Wilhelm Neurohr

Leserbrief zum RZ-Artikel (Wirtschaft) vom 6.11.2015: „Abschied von Don Quixote – NRW Verkehrsminister gibt Widerstand gegen ÖPP-Autobahnausbau auf“

„AUTOBAHNBAU ALS ÖPP-PROJEKTE – EINFALLSTOR FÜR KORRUPTION?“

Wenn der NRW-Verkehrsminister Michael Groschek in diesen Tagen öffentlich erklärt, seinen begründeten Widerstand gegen privat finanzierten Autobahnbau mittels ÖPP-Projekten nun gegen seine Überzeugung aufzugeben, so verschweigt er dabei wohl den Druck aus seiner eigenen Partei zu diesem Schritt. Zwar ist es richtig, dass Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) - unterstützt von CDU und FDP auch im NRW-Landtag - ein leidenschaftlicher Verfechter der privaten Finanzierung des Autobahnbaus ist und hier bereits vollendete Tatsachen geschaffen hat. Es laufen bereits die Ausschreibungs-Vorbereitungen für 600 km Autobahnbau für 14 Mrd. €., gegen alle Bedenken der Bundes- und Landesrechungshöfe, die den Steuerzahler belastet sehen, die bis zu 46% teurere private Finanzierung (gegenüber öffentlichem Straßenbau aus Steuermitteln) zu bezahlen – zuzüglich Maut an die Privatinvestoren?

NRW-Verkehrsminister Groschek verschweigt jedoch, dass insbesondere auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel – seines Zeichens SPD-Bundesvorsitzender - ein ebenso leidenschaftlicher Verfechter von ÖPP-finanziertem Brücken- und Straßenbau und sogar der öffentlichen Infrastruktur der Kommunen ist. Dafür hatte Gabriel in diesem Sommer eigens eine Expertenkommission eingerichtet unter Einbeziehung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen (gegen den gerade der Staatsanwalt in einem Strafverfahren ermittelt), Vertreter des BDI (Bund der Deutschen Industrie) und der größten Versicherungskonzerne Allianz und Ergo, die alljährlich die größten Parteispenden an CDU, CSU und FDP überweisen (laut Bericht der Bundestagsverwaltung).

Deshalb bemängeln zu Recht die oppositionellen Grünen und Linken im NRW-Landtag, dass die Regierungsparteien mit den zu Großprojekten gebündelten ÖPP-Vorhaben vor allem ihre Klientel bedienen wollen, nämlich Anleger, Großinvestoren und große Baukonzerne, gegen die heimische mittelständische Bau- und Handwerksunternehmen keine Chancen haben - obwohl sie (im Gegensatz zu den Großkonzernen) hier in der Region Gewerbesteuern zahlen.

Und NRW-Verkehrsminister Groschek verschweigt vor allem schamhaft noch eine andere Tatsache: Es war der ehemalige SPD-Bundesfinanzminister und NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD-Kanzlerkandidat), der bereits 2008 mit der Gründung der „ÖPP-Deutschland AG“ (mit 57% Anteil in öffentlicher Hand und 43% in Unternehmenshand) dieses Finanzierungsmodell ins Leben rief - zusammen mit dem Baukonzern Bilfinger (deren späterer Vorsitzender Roland Koch/CDU inzwischen dort ausgeschieden ist) und der Anwaltskanzlei „Freshfields Bruckhaus Deringer“, für die Steinbrück später hochbezahlte Vorträge hielt.

Besonders peinlich: Herr Groschek kennt offenbar nicht einmal den jahrelangen Internet-Auftritt der Landesregierung NRW, z.B. auf der Homepage des Landesfinanzministeriums unter seinem SPD-Ministerkollegen Dr. Walter Borjans (unter http://www.ppp.nrw.de/oepp_initiative/index.php), wo bereits seit Jahren eine so genannte „ÖPP-Task Force“ offiziell im Ministerium unter Firmenbeteiligung seine Beratungsdienstleistungen und Pilotprojekte als ausführendes Organ pro ÖPP in NRW anbietet. Deshalb sollte NRW-Verkehrsminister Groschek nicht so tun, als habe er aus höherer Einsicht seinen aussichtslosen Kampf als Don Quichotte gegen ÖPP aufgegeben, sondern vermutlich wohl eher unter dem Druck seiner ÖPP-hörigen Parteifreunde. Absehbar ist aus kritischer Bürgersicht bereits, dass diese Konstruktion aus enger Verquickung zwischen Politik und Privatkonzernen und -investoren ein weites Einfallstor für Lobbyismus und Korruption eröffnet… (Deshalb diesen Leserbrief in 3 Jahren bitte auf Wiedervorlage!)

Wilhelm Neurohr

Stellungnahme von MdB Michael Groß (SPD) zum Leserbrief von Wilhelm Neurohr

ÖPP – Eine finanzielle Sackgasse für die öffentliche Hand

Nov 23, 2015

Stellungnahme zum Leserbrief von Wilhelm Neurohr, Marler Zeitung vom 6. November

„ÖPP-Autobahnausbau – ein weiteres Einfallstor für Lobbyismus und Korruption

„Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) sind eine finanzielle Sackgasse für die öffentliche Hand“, kritisiert der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Groß.

ÖPP heißt das Finanzierungsmodell, welches zum 1. Mal beim Autobahnausbau der A1 auch in NRW zum Tragen kommen soll. Beim ÖPP-Modell übernimmt ein Firmenkonsortium den Bau, Erhalt und Betrieb der Autobahn für bis zu 30 Jahre. Im Gegenzug bekommen die privaten Unternehmen für den Streckenabschnitt eine Vergütung vom öffentlichen Auftraggeber, die sich an der Lkw-Maut orientiert. Befürworter der ÖPP-Projekte behaupten immer wieder, dass durch die grundsätzlich effizientere Vorgehensweise der privaten Partner gegenüber der öffentlichen Hand in einer solchen Partnerschaft die angespannten öffentlichen Haushalte entlastet werden können. Regelmäßig prüfen Landes- und der Bundesrechnungshof nach und stellen das Gegenteil fest. 2014 hatte der Bundesrechnungshof festgestellt, dass 5 der 6 ÖPP-gebauten Autobahnen sich nicht rechnen. 1,9 Mrd. Euro teurer als über eine konventionelle Realisierung. Der Ausbau der A1 von Bremen nach Buchholz ist als ÖPP-Variante ist nicht um 40% günstiger gewesen, wie das Bundesverkehrsministerium eingeplant hatte, sondern sogar um 27% teurer. Grund ist laut Prüfung die Finanzierung der Privaten Anbieter. Der Bund kann diese wesentlich günstiger realisieren.

Anders als die Öffentliche Hand, müssen die Privaten Anbieter außerdem Gewinne erzielen. Diese ergeben sich oft aus niedrigeren Löhnen, Subunternehmertum… Selbst wenn das Projekt scheitert, trägt das Risiko in vollem Umfang die öffentliche Hand und damit der Steuerzahler.

Da private Anbieter sich lediglich die lukrativsten Maut-Strecken heraussuchen, werden gleichzeitig die öffentlichen Landesstraßenbauämter geschwächt. Sie sind zuständig für Unterhaltungsmaßnahmen an den Autobahnen, fehlen Autobahnabschnitte, da sie nun von privaten Betreibern unterhalten werden, brauchen die Straßenbauämter weniger Personal, gleichzeitig entstehen längere Wege und es fehlen der öffentlichen Hand Einnahmen durch die Mautgebühren – es wird unrentabel. In Niedersachsen kam es im Zuge der Umsetzung des Baus der A1 als ÖPP-Projekt zu Kündigungen von Mitarbeitern des landeseigenen Straßenbaubetriebes.

Warum werden ÖPP-Projekte im Straßenbau trotz der negativen Auswirkungen dennoch umgesetzt?

Ganz einfach: So kann die Schuldenbremse umgangen werden. Bereits CSU-Bundesverkehrsminister Ramsauer hat ÖPP-Projekte vorgezogen in der Bundesverkehrswegeplanung. Die Finanzierung der Bundesautobahnen und Bundesstraßen hängt. Projekte des dringenden Bedarfs stehen in der Warteschlange und werden bei gleichbleibender Finanzierung in etwa in 20 Jahren erst realisiert werden. ÖPP-Projekte sind zu Beginn erst mal weniger teuer, belasten die Bundesfinanzen anfangs nur gering. Sie werden deshalb vor die anderen Projekte gezogen. Leider stellen ÖPP-Projekte dann eine dauerhafte Belastung für den Haushalt dar. Lange Laufzeiten garantieren die geregelten Zahlungen an den sogenannten privaten Partner. So heißt es nun auch unter Bundesverkehrsminister Dobrindt an die Länder: ÖPP oder gar nichts! Leider ist der Bund weisungsbefugt und so bleibt den Ländern trotz guter Argumente keine Ausweichmöglichkeit. Bereits in Niedersachsen hatte sich beim Bau der A1 als ÖPP-Modell heftiger Widerstand von SPD-Landesregierung, Parlament und ver.di gebildet. Letztendlich baute der Bundesverkehrsminister.