Sanktionsverschärfung der Bürgergeldempfänger heute durch SPD-Arbeitsministerin Bas betrieben, als demütigendes „Nach-unten-treten“.
Das Stichwort „Sozialreformen“ war für die Betroffenen stets mit Sozialabbau verbunden statt mit sozialen Verbesserungen. Und während gerade diskutiert wird, die Rentenerhöhungen künftig evtl. auf die Inflationsrate zu beschränken, erlauben sich die Abgeordneten jährliche Erhöhungen gemäß der tariflichen Lohn- und Gehaltsentwicklungen, in diesem Jahr um 5,4%, das sind rund 600 € sowie im Vorjahr 635 € monatlich und steigert damit die Diäten auf 11.800 € (gegenüber 4.634 € brutto Durchschnittslohn der Arbeitnehmer oder 1.102 € Durchschnittsrente oder 563 € Regelsatz beim Bürgergeld). Wie kommt das beim Wähler an?
SPD-Politiker repräsentieren nicht mehr die Arbeiterschaft
„Gleichwertige Lebensverhältnisse als Kernanliegen der Sozialdemokratie hat die SPD nicht erreicht“, bekennt nun reichlich spät, aber selbstkritisch die NRW-SPD, deren überwiegend akademische Mandatsträger und Spitzenfunktionäre als oft lebenslange „Berufspolitiker“ selber kaum vom sozialen Abstieg betroffen sind und sich so von der Lebenswelt der Menschen entfernen. „Die Menschen glauben uns nicht mehr und wir haben Vertrauen verspielt“, haben die Funktionäre der NRW-SPD zutreffend erkannt, die oberhalb der Ortsvereins-Ebene eher zu den „Besserverdienenden“ im Land gehören. Aber was sind die Konsequenzen?
Repräsentieren sie noch die „Arbeiterschaft“ und die sozial Bedürftigen, die entweder gar nicht mehr wählen gehen oder sich nach Links- und Rechtsaußen umorientieren? Die SPD ist auch parteiintern oberhalb der kommunalen Ebene nicht repräsentativ aufgestellt, sondern wirkt auf viele abgehoben. Ihre einstmals „linken“ Positionen („links von der Mitte“) hat sie vielfach aufgegeben: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Migrationspolitik und Menschenrechtspolitik oder in der Friedenspolitik ist sie immer mehr nach rechts gerückt („rechts von der Mitte statt links davon“), so dass sie für viele treue Stammwähler nicht nur aus der Arbeiterschaft, sondern auch aus den gebildeten Mittelschichten kaum noch wählbar ist. Rechts von der „demokratischen Mitte“ tummeln sich andere Parteien viel erfolgreicher.
Soziale Auslese in Partei und Parlament
Damit hat die soziale Spaltung oder Auslese auch die eigene „Arbeiter-Partei“ erreicht. Die als „Arbeiterpartei“ gestartete und als „Volkspartei“ gescheiterte SPD ist heute in ihrem gehobenen Funktionärskörper seit längerem eine abgehobene Partei der Akademiker und Besserverdienenden und spiegelt nicht mehr den eigentlichen Bevölkerungsquerschnitt wider - und das vor allem im SPD-Stammland NRW der viel zitierten „Malocher und sozial Abgehängten“.
Deshalb kommt die SPD nicht umhin, der sehr unbequemen Tatsache ins Auge zu sehen, warum sie sich mit ihrer obersten Funktionärsschicht von ihren Stammwählern und ihrer sozialen Klientel komplett fortentwickelt hat und deshalb neben einer inhaltlichen auch eine personelle Erneuerung dringend benötigt.
Wahrscheinlich kommt es ihr kaum in den Sinn, für die nächste Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2027 in NRW einen Kandidaten/eine Kandidatin aus der Arbeiterschaft aufzustellen. Ersatzweise diskutiert man über die längst aufgestiegene Bärbel Bas, falls diese nicht abwinkt, umgeben wiederum von Akademikern auf den übrigen Rangplätzen - die im Besitzstandsdenken um die immer wenigeren Ämter und Mandate konkurrieren. Dies wäre allein schon Stoff für eine (nicht gehaltene) Parteitagsrede.
Akademiker-Anteil bei SPD-Politikern viermal höher als in der Bevölkerung
Der Faktencheck für die NRW-SPD offenbarte diese Akademiker-Lastigkeit schon vor 7 Jahren: Während in der Gesamtbevölkerung nur 31% das Abitur oder Fachabitur haben und nur 17% Akademiker sind, betrug 2018 der Akademiker-Anteil im 36-köpfigen erweiterten SPD-Landesvorstand NRW 78%, im engeren 7-köpfigen Vorstand betrugt die Akademiker-Quote sogar 86 %, denn der Vorsitzende und sämtliche 5 Stellvertreter waren Akademiker. Das ist heute nicht viel anders. Auch die 18 Mandatsträger im SPD-Landesvorstand (11 Landtags- und 4 Bundestagsabgeordnete sowie 3 Europa-Abgeordnete) waren ebenfalls zu 78% Akademiker, die als gut versorgte Abgeordnete auch nicht in die Rentenkasse einzahlen oder beim Wechsel in Regierungsämter privilegierten Beamtenstatus erhalten.
Rühmliche Ausnahmen „zum Vorzeigen“ unter den NRW-Spitzenpolitikern waren eine Krankenschwester und ein Akademiker, der vor dem zweiten Bildungsweg Bergmechaniker war. Wo sind heute in den Parteigremien und Parlamenten die Handwerker, Facharbeiter und Fabrikarbeiter, die Pflegekräfte, die prekär Beschäftigten und Arbeitslosen, die alleinerziehenden Frauen und die Armutsrentner, denen der Zugang zu den nicht repräsentativen Parlamenten akademisch verbaut ist?
Wie in den Parlamenten insgesamt dominieren auch beim SPD-Spitzenpersonal in NRW die Juristen, Lehrer, Ökonomen, Sozialwissenschaftler und Beamte. Die ganz wenigen Nicht-Akademiker im Landesvorstand hatten andere gehobene Berufe, vom Bankkaufmann und Handwerksmeister über selbständigen Textilkaufmann bis zum aufgestiegenen Konzernchef einer Immobiliensparte.
SPD-Politik aus dem Blickwinkel der gehobenen Mittelschicht
Deshalb nimmt die sozialdemokratische Partei mit ihren fast ausschließlich akademisch gebildeten Berufspolitikern als bestens bezahltes Führungspersonal, das selber auch nicht innerhalb der eigentlichen sozialen Brennpunkte und Milieus wohnt, zwangsläufig den Blickwinkel des gehobenen Mittelstandes ein und bewegt sich in seiner abgehobenen Subkultur fern ihrer Klientel, mehr noch als die andere „große Volkspartei“. Eigene Nichtbetroffenheit von sozialen Problemen und Einschnitten macht blind für das Schicksal der Betroffenen.
Auch im überhaupt nicht repräsentativen Bundestag sitzen insgesamt fast nur noch Abgeordnete, die studiert haben (85%) oder gar einen Doktortitel haben, im NRW-Landtag sind es 70% (gegenüber 17% in der Bevölkerung), anders als noch in den 1970-er bis 1989-er Jahren. Da gab es zumindest bei der SPD noch Abgeordnete mit sogenannten Arbeiter-Biografien und die SPD erreichte auch deshalb Spitzenwerte von über 40% bei den Wahlen.
In NRW erreichte die SPD bei der Landtagswahl 1966 sogar fast 50%, 1985 sogar mit 52% darüber; bei den Kommunalwahlen in NRW in den 1970-er Jahren bekam sie bei hoher Wahlbeteiligung landesweit um 45%, in den 1980-er Jahren immerhin noch über 42%. Davon kann die SPD heute nur träumen. Ab der Jahrtausendwende kämpfte sie nur noch um die 30%, heute sogar um magere 20% bei relativ geringer Wahlbeteiligung.
Gewerkschafter und Betriebsräte prägten die „Blütezeit“ der SPD
Das war zur „Blütezeit“ der NRW-SPD völlig anders, als die Arbeitnehmer und Betriebsräte sich auch in der damals repräsentativen und volksnahen Funktionärsschicht der Partei und als Mandatsträger wiederfanden und im Ruhrgebiet für absolute Mehrheiten sorgten. Inzwischen sind sie von ehrgeizigen und eloquenten „studierten Genossen“ komplett verdrängt worden, die sich auf eine Dauerkarriere als „Berufspolitiker“ eingerichtet haben. Viele von denen starteten gleich nach dem (vereinzelt abgebrochenen) Studium dann beruflich in parteinahen Einrichtungen, von der AWO oder der Ebert-Stiftung bis zu den Stadtwerken, oder in den Abgeordnetenbüros und wurden von dort parteipolitisch gefördert, um nicht ins „akademische Proletariat“ abzurutschen. Es fehlt den meisten an längeren Berufs- und Lebenserfahrungen außerhalb des Parteiumfeldes.
Damit ging auch das Bewusstsein der gewählten „Volksvertreter“ von einem bloßen „Mandat auf Zeit“ völlig verloren, denn die meisten akademischen Genossen erstreben mit oder nach einem Mandat möglichst ein politisches Amt auf Lebenszeit als „ewige Berufspolitiker“ mit sicherem Spitzeneinkommen. Im Bundestag schafften sie es, dass sie sich als Mandatsträger nach nur 2 Wahlperioden von 8 Jahren Dauer so viel Rentenansprüche gesichert haben wie ein normaler Durchschnittsverdiener nach 45 Jahren, ohne in die notleidende Rentenkasse einzuzahlen. Besonders erstrebenswert sind Posten in der Regierung oder Verwaltung mit Beamtenstatus – die Partei als Karrieresprungbrett und -laufbahn für auf Dauer angelegte Berufspositionen. Wortgewandte studierte Karrieristen lösten somit die Arbeitnehmervertreter in der Partei ab, denen es um die Sache und die Kumpels ging, und verdrängten sie regelrecht.
Wer sich schlecht repräsentiert fühlt, wendet sich von der SPD ab
Wer sich schlechter repräsentiert fühlt, nimmt als Wähler und Bürger auch weniger am politischen Prozess teil und umgekehrt. Das erklärt den Schwund der Parteimitglieder wie auch den Rückgang der Wahlbeteiligung und den Verlust einstiger Stammwähler seit der „Akademisierung der Politik“, wie die Politikwissenschaftlerin Lea Elsässer 2024 herausfand. Schon bei der partei-internen Nominierung, an der die Wähler nicht beteiligt sind, herrscht Chancenungleichheit.
Für viele soziale Projekte und Vorhaben sowie Steuerpläne gibt es deshalb nicht einmal innerhalb der eigenen Partei klare Mehrheiten. Viele Chancen wurden und werden somit vertan. Dabei hat die SPD seit der Jahrtausendwende von 2000 zweimal den Kanzler und viermal den Vizekanzler und Arbeits- und Sozialminister in einer schwarz-roten Koalition gestellt. Was ist in punkto sozialer Gerechtigkeit das Resultat ihrer jahrzehntelangen Regierungspolitik und zeitweiligen Oppositionspolitik? Wie ist ihre Bilanz?
„Soziale Ungerechtigkeit ist Sprengstoff für unsere Demokratie“
Der Mitte Oktober 2025 veröffentlichte neue Armuts-Reichtums-Bericht der Bundesregierung zeigt die gravierende Vermögensungleichheit in Deutschland, da 10% der Bevölkerung mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens besitzen. „Das ist Sprengstoff für unsere Demokratie“ sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband zutreffend. Und sogar der zahme Deutsche Gewerkschaftsbund mit der ehemaligen SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi an der DGB-Spitze macht Front gegen die aktuellen sozialen Einschnitte der schwarz-roten Bundesregierung, wie sie widerstrebend durch die SPD-Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas aus dem Duisburger Arbeitermilieu vollzogen werden – eine Exotin in der akademischen SPD-Führung als Erfüllungsgehilfin?
Mit massiven Streiks droht nun die DGB-Chefin den Unternehmen, „um der aktuell vorherrschenden neoliberalen Marktpolitik zu begegnen“, die diese der Regierung abverlangen und die demgemäß liefert. Auch in der SPD haben sich viele immer noch nicht endgültig von dem neoliberalen Zeitgeist der armutsfördernden Agenda-Politik verabschiedet, wie das aktuelle Bekenntnis von SPD-Ko-Chef Lars Klingbeil zu Schröders umstrittener „Reformpolitik“ offenbart - als Vorbild für die jetzt erneut anstehenden „Sozialreformen“ wegen des (laut Kanzler Merz) angeblich „nicht mehr bezahlbaren Sozialstaates“?
Der „Blackrock-Kanzler“ und Multimillionär zieht als Regierungschef das durch, was er schon 2008 in seinem veröffentlichten Buch „Mehr Kapitalismus wagen“ verkündete, beginnend mit der Arbeitszeitverlängerung, der Steuersenkung für die „Leistungselite“ und der Teilprivatisierung der Renten- und Sozialsysteme. Dafür verschafft ihm die kompromissbereite SPD die nötige Mehrheit und Rückendeckung.
Angriff auf den Sozialstaat unter Beteiligung der SPD?
SPD-Sozialministerin und Parteichefin Bärbel Bas vollzieht somit kompromissbereit die von Kanzler Friedrich Merz als Duz-Freund beschworenen tiefgreifenden „Sozialreformen“ als weiteren Sozialabbau, insbesondere bei den Ärmsten ganz unten, beginnend mit dem Bürgergeld im Sinne der applaudierenden Unternehmerverbände und Lobbyisten sowie der Springer-Medien. Das sei „menschenunwürdige Politik auf Kosten der Schwächsten“, wie die Fraktionschefin der Linken den kaum noch unterscheidbaren Christ- und Sozialdemokraten daraufhin vorwirft.
Ähnlich wie die Jusos in der SPD fürchten auch die Grünen einen „Angriff auf den Sozialstaat“ und einen „Schlag ins Gesicht all derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen.“ Hingegen wird in der Koalition nur vorsichtig über eine höhere Erbschaftssteuer diskutiert wegen der ungleichen Vermögensverteilung, aber eine Vermögens- und Reichensteuer tabuisiert, trotz einsamer Rufer aus der SPD-Basis. (Wie sagte schon der alte Sozialstaatslehrer Augustinus: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt, ist nichts anderes als eine große Räuberbande“).
SPD hoffentlich nicht nur nützlicher Idiot für Friedrich Merz?
Was hat die heutige Sozialdemokratie, sofern sie noch den Namen verdient, sozialpolitisch zur Erreichung sozialer Gerechtigkeit (über Mindestlöhne hinaus) überhaupt noch zu bieten? Ist sie dem heutigen Problembündel insgesamt gewachsen und hat sie eine Vision von der Zukunft? Allein mit einem neuen Parteiprogramm auf dem Papier mit wohlfeilen Formulierungen ist es nicht getan, zumal die Personaldecke der überalterten SPD zur politischen Umsetzung immer dünner wird.
Indem sie sich nun auf die Koalition mit Multimillionär und Ex-Blackrock-Aufsichtsrat Friedrich Merz mit seinen schlechten Umfragewerten eingelassen hat – seit jeher ein Sozialstaatskritiker – muss sie wissen und realistisch einschätzen, welche politischen Spielräume sie überhaupt hat. Hoffentlich nicht nur als „nützlicher Idiot“ in Regierung und Bundestag für die wirtschaftsnahe Union (mit ihren hohen Parteispenden aus der Wirtschaft mitsamt Immobilienbranche).
Wie definiert die SPD die Sozialverpflichtung des Eigentums und warum fordert sie nicht die Abschöpfung der Spekulationsgewinne bei steigenden Bodenwerten ohne Arbeits- und Kapitalaufwand der Eigentümer (wie es sogar in der bayrischen Landesverfassung steht)? Auch sucht man den Mietendeckel im Koalitionsvertrag ebenso vergeblich wie die Vermögenssteuer – ist halt mit der Union „nicht machbar“.
So kann die SPD keine Wähler zurückgewinnen
Damit können die Sozialdemokraten keine Wähler zurückgewinnen, indem sie das „schmutzige Geschäft“ des Sozialabbaus für die CDU (und im Geiste der vom Wähler verjagten libertären Ampel-Partei FDP) erledigen, mitsamt weiterer Umverteilung von unten nach oben. Von der „stärkeren Besteuerung der Superreichen“ nur zu reden, hilft der SPD nicht weiter, derweil die Zahl der Milliardäre in Deutschland mit einem Anstieg auf 265 gerade einen neuen Rekord erreichte - skandalös.
Denn zugleich steuert die Armutsquote im reichen Deutschland auf Höchststand zu, die inzwischen mit 18 Mio. betroffenen Menschen jeden 5. Bundesbürger erreicht hat. Sogar die Mittelschicht ist zunehmend abstiegsbedroht, nicht zuletzt auch wegen der momentanen Mieten- und Preisentwicklung als Armutstreiber und den immer höheren Sozialabgaben für immer weniger Leistung. Jetzt wäre eigentlich die „Stunde der Sozialdemokratie“, wäre diese nicht so schläfrig, sondern kämpferisch.
Auf der Suche nach Wegen aus der Krise
Doch dazu ist die Partei zu schwach: Allein von 2022 auf 2023 hat die stark überalterte SPD 15.000 Mitglieder (=4%) verloren. 58% ihrer verbliebenen Mitglieder sind über 60 Jahre alt und nur 12% unter 35 Jahren. Damit kann die Seniorenpartei nur wenige neue Wähler gewinnen und sollte deshalb öfter auf ihre Jusos hören.
Auf der Suche nach Wegen aus der Krise will die NRW-SPD die Lehren aus dem Wählerrückgang ziehen und spricht nun von „mehr Ehrlichkeit im Umgang mit den Bürgern“. (Was heißt das und wo war man unehrlich? Belügt die SPD sich selbst?) Dabei rangelt man schon wieder um die Frage der Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl 2027, für die sich einige schon in Stellung bringen. Damit ist man sogleich wieder beim Personalthema, ohne vorher die inhaltliche Aufarbeitung vollzogen zu haben. An Rücktritt hatte übrigens mal wieder kein Mitverantwortlicher für die herben Wahlniederlagen gedacht.
Nostalgische Erinnerungskultur hilft der SPD nicht weiter
Im sozialdemokratischen „Vorwärts“ war im November 2023 zu lesen, dass die niedergehende SPD im Ruhrgebiet vielleicht wieder mehr von der „Erinnerungskultur“ profitieren könnte. „Will man die SPD im Ruhrgebiet wieder stärken, führt zumindest ein Weg über die Politisierung der Erinnerungslandschaft der Region“, so hieß es im „Vorwärts“ (der inzwischen in „Rückwärts" umbenannt werden müsste), untermalt von einem Foto der Zeche Zollverein.
Auf diese Idee sind wahrscheinlich die Akademiker in der SPD und in deren Redaktion gekommen. Nun will man mit dem Aufbau der industriellen Erinnerungslandschaft den wiederentdeckten „kleinen Mann“ und seine sozialen Kämpfe in den Mittelpunkt der einstigen Erfolgsgeschichte stellen, und zwar über eine „Route der sozialen Kämpfe“. (Dabei hat die SPD das Kämpfen schon lange verlernt). Vielmehr erwiesen sich einige ihrer namhaften Spitzenpolitiker in NRW durch ihr ungeheures Fehlverhalten eher als die „Totengräber der Partei“, die den „kleinen Mann“ vergraulten, wie mit der unvergesslichen Ära von Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Diese haben einen irreparablen Imageschaden für die SPD angerichtet, wie an anderer Stelle dieses Artikels erinnert wird.
Können die einstigen Hochburgen wiedergewonnen werden?
Wehmütig erinnert wird in dem erwähnten „Vorwärts“-Artikel an das historisch beste Wahlergebnis der SPD bei der NRW-Landtagswahl 1985 mit 52,1% unter einer Persönlichkeit wie Johannes Rau, als sie damit die absolute Mehrheit holte. In der Zeit von den 1960-er bis in die 1990-er Jahre stellte sie nahezu alle Oberbürgermeister in der Region. Doch nach 2000 (vor allem infolge der Agenda-Politik) bröckelte die Vormachtstellung und es begann die Krisenstimmung.
Bei der kühnen Frage nach der Wiedergewinnung der einstigen Hochburg der Sozialdemokratie erinnerte man sich nun daran, dass das sozialdemokratische Milieu über sozialdemokratische Betriebsräte in die Betriebe (auch über SPD-Betriebsgruppen) getragen wurde. Zugleich waren die Betriebsräte am Aufbau der Ortsvereine beteiligt und konnten als aufgestellte Kandidaten Parlamentsmandate oder Bürgermeisterposten erfolgreich erobern. Die SPD wurde damals vor Ort zur klassischen Kümmerer-Partei für die Alltagsprobleme der Menschen und baute engmaschige soziale Netzwerke auf.
Braucht eine Arbeiterpartei eine „Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen?
Doch dafür fehlen heute die Personen, Kontakte und Ideen in den zusammengeschrumpften SPD-Ortsvereinen mit Seniorenüberhang. Und die einstigen Betriebsgruppen existieren kaum noch. Vor allem die umstrittene Bundespolitik verhagelt den Sozialdemokraten vor Ort die Akzeptanz und die Wahlchancen und wird durch die „Klingbeilisierung“ der SPD auch nicht besser, nachdem sich der neue Ko-Vorsitzende handstreichartig die wichtigsten Positionen sicherte und andere verdrängte, als angeblicher „Akt der Verjüngung und Verweiblichung“ der SPD. Dazu an anderer Stelle mehr.
Dass es in der Möchtegern-„Arbeiterpartei“ überhaupt eigens einer „Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen“(AfA) bedurfte, zeigt, dass die Arbeitnehmer-Belange als Randthema in eine der vielen AG´s der SPD ausgelagert wurden, um überhaupt einen gewissen Stellenwert noch aufrechtzuerhalten. Aus Reihen der AfA gab es dann auch die meisten Austritte aus der SPD oder ein Rückzug der Aktiven infolge der arbeitnehmerfeindlichen Agenda-Politik.
Ausgetretene Berliner SPD-Bezirksverordnete lesen der Partei die Leviten
An der SPD-Basis grummelt es inzwischen überall erneut. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Berliner Bezirksverordneten-Versammlung von Pankow, Roland Schröder, ist im August 2025 aus der SPD ausgetreten und zu den Linken übergetreten. Bereits im April 2025 trat der Bezirkspolitiker Rainer Hölmer wegen Differenzen mit der SPD-Bundespolitik aus der SPD aus, der 15 Jahre lang als Stadtrat für Treptow-Köpenick tätig war. Ende März 2025 trat die für ihr herausragendes kommunale Engagement ausgezeichnete Berliner Bezirksverordnete Anab Awale aus der SPD aus, weil diese nicht mehr die Partei sei, in der sie für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität kämpfen könne.
Sie las der SPD die Leviten: „Politik wird bei der SPD nicht mehr gestaltet, sondern verwaltet. Die SPD hält ihre eigenen Ansprüche nicht mehr ein“. Es gäbe in der Partei kaum noch Streitkultur und Basis-Beteiligung sowie keine echten Visionen und keine klare Strategie, sondern nur Slogans. Die SPD sei in den Lebenswelten der Stammwähler und sozial Benachteiligten nicht mehr vertreten und in Distanz zu Arbeitnehmern und Gewerkschaften. Es fehle an einer Vision für eine gerechte und solidarische Gesellschaft.
Dagegen will der neue Generalsekretär Tim Klüssendorf (33) mittels Programmdebatte die SPD wieder „cool und attraktiv machen für die Jugendlichen und Jungwähler“. Doch das Bild der SPD ist aus den zurückliegenden Jahren wenig positiv vorgeprägt und schwer zu korrigieren.
Mitgliederbefragung:
Entfremdung der Partei von Mitgliedern und Bevölkerung
Schon einmal hatte die gesamte aufmüpfige SPD-Basis ihrer Bundespartei den Spiegel vorgehalten nach vorherigen Massenaustritten: In 2010 veranlasste der umstrittene SPD-Chef Sigmar Gabriel eine Mitgliederbefragung der 10.000 SPD-Ortsvereine über einen Fragebogen, bei der die Basis mit der Parteiführung hart ins Gericht ging und ihr ein miserables Zeugnis ausstellte: Es wurde vor allem mangelnde Glaubwürdigkeit sowie Profil- und Farblosigkeit angeprangert und ein gebrochenes Verhältnis zu den Linken bemängelt. Als besonders negativ wurde der Zustand der Bundes-SPD und die fehlende Mobilisierung bemängelt. Ein Großteil der Basisgliederungen war mit der Arbeit der Parteizentrale unzufrieden.
Damit arbeiteten die Ortsvereine sieben Monate nach der damaligen Bundestagswahl 2019 die verheerende Wahlschlappe auf und beklagten eine Entfremdung der Partei von Mitgliedern und Bevölkerung. In der Hartz-IV-Reform und der Rente mit 67 sah die SPD-Basis nämlich die Hauptgründe für die katastrophale Niederlage mit Absturz auf 23% bei der Wahl. Auf die Frage, was im Wahlkampf unter dem damaligen Spitzenkandidaten Walter Steinmeier besonders positiv gewesen sei, war die häufigste Antwort. „Nichts.“
Für die Zukunft wurden regelmäßige Befragungen und Mitgliederentscheide von der Parteibasis eingefordert. Doch statt des von SPD-Chef Sigmar Gabriel versprochenen „Neuaufbaus“ der SPD verschwanden die Fragebögen in der Schublade und wurden auch bis heute von den Nachfolgern nicht wiederholt. Fundamentalkritik von der Basis ist nicht erwünscht, das bekamen auch die ausgetretenen Berliner SPD-Bezirksverordneten aktuell zu spüren. Somit bleiben viele Probleme von der SPD nicht angepackt oder werden wieder einmal vertagt oder ausgesessen – bis zur nächsten Programmdiskussion oder Wahlniederlage? Doch die sozialen Realitäten holen die SPD immer wieder ein.
Hat die SPD als „Anwalt der kleinen Leute“ die „neue soziale Frage“ erkannt?
Die Schlangen an den Tafeln und Suppenküchen und die Zahl der Wohnungslosen wachsen täglich im reichen Deutschland dramatisch, und den vielen Rentnern in Altersarmut drohen weitere Rentenkürzungen, von steigender Kinderarmut noch gar nicht zur reden, von der jedes 5. Kind betroffen ist, mitsamt Bildungsbenachteiligung - derweil die Rüstungsausgaben ins Unermessliche steigen und die Sozialausgaben schmälern.
Vor allem die Wohnungsfrage als die neue soziale Frage Nr. 1 mit dem größten sozialen Sprengstoff hatte die SPD lange Zeit nicht wirklich als dringendste Hauptaufgabe erkannt und unter einer SPD-Bauministerin auch nicht in den Griff bekommen. Die halbherzige Wohnungspolitik ist gescheitert und die Wohnungslosigkeit steigt, ebenso ungebremst steigen die kaum noch bezahlbaren Mieten. Vermisst wird eine SPD, die sich erkennbar als Anwältin der „kleinen Leute“ erfolgreich einbringt, die über die hohen Wohnkosten in die Armut abrutschen, weil die von keiner Tarifsteigerung aufgefangen werden können.
SPD hat nicht auf ihre Altvorderen wie Jochen Vogel gehört
Eine notwendige radikale Wohnungsmarktregulierung und eine Bodenrechtsreform stehen jedoch bei der SPD überhaupt nicht mehr auf der Tagesordnung, die SPD-Senior Hans Jochen Vogel kurz vor seinem Tod der Partei dringend ans Herz gelegt hat im Land der Spekulanten. Sein Buch dazu, das er im hohen Alter im Seniorenheim als sein Vermächtnis verfasst hat, sei allen Genossinnen und Genossen dringend zur Lektüre empfohlen.
Es wäre nicht uninteressant und aufschlussreich, wenn alle heutigen SPD-Mandatsträger und Regierungsmitglieder – zumeist mit privatem Wohnungseigentum - offenlegen würden, ob sie selber ihr erworbenes oder evtl. ererbtes Privatvermögen auch in Immobilien oder -fonds gewinnbringend und preistreibend angelegt haben - oder sogar in Rüstungsaktien, nachdem diese inzwischen als „nachhaltige Kapitalanlage“ gelten und die Aktienkurse senkrecht nach oben gehen. Damit würde die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sozialdemokratischen Politikverständnisses sichtbar.
Die soziale Spaltung der Gesellschaft schreitet voran
Die Spaltung der Gesellschaft schreitet deshalb mit sozialdemokratischer Hilfe und Duldung voran und die Rechtspopulisten profitieren, indem ihr in aktuellen Umfragen fast doppelt so viele Stimmen vorausgesagt werden als der einstmals stolzen SPD. Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist die SPD bundesweit in Umfragen von 46% auf heute unter 15% gestürzt (in einigen Bundesländern wie Sachsen und Thüringen, aber auch in Bayern auf einstellige Werte zwischen 6% bis 8%), trotz oder wegen 6-maliger Regierungsbeteiligung in Berlin seit der Jahrhundertwende, überwiegend zumeist als Juniorpartner der CDU. Die aktuellen Prognosen für die bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg sagen der SPD gerade noch 10% voraus.
Mit dieser geringen Rückendeckung aus der enttäuschten Wählerschaft lässt sich kaum erfolgreiche Sozialpolitik betreiben und der Bundestrend verbessern. Die Partei stolpert von Niederlage zu Niederlage, zuletzt in NRW. Dort in ihrem einstigen Kernland ist sie sogar auf das historische Tief von 22,1% abgesackt, während die AfD insbesondere im (nördlichen) Ruhrgebiet ihre Hochburgen im Westen festigt, mit über 20% in manchen Städten, derweil die SPD weiter schrumpft und kaum noch als „Anwalt der kleinen Leute“ wahrgenommen wird.
Die SPD hat nach jeder Wahlniederlage den Weckruf nicht gehört
Schon bei der NRW-Landtagswahl 2022 in NRW mit erschreckend geringer Wahlbeteiligung von nur 55% war die SPD auf 26,7% abgesackt und erhielt dann bei der Bundestagswahl 2025 nur noch 16,4% der Zweitstimmen. Rechnet man die 17,5% Nichtwähler mit ein, haben bei der bei der letzten Bundestagswahl im Februar 2025 insgesamt 83% der Wahlberechtigten die SPD nicht gewählt und damit nicht gewollt – eine mehr als deutliche Ablehnung dieser keinen Minderheitspartei, die einstmals „Volkspartei war“. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die SPD über kurz oder lang bundesweit nur noch einstellige Werte erzielt und am Ende bei 5% landet. Denn laut Tagesspiegel vom 21. Oktobe 2025 landet die SPD bei der Insa-Sonntagsfrage bei 14%, bei ihren treuesten Wählern sogar bei nur noch 9%!
Die frühere Arbeiterpartei hat jedes Mal den Weckruf nicht gehört, sondern unverdrossen das „Weiter-so“ gepflegt, und zwar 25 Jahre lang seit ihrer verhängnisvollen neoliberalen „Agenda 2010“, deren Spätfolgen immer noch spürbar sind. Aus den oberflächlichen Wahlanalysen wurden jedes Mal keine wirklichen Ursachen ermittelt oder Konsequenzen gezogen, wie es sich jetzt bitter rächt. Wichtiger war den meisten die Verteilungskämpfe um die wenigen noch verblieben Posten oder Mandate unter sich, die es zu noch zu vergeben gab.
Mit Blick auf ihre stolze 162-jährigen Geschichte sollte sich die SPD daran erinnern, dass sie von 1890 bis 1930 Jahrzehnte lang stimmenstärkste Partei in der Weimarer Republik war und mit Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Gustav Bauer und Hermann Müller vier Mal den Regierungschef stellte.
Höhere Vermögens-, Erbschafts- und Reichensteuer in der SPD umstritten
Damals war noch ein sozialdemokratisches Profil erkennbar, heute fällt das schwerer. Besonders mit sozial gerechter Steuerpolitik tut sich heute die SPD über viele Jahre recht schwer. Zwar hat die SPD in 2023, 2024 und 2025 ihre zuvor auf Parteitagen abgelehnten Anträge der Parteibasis für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und für eine höhere Spitzensteuer, höhere Erbschaftssteuer sowie Reichenabgabe nunmehr wieder aus der Schublade geholt. Sie hat aber nichts davon in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, weil nicht so wichtig und nicht vorrangig? Noch in 2017 hatte die SPD-Bundestagsfraktion auch entsprechende Anträge der Linksfraktion im Bundestag abgelehnt. Die Angst vor Unternehmerschelte lähmt die heutige SPD.
Zuvor hatten parteiintern die Vorstands -und Spitzenfunktionäre vom rechten „Seeheimer Kreis“ in der SPD bereits entsprechende Parteitags-Anträge der Parteilinken und der Jusos vehement abgelehnt, die von der Schröder-Regierung vorgenommene Senkung der Spitzensteuer rückgängig zu machen. Delegierte erinnern sich noch, wie nacheinander die neoliberalen „Obergenossen“ Peer Steinbrück und der eingeladene Altkanzler Gerhard Schröder, unterstützt vom damaligen Fraktionschef Walter Steinmeier, aber auch von Hans Eichel, Sigmar Gabriel und anderen Schröder-Getreuen am Rednerpult und schon im Vorfeld des Parteitages massiv gegen die Steuerhöhungs-Anträge der Parteilinken und Jusos ankämpften.
Steuergerechtigkeit war nie Herzensanliegen der SPD
Steinmeier (vormaliger Wahlverlierer als Kanzlerkandidat) sprach sich sogar gegen die sehr bescheidene Forderung der Parteilinken zur Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42% auf 49% aus. Dabei wäre das noch unterhalb des Spitzensteuersatzes von 53% unter CDU-Kanzler Helmut Kohl geblieben. Stattdessen schlugen die Parteioberen den Parteitagsdelegierten faule Kompromisse vor, um den linken Parteiflügel zu beruhigen und die überfällige Steuergerechtigkeit zu begraben.
Man „dürfe die Wähler mit dem Thema Steuererhöhungen nicht verschrecken und verunsichern“, so argumentierten sie. Peer Steinbrück hatte auf dem SPD-Parteitag im Dezember 2011 zudem eindringlich an die Delegierten appelliert, in ihren Anträgen bitteschön die Reichen nicht mit Forderungen nach „überzogenen“ Steuererhöhungen zu verprellen. Zu diesem Zeitpunkt war Steinbrück durch seine hochbezahlten Vorträge selber zum Millionär geworden. Daraufhin wendeten sich viele Wähler wegen der nicht vorgesehenen Steuergerechtigkeit enttäuscht von der SPD ab, denn die folgsame Parteibasis ohne Rückgrat folgte wieder einmal ihren Spitzengenossen. Parteitags-Gastredner Gerhard Schröder warnte: „Die Pläne, die Steuern zu erhöhen, halte ich für ganz falsch. Ich finde, wir haben damals eine richtige Steuerpolitik gemacht.“
Die SPD ignoriert heute sogar aktuelle Umfragen von 2025, wonach 62% der Deutschen eine Vermögenssteuer befürworten, wie es sie in anderen EU-Ländern gibt. Die Mehrheit des Volkes stimmt auch einer Reichensteuer zu, bei den SPD-Wählenden sogar zu 90%! Und sogar mehr als die Hälfte der Unionsanhänger befürworten eine solche Steuer. Nur die FDP- und AfD- Anhänger lehnen eine solche Steuer zu 62% bis 64% ab.
Soziale Verlierer orientieren sich nach rechts
Will die zögerliche und zaudernde SPD etwa denen folgen, weil die AfD mit zunehmendem Erfolg überwiegend von Arbeiterinnen und Arbeitern gewählt wird, die ihr auf den Leim gehen? Zehn Prozent der AfD-Wählenden haben ein monatliches Haushaltseinkommen von unter 1.250 €, das heißt, die sozialen Verlierer versprechen sich keine Hilfe von der SPD, sondern fälschlich von den rechten und zugleich neoliberalen Populisten der AfD.
Oder es sind teilweise Wutbürger und frustrierte Protestwähler, die es der enttäuschenden SPD heimzahlen wollen? In den Ruhrgebietsstädten wie der ehemaligen SPD-Hochburg Gelsenkirchen liegt diese Vermutung jedenfalls nahe, wo die AfD bei der Kommunalwahl 2025 mit rund 30% bereits gleichauf mit der SPD lag, bei der Bundestagswahl 2025 mit den Zweitstimmen sogar vor der SPD und auch vor der CDU, somit auf Platz 1 in Gelsenkirchen.
Entdeckt die SPD wieder das Gerechtigkeitsthema?
Erst heute bei ihrem Niedergang entdeckt die SPD wieder das Gerechtigkeitsthema – etwas zu spät, wie die längst eingetretene soziale Spaltung sowie die erfolgte Quittung für die halbherzige SPD zeigt. Nicht einmal ihr Bundespräsident Steinmeier als Aushängeschild hat in seiner Amtszeit mal in irgendeiner Rede oder bei Weihnachts- und Neujahrsansprachen die soziale Ungerechtigkeit und Armutsentwicklung in der Bundesrepublik als fürsorgliches „Staatsoberhaupt“ angemessen zum Thema gemacht, wie es vor ihm Johannes Rau und Gustav Heinemann mit Empathie vermochte. Auf lange Sicht wird die SPD wohl keinen Bundespräsidenten mehr stellen, da die wahren Probleme des Volkes dem abgehobenen SPD-Präsidenten (als Architekt der Schröder´schen Agenda 2010) fremd sind.
Er war seinerzeit vom ehemaligen SPD-Chef (und heutigen Wirtschaftslobbyisten) Gabriel ins hohe Amt komplimentiert worden und hatte sich selber für eine zweite Amtszeit vorgeschlagen. Auch für den blassen Kurzzeit-Kanzler Olaf Scholz war Steuergerechtigkeit kein wirkliches Thema. Er steht eher in Verdacht, einem Hamburger Bankier der Privatbank Warburg die Rückzahlung von Steuergeldern in Millionenhöhe infolge unzulässiger Cum-Ex-Geschäfte erspart zu haben durch seine angebliche Einflussnahme. Mit solchen Repräsentanten und Spitzenpolitikern kann sich die SPD nicht als steuerpolitische und soziale Gerechtigkeitspartei profilieren.
Wie die SPD ihre Wahlchancen immer wieder verspielte
Kurze Zeit währte in 2017 der Hype um den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz als neue Lichtgestalt und Hoffnungsträger der SPD mit linker Attitüde, der sogar eine rot-rot-grüne Koalition nach seinem Wahlsieg nicht ausschloss, aber von Spitzengenossen zurückgepfiffen wurde. Nach schlechten Werten für SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich selber zum Kanzlerkandidaten ausrufen wollte und von den Parteitagsdelegierten abgestraft wurde, erzielte dann in 2017 Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat ein anfängliches Umfragehoch mit einem Plus von 8% für die SPD und großem Beliebtheits-Vorsprung vor Kanzlerin Merkel. Das sorgte im Wahlkampf geradezu für Euphorie bei den Genossen und in den Medien.
Doch nachdem Martin Schulz den Alt-Kanzler Schröder zum Parteitag einlud und ihn beim Kanzlerduell auf allen Fernsehkanälen für seine Agenda-Politik lobte, war es um den „Heilsbringer“ Martin Schulz geschehen. Er bescherte der SPD mit mageren 20,5% das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Dabei sollte er das soziale Profil der SPD nach außen tragen. (Dass diese Prozentzahl später nochmal unterboten wird, mochte sich damals kein Genosse ausmalen). Auch heute macht SPD-Vorsitzender Klingbeil vom „Seeheimer Kreis“ wieder den gleichen Fehler, indem er, wie erwähnt, bei den angekündigten „Sozialreformen“ ausgerechnet auf Schröders Reformpolitik von damals verweist, zum Schrecken der Wählerinnen und Wähler.
Die SPD hat ihre Niederlagen unzureichend aufgearbeitet
Martin Schulz mahnte nach seiner Niederlage: „Die herbe Niederlage braucht eine umfassende Aufarbeitung. Wir werden nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir dürfen nicht wieder den gleichen Fehler machen, unsere Niederlagen nicht ausreichend aufzuarbeiten.“ Doch genau diesen Fehler machte die SPD wieder einmal und ging erneut zur Tagesordnung über. Einzige Konsequenz: Martin Schulz schlug 2018 vor, Andrea Nahles zur Vorsitzenden zu wählen – die aber als erste Frau in dieser Funktion nach nur einem Jahr in 2019 „mit Knall und Fall“ das Handtuch warf, ebenso als Fraktionsvorsitzende in Personalunion.
Die nachfolgende Ära des farblosen Kanzlers Olaf Scholz mit seinem destruktiven und regierungsunfähigen Koalitionspartner FDP in der Ampelregierung ist noch in allzu guter (oder schlechter Erinnerung) mit anhaltend niedrigen Beliebtheitswerten. Auch diese misslungene Ära wurde in der SPD nicht hinreichend aufgearbeitet.
Endlich Selbstkritik als Anstoß für eine Aufbruchstimmung?
Gelingt nun dem weithin unbekannten NRW-SPD-Landesvorsitzenden Achim Post und seiner Ko-Vorsitzenden Sarah Philipp mit dem selbstkritischen Positionspapier der größten Landespartei die große Wende der SPD auch in der Bundespolitik?
Der SPD-Vize und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer, ruft zeitgleich seine Partei dazu auf, ihre Politik mit mehr Leidenschaft und Emotion zu vermitteln – doch welche Politik ist gemeint und wofür brennt die Leidenschaft? Für das alte Grundsatzprogramm der SPD von 2007? Und wissen enttäuschte Wähler neue Programmpapiere von Parteien zu würdigen – oder dienen sie nur der Selbstvergewisserung der Parteifunktionäre?
Eine Programmdebatte als Rettungsanker?
Der von Klingbeil verdrängte Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich fordert ebenso wie der junge SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf eine neue Programmdebatte, insbesondere über eine soziale Politik als Konsequenz aus dem historisch schlechten Wahlergebnis. Hinzugezogen werden sollen auch Gewerkschaften, Intellektuelle und Künstler wie in den siebziger Jahren beim SPD-Orientierungsrahmen. Hubertus Heil meinte auf dem letzten SPD-Parteitag: „Wir sind zu langweilig“. Vorsitzender Klingbeil spricht von „Profil schärfen“ und Ko-Vorsitzende Bärbel Bas von „historischer Aufgabe“.
Die Sozialdemokraten wollen sich also „neu erfinden“ oder wiederbeleben? Dazu bedürfte es hoffnungsvoller Zukunftsvisionen statt verkündeter „Zumutungen“ und „harter Einschnitte“ für die Wählerinnen und Wähler. Solche haben die Menschen lange genug genossen, von denen nur wenige „über ihre Verhältnisse gelebt haben“, sondern deren Verhältnisse sich täglich verschlechtern. Dabei misst sich die Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen.
Eine unübersehbare Bilanz des politischen Scheiterns und Versagens
Ist sich die SPD der eigentlichen Ursachen für ihren stetigen Niedergang bewusst? Seit der rot-grünen Regierungsära um die Jahrhundertwende und den fünf nachfolgenden Regierungsbeteiligungen der SPD, also seit über 25 Jahren, geht in Deutschland und in NRW bekanntlich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Die Kinderarmut und Altersarmut sowie Wohnungsnot, Obdachlosigkeit und Tafel-Schlangen zur Armenspeisung steigen im reichsten Land Europas von Jahr zu Jahr ungebremst - entgegen allen politischen Versprechungen vor allem der SPD bei jeder Wahl alle vier oder fünf Jahre, die „Armutsbekämpfung“ und „Reichtumsverteilung“ im Sinne sozialer Gerechtigkeit anzupacken.
Hinzu kommen der Pflegenotstand, der Bildungsnotstand und die Bildungsbenachteiligung, das Anwachsen sozialer Brennpunkte sowie unzureichend gelungene Integration, ferner prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, Miet- und Preissteigerungen sowie wieder ansteigende Arbeitslosigkeit mit Abstiegsängsten. Allein der jahrzehntelange Verfall der Infrastruktur und die Mobilitätsbehinderung sollen nun mit viel Geld aus dem Investitionspaket geheilt werden, was aber viele Jahre bis zur erlebbaren Wirksamkeit benötigt. Manche Senioren und Genossen über 70 werden das Ergebnis nicht mehr erleben. An der Vernachlässigung der infrastrukturellen Instandhaltungen (einschließlich der versuchten Bahn-Privatisierung statt ihrer Gemeinwohlorientierung) war die SPD in vielen Landesregierungen und in Bundesregierungen stets beteiligt. Seit 1966 stellte die SPD acht Mal den Verkehrsminister.
Die unterfinanzierten Kommunen leiden unter der SPD-Landes- und Bundespolitik
Und die finanzielle Unterfinanzierung der seit Jahrzehnten notleidenden Kommunen hatte im Jahr 2000 ihren Ursprung in der neoliberalen „Jahrhundert-Steuerreform“ des SPD-Finanzministers Hans Eichel als Agenda-Projekt, (mit dauerhaftem Wegbrechen von Körperschafts- und Gewerbesteuereinnahmen) zugunsten einer Umverteilung von der öffentlichen Hand in die privaten Taschen. Von „Gemeindefinanzreform“ war immer nur die Rede und jeder versprochene „Schuldenschnitt“ war nicht ausreichend. Viele Kommunen flüchteten sich notgedrungen in Privatisierungsstrategien und vekauften ihr "Tafelsilber".
Das ist bis heute nicht ausgemerzt worden, sondern hat sich nachhaltig verschlechtert durch noch weitere Belastungen für die Kommunen, die eigentlich die wichtigste Säule des Sozialstaates und für die Demokratie sind. Lässt man sehenden Auges die Kommunen verfassungswidrig in den Abgrund sinken und wälzt noch mehr auf die Ehrenamtlichen vor Ort ab? Die Verlierer infolge der Schließung von öffentlichen Einrichtungen oder Reduzierung von sozialen und kulturellen Angeboten vor Ort sind immer die gleichen ganz unten, oder die junge Generation in den vergammelten Schulen in NRW, die beim Bildungsranking gerade wieder ganz hinten landeten.
Fragwürdige Rüstungs- und Militärpolitik der einstigen Friedenspartei
Und das alles wird in der einstigen Friedenspartei SPD aktuell überlagert mit geschürten Kriegsängsten, Militarisierung der Politik und Schulterschluss mit der rein gewaschenen Rüstungsindustrie durch die tonangebenden Bellezisten in der SPD. Diese begehren nur halbherzig gegen das „russische Roulette“ beim Losverfahren für die Wehrpflicht auf – ein glatter Verstoß gegen die Gleichheit vor dem Gesetz. Die Kriegsgefahren durch die fragwürdige Aufrüstungs- und Eskalationspolitik sowie die Verharmlosung der mörderischen Kriegswaffenproduktion und -exporte, aber auch der Abschied von jedweder Abrüstungspolitik wirkt auf viele ehemalige SPD-Wähler verstörend. Nun verschreckt man auch noch die Jungwähler im wehrpflichtigen Alter.
Für diese Generation hat die SPD nicht mehr viel zu bieten, sondern ist als ehemalige Friedenspartei täglich auf Militarisierungskurs und mitverantwortlich für bevorstehende Sozialkürzungen zugunsten des aufgeblähten Militärhaushaltes. Das Erbe von Willy Brandt und Helmut Schmidt wird verspielt, wie an anderer Stelle noch verdeutlicht. Doch auch daran werden die Wählerinnen und Wähler die SPD messen, weniger an irgendwelchen Programmversprechungen auf dem Papier.
Verstörende Flüchtlingspolitik der einstigen Menschenrechtspartei
Ebenso verstörend ist die nahezu vorbehaltlosen Unterstützung oder Tolerierung der teils völker- und menschenrechtswidrigen Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie der Asylreform des Koalitionspartners CDU/CSU in Kopie des AfD-Drehbuches. Das ist der einstigen Menschenrechtspartei SPD unwürdig. Immerhin wandten sich 2024 auch 35 SPD-Abgeordnete mit harscher Kritik gegen wesentliche Vorhaben des sogenannten „Sicherheitpaktes“ in der Migrationspolitik.
Zwar gibt es aktuell auch Kritik aus Reihen der SPD etwa an der von CSU-Innenminister Dobrindt geplanten unbefristeten Abschiebehaft und anderen verfassungswidrigen Maßnahmen, aber die im Koalitionsvertrag ausgehandelte „Migrationswende“ macht die SPD in fast allen Punkten zur Mittäterin. Auch das führt nicht zur Eindämmung des politischen Rechtstrends, sondern kommt der AfD zugute, die sich dadurch bestätigt sieht.
Vernachlässigte Umwelt- und Klimapolitik
Das Vakuum, das die aus der Regierungsverantwortung ausgeschiedenen Grünen in der Umwelt- und Klimapolitik hinterlassen haben, wird nicht erkennbar durch die SPD hinreichend ausgefüllt. Es ist deshalb voraussehbar: Noch bevor die positiven Effekte der voluminösen übrigen Investitionen in die Infrastruktur, Bahnsanierung etc. sichtbar und erlebbar sind, werden bis dahin die Auswirkungen der unzureichenden und halbherzigen Klima- und Umweltpolitik wohl in dramatischer Weise sichtbar und spürbar, was vor allem jungen Menschen Angst und Sorge für ihre Zukunft bereitet. Selbst absehbare Katstrophen veranlassen die SPD nicht zu einem radialen Umdenken?
Da die SPD in ihren Reihen wohl keinen engagierten Umweltpolitiker oder Klimaaktivisten fand, setzte man aus Proporzgründen den ehemaligen Bankkaufmann Carsten Schneider (vom Seeheimer Kreis der SPD) auf den Posten des Umweltministers, obwohl dieser keinen fachlichen Hintergrund hat und er bis dahin nie mit umweltpolitischen Themen in Erscheinung getreten war. Das sagt genügend aus über den Stellenwert des Umweltressorts bei den Koalitionären SPD und CDU. Als eine der ersten Umweltmaßnahmen wurden die Stellen im Bundesumweltamt, das über die Umsetzung der Umwelt- und Klimaprojekte wacht, drastisch zusammengestrichen. Ein Tempolimit auf Autobahnen hat sich die SPD als „Autopartei“ (Schröder) in den Koalitionsverhandlungen gar nicht erst mit Nachdruck zu fordern getraut, obwohl im Volk eine Mehrheit von 57% dafür ist.
Politisches Totalversagen erlaubt keine Ausreden
Aus all den vorgenannten Punkten muss deshalb der Politik unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialdemokraten insgesamt ein Totalversagen attestiert werden, mit dem die soziale Spaltung und die ungelösten Probleme verschärft wurden, auch wenn sich ein Dutzend Regierungen in allen möglichen Koalitionen der „Parteien der Mitte“ nacheinander irgendwie über die Runde gerettet haben. Dass die Parteien auch das eine oder andere Positive für die Menschen „draußen im Lande“ erreicht haben und nicht alles „Schlechtzureden“ ist, sei geschenkt. Aber der erreichte Ist-Zustand in der Gesamtheit ist desaströs – sonst gäbe es nicht den Erfolg der rechtsradikalen „Rattenfänger“ in der Parteienlandschaft
Doch den sozialen Versprechungen für die Zukunft glaubt den daran beteiligten Sozialdemokraten kaum noch jemand, denn allzu oft und allzu lange gingen sie ins Leere. Allein die gebetsmühlenartige Ausrede mit den fehlenden Mehrheiten und notwendigen Kompromissen reicht nicht. Ohne Bündnispartner links von der (in die rechte Mitte abgedrifteten) SPD wird es realistischerweise keine Verbesserungen für die immer zahlreicheren sozialen Verlierer geben.
Die geschrumpfte SPD muss sich ehrlich machen
Ist die geschrumpfte und harmoniebedürftige SPD mit dem schwachen Rückgrat und Kampfgeist den genannten Herausforderungen und dem Problembündel in Zukunft insgesamt gewachsen? Allein mit einem auf Bundesebene geplanten neuen Parteiprogramm auf dem Papier mit wohlfeilen Formulierungen ist es nicht getan, zudem zur politischen Umsetzung die Personaldecke der überalterten SPD immer dünner wird. Aber auch inhaltlich und in ihrer Performance hat die altbackende SPD viele Leerstellen.
Hier muss die geschrumpfte SPD sich ehrlich machen, die von einem Wiederaufstieg aus eigner Initiative glaubt. Zumindest hoffen dies die vielen lebenslänglichen „Berufspolitiker“ in der Partei, die vergessen haben, dass sie nur ein Mandat auf Zeit ausüben und Delegierte des Volkes sind und keine abgehobene Kaste mit Berufskarriere und Dauerpräsenz in der Politik, die sich auf stetige Versorgung mit Wechsel von der Legislativ zur Exekutive (und einige sogar in die Judikative) verlässt – oder, schlimmer noch, auf eine anschließende lukrative Versorgung in der Wirtschaft.
SPD hatte dreimal die Chance für eine rot-rot-grüne Regierungskoalition
Hatte die SPD zurückliegend nicht sogar dreimal, nämlich in 2005, 2013 und 2017, die Chance einer rot-rot-grünen Regierungskoalition verworfen? In einer solchen Koalition hätte sie viele Ihrer Vorhaben realisieren können, (aber sie waren ihrem alten abtrünnigen Vorsitzenden Oskar Lafontaine in der Linkspartei gram). Vielleicht kommt in nicht allzu ferner Zukunft der Tag, wo die SPD zum Überleben an eine Fusion mit der inzwischen gewandelten und neu aufgestellten Linkspartei denken muss, mit der es mehr programmatische Schnittmengen und Gemeinsamkeiten gibt als mit der CDU. (Die Option einer evtl. Minderheitsregierung liegt übrigens außerhalb sozialdemokratischer Vorstellungskraft - warum eigentlich? Hannelore Kraft hatte es als NRW-Ministerpräsidentin eine Zeitlang erfolgreich praktiziert, bevor sie nach ihrer Abwahl als Aufsichtsrätin bei der Ruhrkohle anheuerte).
Auch die in der Wählergunst sinkenden Grünen als damalige Mittäter an Schröders Agenda-Politik, die nun ihr Herz für Sozialpolitik und soziale Gerechtigkeit entdeckt haben, aber abgestraft wurden, könnten sich irgendwann zur SPD hinzugesellen. Das wäre eine starke Formation als Bollwerk gegen die Rechtspopulisten und für die sozial Schwachen, während in der CDU nicht wenige unter Verdacht stehen, mit einer Zusammenarbeit mit der AfD zu liebäugeln.
Beim Koalitionspartner der SPD rütteln einige an der Brandmauer
Gerade zurzeit rütteln einige CDU-Politiker wieder an der „Brandmauer“ gegen rechts, so aktuell der Ex-Generalsekretär Tauber und der ehemalige Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder und auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Gutenberg (CSU) und ostdeutsche CDU-Größen.
Vielleicht ahnt man in der CDU, dass diese rot-grüne Regierung möglicherweise auch nicht die volle Wahlzeit durchhält und sucht bereits andere Optionen durch eine Abkehr von der Brandmauer nach rechts? Aktuell versuchen es Merz und Spahn schon mal in AfD-manier mit rassistischen Sprüchen über das von Migranten geprägte Straßenbild. Besonders laute Empörung war vom Koalitionspartner SPD daraufhin nicht zu vernehmen, sondern man lässt dies der CDU als Koalitionspartner durchgehen?
Zur Glaubwürdigkeit gehören glaubwürdige Persönlichkeiten
Ist sich die SPD der eigentlichen Ursachen für ihren stetigen Niedergang wirklich bewusst? Diese sind sehr vielfältig und offenkundig, wie bereits angesprochen und hier im Folgenden vertieft und detailliert nachzulesen. Bloße „personelle Neuaufstellungen“ der SPD ohne einen überfälligen Politikwechsels reichen allerdings nicht. Personellen Wechsel gab es in den letzten Jahrzehnten seit 1990 mehr als genug.
Denn seither gab es in kurzen Abständen 14 wechselnde Bundesvorsitzende (und seit 1919 sogar Doppelspitzen), manchmal auch mit internen Machtkämpfen und Intrigen verbunden. Auch das hat sich im Langzeitgedächtnis der ehemaligen SPD-Wähler eingebrannt. Besonders beschädigt wurde die SPD außer durch Gerhard Schröder durch zwei weitere Spitzenpolitiker, namentlich Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, die im wahrsten Sinne des Wortes ihr Unwesen trieben, wie an anderer Stelle in Erinnerung gerufen.
Lukrativer Wechsel von SPD-Spitzenpolitikern als Wirtschaftslobbyisten
Vorwärts gebracht hat das Personalkarussell die SPD weder im Bund noch im Land. Aber das Langzeitgedächtnis der Wählerinnen und Wähler reicht weit zurück, auch darüber, wie die SPD mit ihren Führungsfiguren über Jahre umgegangen ist - als sichtbare Wundstelle ihrer Sozialkompetenz im internen Umgang miteinander? Noch mehr im Wählergedächtnis haften bleibt der unanständige Wechsel von SPD-Spitzenpolitikern aus der „Arbeiterpartei“ in lukrative Posten der Wirtschaft als Lobbyisten, oft ohne Karenzzeit. Bei „Lobbycontrol“ lässt sich nachlesen, welche Vielzahl von SPD-Politikern im Laufe der Jahre als Seitenwechsler zu Wirtschaftslobbyisten wurden.
Nicht wenige SPD-Spitzenpolitiker haben sich nach ihrer Amtszeit als Lobbyisten vor allem in der Finanzwirtschaft betätigt, von Schröder über Gabriel und Clement bis Steinbrück und Kurt Beck und Otto Schily sowie Rudolf Scharping, um nur einige wenige zu nennen. Insgesamt ist die Zahl dreistellig. Das kommt bei den Wählern nicht gut an und nagt besonders an der Glaubwürdigkeit gewählter „Volksvertreter“, die ihre Eigeninteressen vertreten.
Denn es waren teilweise die gleichen Personen, die damals auf dem bereits erwähnten SPD-Bundesparteitag, vereint dafür kämpften, dass ein Antrag der Parteibasis auf höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie Spitzensteuersätze im SPD-Wahlprogramm abgelehnt wurde, weil mit geforderten Steuererhöhungen angeblich Wähler abgeschreckt werden könnten. Wenn die reuige SPD heute oder morgen die Steuer-Forderungen wieder aus der Schublade holt, obwohl sie im Koalitionsvertrag darauf verzichtet hat, gibt es Erklärungsbedarf und bedarf es eigentlich eines Linksrucks in der verstörten und desorientierten Partei.
SPD ist programmatisch und personell immer mehr nach rechts gerückt
Offenbar gelangten beim „Personalkarussell“ nicht immer „die richtigen Leute“ an die Spitze der niedergehenden Sozialdemokratie, die glaubwürdig die Interessen ihrer Wählerklientel vertreten? Haben die Gewählten oder Selbsternannten nicht die SPD nach der neoliberalen Agenda-Politik und anschließend in fünfmaligen Koalitionen mit der CDU programmatisch immer mehr nach rechts gerückt statt den früher erfolgreichen Kurs links von der Mitte beizubehalten? Er hatte der SPD im Zeitraum von 1969 bis 1980, wo sie viermal den Kanzler stellte, jedes Mal Wahlergebnisse zwischen 42% und 43% beschert. Nach der neoliberalen Schröder-Ära kam die SPD zwischen 2009 und 2012 (mit vier verschiedenen Kanzlerkandidaten) nicht mehr über 20% bis 25% hinaus. Auch das wurde fatalistisch hingenommen.
In der aktuellen Sozialpolitik, der Steuerpolitik, der Migrationspolitik, der Friedenspolitik, der Klimapolitik ist kaum noch eine sozialdemokratische Handschrift erkennbar. Die Gewerkschaften, einstmals Partner der SPD, machen aktuell Front gegen die Sozialpolitik der amtierenden Regierung mit einer sozialdemokratischen Arbeitsministerin aus dem Arbeitermilieu des Ruhrgebietes, die das „Bürgergeld“ ihres Vorgängers Hubertus Heil unter Triumphgeheul der CDU in „Grundsicherung“ zurückführen muss. Das weckt Erinnerungen an wenig gute Phasen in der SPD.
Wie ein nordrhein-westfälischer „Genosse der Bosse“ die SPD benutzte
Undenkbar, dass die SPD heute noch glaubwürdige Persönlichkeiten wie Johannes Rau hervorbringt, der unumstritten 21 Jahre lang SPD-Landesvorsitzender und 20 Jahre lang Ministerpräsident „für die kleinen Leute“ in NRW war – bis ihn Genossen vom rechten Parteiflügel zum Rücktritt drängten, weil der neoliberale Wolfgang Clement als „Kronprinz“ auf seinen Thron wollte, unterstützt auch vom damaligen SPD-Landesgeschäftsführer Dr. Bernhard Kasperek gegen seinen „Ziehvater“ Rau. Wolfgang Clement, von 1998 bis 2002 Ministerpräsident von NRW (mit Abneigung gegen den grünen Koalitionspartner) und danach 3 Jahre Superminister für Arbeit und Wirtschaft im Bundeskabinett Schröder, sollte später als „Genosse der Bosse“ auf Beschluss der SPD-Schiedskommission NRW sein Parteibuch 2008 zurückgeben, nachdem er ser SPD massiv geschadet hatte. Dafür bot ihm die FDP ihr Parteibuch an, da er der Wirtschaftspartei insgeheim schon lange nahestand, angeblich auch als Parteispender. (Hatte er als "U-Boot" die SPD nur benutzt?). Darauf trat Clement aus der SPD aus.
Im Bundestagswahlkampf 2012 unterstützte er in NRW offen die FDP. In der Regierung Schröder stand der „Grünen-Hasser“ Clement in 2002 als Superminister für Arbeit und Wirtschaft zum Entsetzen der Parteibasis für den Ausbau der Zeitarbeit und Einführung von Hartz IV mit Minijobs, Privatisierungen und verschärften Zumutbarkeitsregelungen für die angeblich faulen Arbeitslose, auf die er lauthals schimpfte. Von der SPD verlangte er strikte Abgrenzung zu den Linken.
Da Wolfgang Clement schon als NRW-Wirtschaftsminister und Ministerpräsident CDU-Politik betrieb, ließ Arbeitgeberpräsident Hundt verlauten: „Wir setzen auf ihn“. In der neoliberalen Lobbyorganisation der Arbeitgeber namens „Neue Initiative für soziale Marktwirtschaft“ war Clement Vorsitzender des Kuratoriums. Der ehemalige Chef seiner Staatskanzlei, Georg Wilhelm Adamowitsch, wechselte als oberster Lobbyist zum Spitzenverband der Deutschen Rüstungsindustrie (BDSV). Die Glaubwürdigkeit der SPD wie noch unter dem vertrauenswürdigen Johannes Rau war damit endgültig dahin. Viele Wähler in NRW und bundesweit haben das bis heute nicht vergessen und der SPD nie verziehen.
Auch der Nachfolger aus NRW brachte die SPD in Verruf
Nicht viel besser in Erinnerung geblieben ist der zeitweilige NRW-SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück, der ohne Wählervotum für 3 Jahre von 2002 bis 2005 auf Clement folgte und sich dann 2013 (nach einem Gespräch bei Helmut Schmidt) quasi selber als Kanzlerkandidat inthronisierte, aber von den folgsamen Delegierten mit über 90% bestätigt wurde. Die ersten öffentlichen Gratulanten des frisch gekürten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück waren ausgerechnet Josef Ackermann, Ex-Chef der Deutschen Bank sowie Ex-Kanzler Gerhard Schröder, außerdem positive Stimmen aus der arbeitgebernahen neoliberalen Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“. Aber auch die „Parteilinken“ in der SPD feierten den im Handstreich zum Kanzlerkandidaten ernannten Peer Steinbrück mit „Standing Ovation“, der. aber bei der Bundestagswahl trotz großspuriger Ankündigungen mit mageren 25,6 % an Frau Merkel kläglich scheiterte.
Als späterer Finanzminister hatte er die Finanzmärkte dereguliert und bis zuletzt die aufziehend Finanzmarktkrise geleugnet. Als Bundestagsabgeordneter hat der Sozialdemokrat die meisten Sitzungen versäumt, um stattdessen mit 80 bezahlten Vorträgen bei Großunternehmen, Banken und Versicherungen eine halbe bis eine Million € zu verdienen, weiteres Taschengeld beim Stahl- und Rüstungskonzern ThyssenKrupp im Aufsichtsrat, (ohne das betrügerische Schienenkartell dort aufzudecken, das dem Steuerzahler 750 Mio. € gekostet hatte). Die Offenlegung seiner Nebenverdienste verweigerte er. Die für die Armutsentwicklung verantwortliche Schröder´sche Agenda 2010 bezeichnete der Sozialdemokrat Steinbrück als „größte politische Leistung der Nachkriegsgeschichte“.
Image-Schaden für die SPD durch Verfilzungen mit der Finanzwirtschaft
Schon im damaligen Kontrollgremium der WestLB-Landesbank NRW hatte Steinbrück laufend gefehlt und dadurch mit zu verantworten, dass dem Land ein Schaden von 9 Mrd. € und dem Bund von 3 Mrd. € zu Lasten der Steuerzahler entstand. Eine dubiose Rolle als Bundesfinanzminister spielte er bei der Gründung der „ÖPP-Deutschland AG“ (zugunsten öffentlich-privater Partnerschaften) mit Interessenskollisionen durch korruptionsanfällige Verfilzung mit Banken, Finanzindustrie, Bauwirtschaft, und Unternehmensberatern. Ein Auftrag der ÖPP-AG bestand darin, Dienstleistungen der Deutschen Rentenkasse bis auf Kernaufgaben zu privatisieren.
Die Idee: Der Staat hält 57% der Anteile und die Privatwirtschaft 43 %, darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank, Bertelsmann-Tochter Avato, der Baukonzern Bilfinger Berger (mit Ex-CDU-Ministerpräsident Roland Koch aus Hessen als Vorstand). Natürlich wieder mit dabei: Die Kanzlei Freshfields, Bruckhaus & Deringer, für die Peer Steinrück hochbezahlte Vorträge hält.Die Gründung begann 2003 mit der Lobbyorganisation IFP („Initiative Finanzstandort Deutschland“) als Zusammenschluss wichtiger deutscher Lobbyisten und der Finanzindustrie, darunter 23 Banker.
Diese pflegten regelmäßigen Kontakt zu Steinbrücks Ministerialbeamten und tauschten wechselseitig Personal aus.
Angestoßen wurde die Initiative von Topmanagern der deutschen Bank, vom Beratungsunternehmen McKinsey und rechtlich begleitet von der Anwaltskanzlei Freshfields, Bruckhaus Deringer – von denen Steinbrück später zu hochbezahlten Vorträgen eingeladen wurde, wie erwähnt. Vorher hatte die Kanzlei Beratungshonorare von 3 Mio. € vom Ministerium erhalten, quasi als staatliche Finanzierung von Lobbyismus. Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag wechselte Steinbrück selber ins Bankgeschäft als Berater der ING-DiBa. Der Image-Schaden, den solche Persönlichkeiten für die SPD insbesondere auch in NRW erzeugt haben, war für die SPD nahezu irreparabel.
Der Niedergang der SPD war seit Jahren absehbar
Für Insider war somit der unaufhaltsame Niedergang seit vielen Jahren absehbar. Obwohl die SPD nach ihrer unsäglichen Agenda 2010 nahezu die Hälfte ihrer Wähler und Tausende Mitglieder verloren hatte, möchte mancher jetzt mit ähnlichen „Sozialreformen“ wieder daran anknüpfen, allen voran der selbst ernannte Spitzenmann Lars Klingbeil (der übrigens als ehemaliges Mitglied von zwei Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie nach eigenen Worten bei seiner Grundsatzrede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung auch „militärische Maßnahmen als legitimes Mittel der Politik betrachtet“ - und somit als Finanzminister am Sozialhaushalt zugunsten der Militärausgaben sparen muss).
Nach der für die SPD deprimierenden NRW-Wahl 2025 fühlte sich sogar Bundespräsident Walter Steinmeier als damaliger Architekt der Agenda 2010 und rechte Hand von Schröder aktuell bemüßigt, die schwarz-rote Bundesregierung aufzufordern, wieder ähnlich „mutige Sozialreformen“ wie in der Ära Schröder auf den Weg zu bringen. (Ach, hätte er geschwiegen!) Genau diese Drohung bereitet jedoch vor allem den SPD-Anhängern unter den Wählerinnen und Wählern begründet Angst und Sorge, die nach der Agenda 2010 in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen und Armutssituationen abgerutscht sind bis hin zur heutigen Armutsrente.
Wo bleibt die Ruckrede für soziale Gerechtigkeit angesichts der Demokratie-Gefährdung?
Eine „Ruckrede“ für soziale Gerechtigkeit im Land kam dem derzeitigen Amtsinhaber im Bundespräsidialamt bislang nicht über die Lippen, wie es viele Bürgerinnen und Bürger von einem fürsorglichen „Staatsoberhaupt“ erwarten könnten, der den versagenden Parteien die Leviten lesen sollte. Denn die Demokratie ist ernsthaft gefährdet, und daran sind die Parteien mit ihrem Anteil nicht ganz unschuldig.
Der Ruf nach direkter Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung wird immer lauter und immer öfter setzen sich vor Ort parteilose und unabhängige Kandidaten bei Wahlen durch. Das nimmt die SPD hoffentlich wahr? Dann sollte sie entsprechende Umfragen nicht ignorieren, sondern Konsequenzen daraus ziehen und im Sinne von Willy Brandtt "mehr Demokratie wagen".
Deutsche verlieren Vertrauen in Parteien und Demokratie
Wie oft noch müssen die Zahlen ermittelt und veröffentlicht werden, wonach laut bisheriger Umfragen 65% der Deutschen den politischen Parteien nicht mehr vertrauen und auch das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Repräsentative Umfragen der Körber-Stiftung zeigen sogar, dass 54% nur noch geringes Vertrauen in die Demokratie haben und sogar nur noch 9% in die Parteien.
71% der Befragten sind der Meinung, dass führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben, aus der sie auf den Rest der Bevölkerung herabschauen. Wichtig für die Sozialdemokraten: 46% der Deutschen finden, dass es weniger bis gar nicht gerecht im Land zugeht. Deshalb halten 85% der Bevölkerung eine stärkere Bürgerbeteiligung für wichtig.
Schwarz-rote Regierung unter Merz als Lichtblick für soziale Verlierer?
Denn die seit der Jahrhundertwende nacheinander sieben Regierungskoalitionen im Bund, davon 6 Mal mit Beteiligung der SPD, zweimal sogar unter SPD-Kanzlern, haben es nicht vermocht, auch nur annähernd soziale Gerechtigkeit und Wohlstandsverteilung herzustellen. Warum sollen die Wähler ausgerechnet jetzt, unter dem Multimillionär und Blackrock-Kanzler Friederich Merz, der amtierenden schwarz-roten Regierung mit einer geschwächten SPD als Steigbügelhalter (oder „auf Augenhöhe“?) die positiven Änderungen im Sozialen abnehmen? Als Rechtfertigung gelten der SPD stets die scheinbar unüberwindbaren Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Land, obwohl die Sozialdemokraten, wie erwähnt, mehrmals die Chance eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses verworfen haben und auch aktuell ganz sicher nicht über eine Fusion mit der Linkspartei als Rettungsanker nachdenken.
Bislang haben es die Sozialdemokraten im reichsten EU-Land nicht vermocht, in einer wiederholten Koalition der „Parteien der Mitte“ mit anzustrebenden Zielzahlen die wachsenden Schlangen vor den Tafeln und Suppenküchen entbehrlich zu machen, die Zahl der Obdachlosen und Wohnungsuchenden zu senken, die Kinderarmut und Armutsrenten zu überwinden, die prekären Arbeits- und Einkommenssituationen vollends zu überwinden und halbwegs soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit zuteilwerden zu lassen, so das Frust und Enttäuschung tief sitzen und den Rechtspopulisten zugutekommen. Durch die Wahlakte haben sich versprochene und erhoffte grundlegende Verbesserungseffekte seit Jahrzehnten nicht wirklich eingestellt, allenfalls marginal - zuletzt mit lückenhaften und kaum spürbaren “Entlastungspaketen“, bei denen man ganze betroffene Zielgruppen wie Rentner und Studenten sogar vergessen hat. In der jetzigen Regierung wurde sogleich das Wahlverprechen für ein Energiegeld zur Entlastung von den hohen Strompreisen sogleich wieder einkassiert, obwohl im Koalitionsvertrag enthalten.
Europarat und UN-Menschenrechtsrat ermahnen deutsche Regierungen
In 2024 hat der Europarat in seinem alarmierenden Bericht erneut ein vernichtendes Urteil über die tatenlose und erfolglose deutsche Sozialpolitik veröffentlicht - und deshalb mehr Anstrengung bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungslosigkeit und sozialer Ausgrenzung von der deutschen Regierung eingefordert. Ein Vorwurf des Europarates lautet: Zu wenig Engagement gegen Armut und Ungleichheit sowie Wohnungslosigkeit in Deutschland. Vor allem bei Kindern und Behinderten sowie Frauen und Flüchtlingen gebe es Handlungsbedarf, denn die sozialen Menschenrechte in Deutschland sind nur unzureichend verwirklicht, bis hinein in die Arbeitswelt.
Zum vierten Mal in Folge seit 2007 ermahnte in 2023 auch der UN-Menschenrechtsrat auf seiner Sitzung in Genf die Bundesrepublik Deutschland wegen einer Reihe von Verstößen gegen die sozialen Menschenrechte. Insbesondere auch wegen der anhaltenden und ungebremst steigenden Kinderarmut in Deutschland von 18% auf über 22% in den letzten 20 Jahren, begleitet von der Bildungsbenachteiligung der Betroffenen – glatte Verstöße gegen die geltende Kinderrechtskonvention. Laut UN-Menschenrechtsrat im Einklang mit den Menschenrechtsorganisationen wird insbesondere Armut in Deutschland von der Bundesregierung nicht als menschenrechtliches Problem wahrgenommen. Und auch der Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz. Soziale Menschenrechtsverstöße in einem der reichsten Länder der Welt – und das zum wiederholten Male angemahnt. Immer noch sind die Kinderrechtze nicht im deutschen Grundgesetz gesondert aufgenommen.
Ist die heutige SPD den sozialen Herausforderungen gewachsen?
Wenn das keine Herausforderungen und Themen für eine sozialdemokratische Partei sind, die ihren Namen verdient? Ist die gegenwärtige Führungsriege der SPD ein Garant für die konsequente Beherzigung dieser Themen? Zweifel sind erlaubt. Aktuell stellt sich die Frage, wie glaubwürdig die Sozialdemokraten sind, indem unter ihrer Führung und Regierungsarbeit durch die Arbeitsministerin und den Finanzminister und Vizekanzler tatsächlich verhindert wird, dass der riesige Rüstungshaushalt nicht zu Lasten der Sozialausgaben geht - wie es im Gegenteil der Koalitionspartner CDU unter Friedrich Merz (mit Hilfe von Bas und Klingbeil als Merzens Duzfreunde) anstrebt und der Bevölkerung begründete Sorgen bereitet.
Schwaches Votum für die „Klingbeilisierung“ der SPD
Nicht gut angekommen ist auch jahrelang der ständige Personalwechsel an der Spitze der SPD, der nach vielen Rochaden in der heutige Doppelspitze mündete. Er ist gerade gerade bei der „Klingbeilisierung“ angelangt, die vor allem von den „Schröderianern“ des rechten „Seeheimer Flügels“ und dem berüchtigten „Niedersachsen-Klüngel“ in der SPD unterstützt wurde, die immer noch ihr Unwesen treiben nach ihrem neoliberalen Abdriften.
Klingbeil hatte sich selber handstreichartig und ohne großen Widerstand an die Führungspositionen in Partei und Fraktion gesetzt und eine Reihe anderer Genossen aus Partei-, Fraktions- und Ministerämtern „entfernt“- ohne großen Widerspruch, weil geschickt als „Verjüngung und Verweiblichung“ verkauft. Die an der Kandidatenkür im Vorfeld wieder einmal nicht beteiligten Parteitagsdelegierten gaben im Nachhinein dem neuen Vorsitzenden ohne Gegenkandidaten daraufhin nur 64,9% der Stimmen – kein eindrucksvolles Votum für einen „Neustart“ an der Spitze.
Kurz darauf lobte Klingbeil zum Wohlgefallen von CDU-Kanzler Friedrich Merz die Agenda-Politik von Kanzler Schröder als Vorbild für die erneuten „Sozialreformen“ der schwarz-roten Regierung. Sind nun die beiden neuen Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas die neuen Hoffnungsträger für den Aufbruch der SPD in die Zukunft mit Anknüpfung an Schröders Agenda-Politik bei den „Sozialreformen“?
Abkehr von der Schmidt- und Brandt-Ära sorgte für Wählerverluste
Schon die meisten Vorgänger an der SPD-Spitze und in Regierungsämtern gelangten durch fragwürdige Personalpolitik an die Spitze und betrieben dort mehr oder weniger die Abkehr von der sozialdemokratischen Politik der erfolgreichen Schmidt- und Brandt-Ära. In dieser lag die SPD von 1969 bis 1980 bei 4 Bundestagswahlen hintereinander bei über 42% bis 45,8% der Wählerstimmen. Solche überzeugenden Persönlichkeiten hat die SPD seither nicht wieder hervorgebracht.
Das Ergebnis dieser Leerstelle ist langjähriger und zunehmender Wähler- und Mitgliederschwund der Seniorenpartei. Seither dümpelte die SPD bei den 5 Bundestagwahlen mit 5 verschiedenen Kanzlerkandidaten zwischen 2009 und 2025 bei 20% bis 25 % und zuletzt bei nur 16,4% und verlor obendrein allein in 2023 rund 15.000 Mitglieder. Unter der Kanzlerschaft Schröder verlor die SPD seit Anfang der 1990-er Jahre über 150.000 Mitglieder und sank von 750.000 auf 600.000. Seitdem schrumpfte die überalterte SPD stetig. Nur noch 12% der Mitglieder sind unter 35 Jahre, 58% sind über 60 Jahre. „Eine Verjüngungskur für die alte Tante SPD“, wie von Klingbeil angekündigt, ist so nicht möglich.
Fragwürdige Personalpolitik an der SPD-Spitze
Ähnlich wie Klingbeil hatten sich zuvor schon die erfolglosen SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück und Steinmeier sowie die spätere Kanzlerkandidat Scholz und die Vorsitzende Nahles parteiintern im Vorfeld mehr oder weniger selbst ernannt oder waren in kleinen Zirkeln im Vorfeld ausgekungelt worden und den Delegierten der unbeteiligten Parteibasis zur bloßen nachträglichen Zustimmung vorgesetzt.
Der besonders erfolglose Kanzlerkandidat Steinmeier, vormals rechte Hand von Gerhard Schröder und Architekt der Agenda 2010, hatte nach seinem mageren 23%-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2009 nicht etwa seinen Rücktritt erklärt, sondern sich in der Tagesschau am desaströsen Wahlabend sogleich unwidersprochen zum neuen Fraktionsvorsitzenden selber ernannt, obwohl die SPD-Fraktion seinetwegen 76 Sitze eingebüßt hatte. Ein deutliches Signal für ein „Weiter-so“ der schrumpfenden SPD mit einem schwachen Oppositionsführer Steinmeier im Bundestag.
Parteiinterner Machtwechsel brachte keine Verbesserungen
In 2018 übernahm dann die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles in Personalunion auch das Amt der Parteivorsitzenden, allerdings nur für ein Jahr. Denn das zunehmende Grummeln an der Basis und die Machtkämpfe im Hintergrund führte in 2019 zum Rücktritt von Andrea Nahles von beiden Funktionen. Im November 2019 verließen Andrea Nahles und auch ihr Vorgänger Sigmar Gabriel als ehemaliger Wirtschaft,- Umwelt- und Außenminister und Vizekanzler den Bundestag und beendeten ihre Parteikarrieren.
Gabriel wechselte nach dem Vorbild von Gerhard Schröder als Lobbyist in die Wirtschaft, unter anderem ohne Karenzzeit als Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank für den Staat Katar, als Aufsichtsrat der Rüstungskonzerns Siemens Energy und bei Thyssenkrupp Steel Europe sowie bei Rheinmetall, außerdem als Berater beim skandalumwitterten Fleischkonzern Tönnies. Nebenbei auch als Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“. Ob das die Glaubwürdigkeit und die Sympathiewerte für die Sozialdemokraten steigert? Zuvor hatte er noch betont: „Man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selber mal gesessen hat“. Heute schießt er mit Kritik und Querschüssen gegen seine Partei von außen.
Das entstandene personelle Vakuum an der Parteispitze nutzte der Dienstälteste stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz, um sich mit Unterstützung des Juso-Vorsitzenden Kühnert trotz Kritik der Parteilinken als Kanzlerkandidat in Stellung zu bringen, obwohl er auf Parteitagen stets von den Delegierten das schlechteste Wahlergebnis aller Stellvertreter erhielt und somit an der Basis als unbeliebt galt. Dies war er auch in der Bevölkerung während seiner kurzen Kanzlerschaft mit verheerenden Umfragewerten.
Machtkämpfe und Intrigen lähmten die SPD viele Jahre
Personelle Rochaden waren auch schon vorher typisch für die SPD-Spitze. 1993 trat Bundesvorsitzende Björn Engholm wegen Falschaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Barschel-Affäre zurück. Ihm folgte Rudolf Scharping, der nach 2 Jahren von Oskar Lafontaine abgelöst wurde. Und in 2005 und 2006 warf der SPD-Bundesvorsitzende Matthias Platzeck nach nur einem Jahr angeblich „aus gesundheitlichen Gründen“ das Handtuch, ebenso wie danach auch Kurt Beck nach nur 2 Jahren (der dann zu einem Pharmakonzern wechselte), so dass nochmals Franz Müntefering einspringen musste. Die Rede war in beiden Fällen von Intrigen in der Bundespartei.
Die Doppelspitze als doppelte Chance für die SPD?
Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles mit einem Paukenschlag gab es daraufhin endlich Reaktionen: Die kommissarischen Vorsitzenden Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel hatten 2019 zugunsten einer neu geplanten Doppelspitze (nach dem Vorbild der Grünen) intensive Beteiligungsverfahren der Basis mit Mitgliederbefragung eingeführt.
Doch ein überzeugender Befreiungsschlag war das nicht, wie sich an dem erzwungenen schmählichen Rückzug der von der Basis gewählten Ko-Vorsitzenden Saskia Esken vom linken Parteiflügel zeigte. Zuvor hatte sich der von der Mitgliederbasis gewählte Norbert Walter-Borjans zeitig in den Ruhestand verabschiedet.
Machtkämpfe auch in den SPD-Landesverbänden
Dabei sind Machtkämpfe in den SPD-Landesverbänden und oftmals auch vor Ort hier noch gar nicht angesprochen. In NRW hatten die wechselnden Landesvorsitzenden bis heute kaum einen hinreichenden Bekanntheitsgrad, als Beleg der dünnen Personaldecke bei Persönlichkeiten. Das gilt auch für den eigens von einer Personalkommission der NRW-SPD ausgesuchten Sebastian Hartmann, der für 3 Jahre Landesvorsitzender wurde und dann wegen des Gegenkandidaten Kutschaty verzichtete. Mit ihm erlangte die NRW-SPD bei der Landtagswahl 2022 ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis von 26,7%, so dass er 2023 zurücktrat. Ihm folgte die Doppelspitze von Sarah Phillip und Achim Post, die ebenfalls den meisten Bürgern in NRW kaum bekannt sind.
Die verlorene Landtagswahl 2022 mit nur 55% Wahlbeteiligung zeigte die Entfremdung der Parteipolitik von der Bevölkerung, denn die Nichtwählerparte war in NRW die mit Abstand größte Partei. Allein 390.000 ehemalige SPD-Wähler in NRW blieben der Landtagswahl aus Protest und Enttäuschung fern, dennoch hatte die SPD den Weckruf immer noch nicht gehört.
Personalrochaden lenkten von inhaltlicher Politik-Entleerung der SPD ab
Die vielen Personaldebatten und -rochaden lenkten von der inhaltlichen Entleerung sozialdemokratische Politik zunehmend ab, von der heute kaum noch sichtbar ist, wofür diese Partei genau steht nach fünfmaliger Beteiligung an einer großen Koalition mit der CDU. Diese wurde von den Jusos abgelehnt und viele Parteilinke beklagten die verpasste Chance für eine rot-rot-grüne Regierung auch im Bund oder in NRW, die jedoch von der SPD-Spitze gemieden wurde. Mit der schwarz-roten Dauerkoalition schwanden die Unterschiede zwischen CDU und SPD immer mehr.
Nur der bereits erwähnte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, um den sich nach steigenden Umfragewerten in 2017 ein regelrechter Hype entwickelt und er deutlich vor Merkel lag, hielt sich eine Zeitlang die Option einer rot-rot-grünen Regierung offen. Doch nachdem er dann Gerhard Schröder zum Parteitag einlud und bei Kanzlerduell auf allen Fernsehkanälen dessen Agenda-Politik lobte, war es abrupt um seine Wahlchancen als großer Hoffnungsträger der SPD geschehen: Die SPD erreichte mit 20,5% ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte, wie bereits erwähnt. Die Zustimmung für die SPD ging in den Keller.
Schwindende Unterschiede zwischen koalierender CDU und SPD
Die Unterschiede zwischen der Politik von CDU und SPD verschwimmen seitdem immer mehr und sind nur noch marginal erkennbar. Schon 2015 schlug der schleswig-holsteinische SPD-Ministerpräsident Torsten Albig deshalb vor, bei der Bundestagswahl 2017 auf einen eigenen SPD-Kanzlerkandidaten zu verzichten, weil Kanzlerin Merkel "einen ausgezeichneten Job" mache und man mit ihr in den meisten Frage übereinstimme. Heute wird wieder über die erforderliche Unterscheidbarkeit der beiden Partien für die Wähler diskutiert. Sind nun die beiden neuen Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas die neuen Hoffnungsträger für den Aufbruch der SPD in die Zukunft?
Der neue Vorsitzende – Abschied von der Friedenspartei?
Der sich zuletzt selber zum Partei- und Fraktionsvorsitzenden und Finanzminister auserkorene Soldatensohn Klingbeil hatte zeitweilig im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder gearbeitet und gehörte bis 2017 den Präsidien von zwei Lobbyvereinen der Rüstungsindustrie an. In seinem Wahlkreis nahm er gerade an der Eröffnung des größten Munitionswerkes in Europa von Rheinmetall teil.
Klingbeil befürwortet die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr sowie den gigantischen Aufrüstungskurs und definierte in der einstigen Friedenspartei SPD seine Auffassung von Friedenspolitik vor der Friedrich-Ebert-Stiftung wie folgt: Militärische Gewalt sei legitimes Mittel der Politik – also Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (getreu dem preußischen Generalmajor von Clausewitz?). Mit immer mehr Waffen Frieden schaffen?
Friedensaktivisten haben in der SPD einen schweren Stand
Das sind gänzlich neue Töne in der einstigen Friedenspartei des Friedensnobelpreisträgers und Abrüstungspolitikers Willy Brandt, nach der die Parteizentrale in Berlin benannt ist. Die Friedensbewegten in der SPD sind irritiert. Der aus der Friedensbewegung stammende Rolf Mützenich wurde als Fraktionsvorsitzender bei Seite gedrängt.
Und der auf Friedensdemonstrationen als Redner auftretende Ralf Stegner, der 2025 zusammen mit dem ehemaligen Kurzzeit-SPD-Vorsitzenden Matthias Platzek und CDU-Politiker Roland Pofalla Gespräche mit russischen Vertretern geführt hat, gilt als Außenseiter in der Partei und wird von seinen Genossen kritisiert.
Mahnungen altgedienter SPD-Politiker werden überhört
Ignoriert werden auch die gegen den Strom der eskalierenden Rüstungspolitik argumentierenden ehemaligen Spitzenpolitiker der SPD, Günther Verheugen und Klaus von Dohnany. Sogar die damaligen Mahnungen des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt, der sich für atomare Abrüstung einsetzte und seine Partei auf dem SPD-Parteitag 2011 eindringlich vor einer Führungsrolle Deutschlands in Europa warnte, geraten in Vergessenheit.
Ebenso seine Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Einmischung in fremde Konflikte an alle möglichen Schauplätze der Welt aus falsch verstandener Bündnistreue: „Wenn wir uns überall einmischen, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht, riskieren wir den Dritten Weltkrieg.“ Der Versuch, der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern und Georgien an sich zu ziehen, sei „Größenwahn“, wir hätten dort nichts zu suchen.
SPD steht heute für die Militarisierung der deutschen Politik
Doch die Militarisierung der bundesdeutschen Politik wird heute in der SPD nahezu kritiklos mitgetragen und die Nähe mancher Spitzenpolitiker zur reingewaschenen Rüstungslobby nicht beanstandet, seitdem „Kriegstüchtigkeit“ zum neuen sozialdemokratischen Gen mutiert. „Leute, die selbst keinen Krieg erlebt haben, wohl aber selbst Krieg führen oder provozieren, wissen nicht, was sie Furchtbares anrichten“, meinte dagegen Helmut Schmidt. „Besser 100 Stunden verhandeln als eine Minute schießen.“
Weiter sagte Schmidt: „Ich halte nichts davon einen dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nicht von Forderungen nach mehr Geld für die Nato. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag.“ Leider mangelt es in der heutigen SPD an weitsichtigen Staatsmännern, so dass der Niedergang der Partei auch mit dem derzeitigen Personal zu tun hat, die mithelfen, geradezu eine Kriegshysterie zu schüren und die Kriegsgefahr zu verstärken.
Die Arbeitsministerin als soziale Hoffnungsträgerin der SPD?
Als Hoffnungsträgerin für das Soziale in der SPD zählt nun die von 95% der Parteitags-Delegierten gewählte Bärbel Bas als Arbeiterkind und soziale Aufsteigerin aus dem Ruhrgebiet – so etwas wie eine Exotin unter den überwiegend akademisch gebildeten „Berufspolitikern“ in der maßgeblichen Funktionärsschicht der einstigen Arbeiterpartei. Sie muss nun in der ungeliebten großen Koalition nicht nur für armutsfeste Renten sorgen, sondern auf Geheiß der CDU das Bürgergeld rückabwickeln und hinter den Regelungen von Hartz IV zurückführen, die der SPD das Genick gebrochen hatten. DIW-Chef Marcel Fratzscher hält die „Bürgergeldreform für ein „populistisches Ablenkungsmanöver“.
Bedauerlich ist es, dass Steuerehrhöhungen für Reiche (Vermögens- und Erbschaftssteuer) es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft haben, weil es der SPD bei den Verhandlungen wohl nicht wichtig genug war? Seit 25 Jahren gehen fast alle sozialen Versprechungen der SPD in Regierungsverantwortung ins Leere, mit wenigen Ausnahmen. Sonst könnte die NRW-SPD nicht zu der selbstkritischen Erkenntnis kommen, dass das Ziel von mehr sozialer Gerechtigkeit nicht erreicht wurde. Man darf gespannt sein auf den NRW-Landtagswahlkampf 2027.
Wo bleibt die ernsthafte Ursachen- und Fehleranalyse der Programmpartei?
Wann also will die SPD nach ihren historischen Wahlniederlagen in NRW mit fast 8% Stimmenverlusten und im Bund mit über 5% Verlusten nun endlich an eine ernsthafte Ursachen- und Fehleranalyse herangehen und sich tatsächlich „neu aufstellen“? Dann kommt sie nicht umhin, der sehr unbequemen Tatsache ins Auge zu sehen, warum sie sich mit ihrer obersten Funktionärsschicht von ihren Stammwählern und ihrer sozialen Klientel komplett fortentwickelt hat und deshalb auch eine wirkliche personelle Erneuerung dringend benötigt.
Wie heißt es so schön im achten SPD-Grundsatzprogramm von 2007 über die SPD als Programmpartei und ihre Visionen für die Zukunft: „Die SPD steht seit jeher für mehr als bloße Machtpolitik. Unsere Programme zeigen, wofür wir kämpfen: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wie Willy Brandt 1978 sagte. „Das Wofür ist die ethische Rechtfertigung für das „Wie“. Weiter heißt es: „Demokratie soll über wirtschaftliche Interessen stehen.“ In diesem Sinne: Auf in den sozialen Kampf für Gerechtigkeit und gegen Rechts , liebe Genossinnen und Genossen!
Andernfalls wird die SPD feststellen müssen, dass auch Parteien sterblich sind. Vielleicht passt die 1863 gegründete Partei aus dem vorvorigen Jahrhundert nicht mehr so ganz in diese unsoziale "apokalyptische Endzeit" der politischen Wirrnis? Zumindest als verlässliche Hüter der Brandmauer gegen rechts würde aber die SPD noch dringend gebraucht, weil andere Parteien gerade die Brandmauer hinterfragen.
Wilhelm Neurohr *), 17. Oktober 2025
(Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut)
Autorennotiz:
*) Der 74-jährige Autor dieses Beitrages war als Bergarbeitersohn aus dem Ruhrgebiet nach seiner eigenen Lehre im Bergbau als 16-jähriger bei den Jusos und in die SPD eingetreten, die er nach 33 Jahren aktiver Funktionärstätigkeit im Jahr 2003 nach der Schröder Ära verließ und seither parteilos ist. Zuvor war er auf Orts- und Regionalebene unter anderem Vorstandsmitglied im SPD-Ortsverein und Stadtverband, als Juso-Stadtverbandsvoritzender, Betriebsgruppenvorsitzender, im AfA-Vorstand, als Delegierter im Unterbezirk, als Wahlkampfleiter sowie als Redenschreiber für SPD-Landräte (Bergbaubetriebsräte) tätig und selber 60 Jahre in Gewerkschaften engagiert, davon 2 Jahrzehnte als Personalratsvorsitzender in einer großen Kommunalverwaltung im Ruhrgebiet.