Vortrag am 28. März in Passau (Wilhelm Neurohr):
"Plädoyer für ein Europa von unten - bürgernah, regional, solidarisch und sozial"
Wenige Wochen vor der Europawahl am 26. Mai nehmen die Sorgen um Europas Zukunft zu, denn die EU ist in einer schweren existenziellen Krise. Ein politisches "Weiter so" kann nach der Europawahl nicht die Problemlösung sein, sondern jetzt sind die Menschen in der europäischen Zivilgesellschaft gefragt, aus den Regionen heraus ihren Vorstellungen von einem nachhaltigen und bürgernahen Europa Geltung zu verschaffen, wenn ihnen das Schicksal der europäischen Gemeinschaft nicht gleichgültig ist. Europa braucht eine Runderneuerung mit vielen Reformen, zumal Europa eine unvollendete Demokratie ist. Deshalb müssen die Europäer aus der Zuschauerdemokratie heraustreten und Visionen für ihr Europa entwickeln, derweil die Politiker mit ihrem Krisenmanagement bei den von ihnen selber hervorgerufenen Problembündel beschäftigt sind.
Der Vortrag leitet eine dreiteilige Vortragsreihe im Rahmen der Kampagne "Ich bin Europa" ein. Hier alle drei Vortragsveranstaltungen im Überblick (sowie der komplette Vortragstext als Nachschrift):
Do., 28. März, 19.30 Uhr:
Festsaal St. Valentin Domplatz 7, Passau:
„Plädoyer für ein Europa von Untenbürgernah,
regional, solidarisch und sozial“
Referent Wilhelm Neurohr:
Präsidiumsmitglied des iWiPo-Instituts (Gemeinnütziges Institut für Wissenschaft, politische Bildung u. gesellschaftliche Praxis NRW e. V.)
und Buchautor „Ist Europa noch zu retten?“. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zu Europa. Zuvor beruflich vier Jahrzehnte als Stadt- und Regionalplaner bei der Kreisverwaltung Recklinghausen tätig, zugleich Personalratsvorsitzender und Beauftragter für die lokale Agenda 21; Mitglied bei Attac, ver.di und
Lobbycontroll, Unterstützer von „Mehr Demokratie e.V.“, Mitglied des „Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt“ in seiner Heimatstadt Haltern am See.
Zum Inhalt:
Europa ist populär, nicht aber die EU. Bürokratie statt Demokratie, Lobbyismus statt Humanismus, Politik ohne Prinzipien und Geschäft ohne Moral sind die Hauptkritikpunkte. Dem entgegen setzt Wilhelm Neurohr auf den Traum eines menschlichen Europas mit Ausstrahlung auf die ganze Welt.
Mo., 29. April, 19.30 Uhr:
Festsaal St. Valentin, Domplatz 7, Passau:
„Europa in der Krise – Christliche Impulse für einen neuen Aufbruch“
Referent Pater Dr. Martin Maier, SJ:
Beauftragter für Europäische Angelegenheiten im Europäischen Sozialzentrum der Jesuiten (JESC) in Brüssel. Geb. 1960 in Messkirch, 1979 Eintritt in den Jesuitenorden,
Studien der Philosophie, Theologie und Musik in München, Paris, Innsbruck, San Salvador. Theologische Promotion: „Theologie des gekreuzigten Volkes. Der Entwurf einer Theologie der Befreiung von Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino“, Innsbruck 1993. 1995 bis 2009 Mitglied der Redaktion der Stimmen der Zeit, von 1998 bis 2009 Chefredakteur. 2009 bis 2014 Rektor des Berchmanskollegs in München. Seit 2014 Secretary for European Affairs im Jesuit European Social Centre in Brüssel. Regelmäßiger Gastprofessor an der Universidad Centroamericana in San Salvador und am Centre Sèvres in Paris.
Zum Inhalt:
Vor den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 befindt sich die Europäische Unionin einer tiefen Krise. Mit Großbritannien verläßt voraussichtlich zum ersten Mal ein Mitglied die Union. An der Flüchtlingsfrage scheiden sich die Geister. Martin Maier SJ fragt nach den tieferliegenden Ursachen So wie in den Anfängen der europäischen Einigung können auch heute christliche Impulse neue Wege öffnen.
Mo., 13. Mai, 19.30 Uhr:
Europa-Haus Schloss Fürstenstein, 94538
Fürstenstein:
„Landwirtschaft und Ländlicher Raum brauchen Europa“
Referent: Lutz Ribbe,
Naturschutzpolitischer Direktor der Stiftung EuroNatur und Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union (EWSA).Nach dem Studium der Landschaftsplanung- und Ökologie war er von 19von 1983 bis 1991 stellvertretender Bundesgeschäftsführer beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands BUND. 1992 wechselteer zu EuroNatur und ist seither dort Naturschutzpolitischer Direktor. Er ist auch Vorsitzender der „Beobachtungsstelle für nach-haltige Entwicklung der EWSA und inernational anerkannter Agrarexperte.
Zum Inhalt:
.Naturschutz und Naturnutzung schließen sich nicht aus. Wenn wir unsere Natur- und Kulturlandschaften dauerhaft erhalten wollen, müssen wir die Landwirte und andere Nutzer dieser Landschaften ins Boot holen. Dazu braucht es europäische Lösungen.
Wilhelm Neurohr/ iWiPo-Institut
Europa-Vortrag am 28. März 2019 in Passau (Nachschrift)
vor der Katholischen Landbevölkerung (KLB) der Diözese Passau im Landkreis Passau, Festsaal St. Valentin, Domplatz:
"Plädoyer für ein Europa von unten – bürgernah, regional, solidarisch und sozial"
Begrüßung und Prolog:
Liebe Anwesende,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Herr Schmidt,
für die freundliche Begrüßung und die Einladung hier in diese schöne Bischofsstadt Passau darf ich mich recht herzlich bedanken. (Zuletzt war ich vor 40 Jahren in Passau und werde mir morgen die Veränderungen anschauen, aber auch das ländliche Umland).
Ich bin gerne aus dem Ruhrgebiet nach Niederbayern gekommen - in diese ländliche Region hier im Dreiländereck - um für ein Europa von unten zu plädieren – als Auftakt zu ihrer dreiteiligen Vortragsreihe zu Europa. Denn Europa ist überall dort, wo sich die Menschen vor Ort für Europa engagieren und sich damit identifizieren – also nicht nur in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg.
Ich habe gehört, dass Sie sich als Katholische Landbevölkerung auch an der bundesweiten Kampagne für Europa beteiligen nach dem Motto: „Ich bin Europa - und Du auch“. Das ist sehr zu begrüßen. Und auch die Wirtschaftswoche in Passau steht in diesem Jahr unter dem Motto „Ja zu Europa.“
Es gibt leider auch gegenteilige Stimmen hier aus Niederbayern, wie ich in der Zeitung gelesen habe: Vor 3 Wochen, am Aschermittwoch, hat ja in Osterhofen der Niederbayrische AfD-Bezirkschef Stephan Protschka die EU für schlicht obsolet erklärt. Er sagte wörtlich: „Die EU ist ein Konstrukt, das keiner braucht“.
Demgegenüber hatte - ebenfalls am Aschermittwoch – hier in Passau der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl, Manfred Weber erklärt: „Heute ist Passau Europas größter Stammtisch“. Er hat sich wohl etwas unglücklich ausgedrückt, denn wir brauchen keine Stammtischpolitik für Europa. Das überlassen wir Herrn Orban und anderen.
Heute Abend wollen wir jenseits der Parteilichkeit und der populistischen Stammtische einmal sachlich auf die Vorzüge, aber auch auf die vielfältigen Probleme und Unzulänglichkeiten der zerbrechlichen und kriselnden EU schauen sowie auf ihren Reformbedarf und ihre Zukunftschancen. Und wo könnte man das besser tun als gerade hier in Passau?
Europa-Region Passau im Dreiländereck
Es handelt sich ja hier um eine Vorzeige-Region in Europa mit vorbildlicher grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Hinzu kommen aus den europäischen Nachbarländern jährlich fast 1 Million auswärtige Gäste als Touristen in den Landkreis Passau und in die Drei-Flüsse-Stadt – insbesondere aus Österreich, aber auch aus den Niederlanden, aus Großbritannien und der Schweiz. Das zeigt, wie wichtig ein Europa ohne Grenzen oder mit offenen Grenzen ist.
Ich habe gelesen, dass hier schon seit 20 Jahren im Rahmen der EUREGIO und der Europa-Region Donau/Moldau inzwischen Hunderte grenzüberschreitende Projekte realisiert worden sind. Und 2016 wurde ja - im benachbarten Freyung - das Europahaus eröffnet als europäisches Dienstleistungszentrum mit überregionaler Ausstrahlung. Außerdem haben Sie seit 2017 in Deggendorf mit dem kaufmännischen Berufskolleg sogar eine anerkannte Europaschule im Landkreis, die sich für den Jugendaustausch mit England (in Zeiten des Brexits ganz wichtig) und um interkulturelle Projekte engagiert – und die alljährlich einen Europa-Tag durchführt.
Nicht zu vergessen: Die regelmäßigen Europa-Wochen in Passau. Und schon 1955 wurde Ihre Stadtbücherei in „Europa-Bücherei“ umbenannt und entsprechend ausgestattet. Direkt an ihrem Hauptbahnhof gibt es einen Europaplatz, wie ich bei meiner Ankunft gesehen habe. Nicht zuletzt wirbt Ihre Universität in Passau mit ihrer „Internationalität im Herzen Europas“ - zudem mit einer Zweigstelle der „Südosteuropa-Gesellschaft. (Den momentanen Streit um die Wiederbesetzung der rektorenstelle lasse ich außen vor).
Sogar der Generalsekretär der EU-Kommission, Dr. Martin Selmayr war erst im vorigen Monat dort Gast beim Ehemaligenverein „AlumniClub“. Außerdem sind die „jungen Europäischen Föderalisten“ in Passau aktiv. Und die Verlagsgruppe Passau bringt Kunst und Menschen in Europa näher mit ihrer Veranstaltungsreihe „Menschen in Europa“, bei der sich seit 1996 europäische Spitzenpolitiker alljährlich zum Austausch in Passau treffen – wie kürzlich auch die ehemalige Vize-Kommissionspräsidentin Viviane Reding.
Schließlich haben Sie in Passau noch den gemeinnützigen Verein „Gemeinsam leben und lernen in Europa“, der sich zum Thema Integration und Inklusion mit Partnern in ganz Europa austauscht. Und in Jochenstein läuft die geförderte Lichterwoche „Europa leuchtet“. Mehr Europa geht fast nicht in Passau.
Europäische Städtepartnerschaften
Besonders beeindruckt mich hier die Vielzahl der internationalen Städtepartnerschaften der Stadt Passau, mit Partnerstädten in 7 europäischen Ländern und 3 außereuropäischen Ländern. Mit Ihren europäischen Partnerstädten in Frankreich, Italien und Spanien, in Österreich, Tschechien und Ungarn sowie in Schottland kommt europäische Vielfalt und europäischer Geist hier nach Niederbayern – verbunden mit bereichernden Menschenbegegnungen.
Somit dürfte die Stadt Passau mit ihren insgesamt 10 Partnerstädten wohl zu den kommunalen Spitzenreitern in Deutschland gehören, denn die meisten Städte beschränken sich auf durchschnittlich zwei bis vier Partnerstädte.
Insgesamt verzeichnen wir mittlerweile 40.000 europäische Städtepartnerschaften. Und die ersten gab es schon in der frühen Hälfte des 20. Jahrhunderts - lange bevor überhaupt die Gründungsidee einer Europäischen Gemeinschaft aufkam.
Schon das mittelalterliche Städtewesen in Europa mit seinen vielfältigen Handelsbeziehungen und Netzwerken hat einen europäischen Raum gebildet, bevor es den Begriff Europa überhaupt gab. Hier in der Bischofsstadt Passau war es ja damals vor allem der Salzhandel, das „weiße Gold“. Und Passau war begünstigt als Verkehrsknotenpunkt und Umschlagplatz am Handelsweg, vor allem zwischen Bayern, Österreich und Böhmen.
Deshalb unterbreite ich Ihnen jetzt als Gast aus Norddeutschland einen kühnen Vorschlag für die kommende Zeit: Denn es fehlt jetzt nur noch irgendwann als „Sahnehäubchen“ die Bewerbung und Anerkennung der Stadt Passau – zusammen mit den umliegenden Regionen - als europäische Kulturhauptstadt, von denen es bereits 56 europaweit gibt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung wäre ein einjähriges Kulturprogramm mit einer starken europäischen Dimension. Sie müssen es sich nur zutrauen.
Jedenfalls hat kaum eine andere Region mehr von der europäischen Union profitiert, als dieser ostbayrische Grenzraum. Das hat kürzlich zu Jahresbeginn Ihr Landrat Franz Meyer betont, und zwar auf dem gemeinsamen Neujahrsempfang von Stadt und Landkreis Passau. Ohne die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Förderpolitik Europas wäre diese Region um ein erhebliches Stück ärmer und unattraktiver, so stellte er zutreffend fest.
Europa der Regionen
Der Vorsitzende der EUREGO, der Landrat Gruber vom Nachbarlandkreis Freyung-Grafenau, betont die Bedeutung auch der kleineren grenzüberschreitenden Projekte und Kooperationen von Kommunen, von Vereinen oder Schulen und Betriebe - weil diese die Menschen zusammenbringen und gemeinsame erfolgreiche Regionalentwicklung ermöglichen. Beide Landräte stellten deshalb ein klares Bekenntnis für ein Europa der Regionen in den Mittelpunkt, das man nur unterstützen kann.
Vor 5 Monaten war ja vom Europäischen Ausschuss der Regionen sogar deren Generalsekretär, Jiri Burianek, hier im Landkreis Passau zu Gast. Gemeinsam kam man zu der Feststellung: Die Kommunen und die kommunale Politik sind die Basis der Europäischen Union.
Zudem haben fast Dreiviertel aller europäischen Rechtsvorschriften direkte und indirekte Auswirkungen auf die Regionen und Städte. Davon können die Rathäuser und Landratsämter ein Lied singen - z. B. bei europaweiten Ausschreibungen. (Selber war ich ja 40 Jahre bei einer großen Kreisverwaltung tätig, bei der mit fast 700.000 Einwohnern im Kreisgebiet soviel Bürger zu betreuen waren wie in sieben Landkreisen von Niederbayern zusammengenommen).
Doch der Ausschuss für Regionen bei der EU mit 353 Mitgliedern hat keinerlei Entscheidungskompetenz, sondern nur ein Anhörungsrecht. Deshalb brauchten wir eigentlich neben dem Europa-Parlament eine zweite parlamentarische Kammer in Europa, einen Senat, wo die Regionen in einem dezentralisierten Europa echte demokratische Mitentscheidungsrechte in ihren Angelegenheiten bekommen. Das wäre ein wichtiger Reformschritt. Denn der direkte und vertrauensvolle Dialog mit den Menschen vor Ort ist für ein Gelingen der Europäischen Gemeinschaft unverzichtbar.
EU-Förderung für Landwirtschaft und ländlichen Raum
Für die Landbevölkerung gilt das in besonderem Maße, denn die ländlichen Regionen stehen ja ganz besonders im Fokus der EU als bevorzugte Förderregionen. Dorthin fließen fast 45% des gesamten EU-Haushalts, der 137 Mrd. € umfasst. Als Vertreter der Landbevölkerung wissen Sie viel besser als ich, dass somit allein 50 bis 60 Mrd. € jährlich aus den EU-Förderprogrammen für die gemeinsame Agrarpolitik ausgegeben wird - also für Acker, Ställe und Landschaftspflege sowie ländliche Entwicklung (plus Zusatzkosten für den Briten-Rabatt). Dafür muss jeder EU-Bürger umgerechnet 114,- € pro Jahr beitragen.
Wir können nachher noch die Fragen vertiefen, ob die oft bürokratische Geldverteilung nicht grundlegend reformiert werden muss. Denn trotz der EU-Förderung geht das Höfesterben leider weiter, weil ein Drittel aller Bauern aufgeben. Das hat weniger mit der Konkurrenz der weltweiten Agrarmärkte zu tun, die teilweise in die regionalen Kreisläufe und Absatzmärkte eindringen. Sondern es hat mit den Förderkriterien und dem Verteilungsschlüssel der EU-Gelder zu tun, wie Kritiker zur Recht sagen:
Durch die Geldvergabe pro ha Fläche erhalten die Großbetriebe mit ihrer industriellen Agrarlobby am meisten von den EU-Geldern. Dadurch bewirtschaften inzwischen 3 % der Betriebe (als Großbetriebe) über die Hälfte des gesamten Agrarlandes! Das ist nicht gesund. Nachdem die EU-Kommission auch noch den Zusammenschluss der großen Agrokonzerne Bayer und Monsanto leider genehmigt hat, ist zu befürchten, dass die Kleinbauern und die Verbraucher die Zeche dafür zu zahlen haben. Von Glyphosat erst gar nicht zu reden.
Nachhaltige Landwirtschaft
Derweil ist der Erhalt der kleinen Betriebe, die nachhaltig ökologisch wirtschaften, unterfinanziert. Dabei sind es vor allem die Kleinbetriebe, die sich für gesunde und leckere Lebensmittel, für artgerechte Tierhaltung, für Artenvielfalt einsetzen - sowie für den Schutz von Gewässern, Vögeln und Insekten und gegen das Bienensterben und den Pestizid-Einsatz sich engagieren – als Beitrag für den Erhalt der Schöpfung.
Das Ganze ist ja hier in Bayern aktuell sogar in ein erfolgreiches Volksbegehren zur Rettung der Bienen gemündet. Das wünscht man sich auch für die anderen Bundesländer und europaweit Viele Bäuerinnen und Bauern vernetzen sich deshalb mit Umweltorganisationen und Kommunen in der Region - oder suchen sogar den grenzüberschreitenden Kontakt zu ähnlich Betroffenen auch in anderen EU-Ländern, um sich zu solidarisieren.
Umso erfreulicher, dass der Landkreis Passau im vorigen Monat als einer der ersten eine Urkunde für seine Nachhaltigkeitsziele aus den Händen des Bundesentwicklungsministers erhalten - im Rahmen der UN-Agenda 2030.
Engagement der Menschen für Europas Zukunft
Darin zeigt sich, dass die Menschen in Europa sich aktiv an den Zukunftsaufgaben beteiligen und Fehlentwicklungen beseitigen wollen. Denn die Wiederbelebung des kriselnden und zerbrechlichen Europa findet entweder durch die handelnden Menschen statt – oder es findet gar nicht statt.
Europa ist ja derzeit politisch, wirtschaftlich und sozial gespalten. Die einzelnen Staaten und Kontinente befinden sich im ruinösen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern und niedrigsten Löhne und Sozialstandards. Auch Deutschland betreibt mit einen Exportüberschüssen und seiner Austeritätspolitik eine Politik des „Germany first“ nach nationalen Interessen. Das fördert die Ungleichheit und bringt Gewinner und Verlierer hervor statt eine ausgleichende Win-Win-Situation.
Solidarität mit den schwächeren Ländern in Ost- und Südeuropa kommt zu kurz. Eine gemeinsame Wirtschafts- Finanz- und Sozialpolitik im Euro-Raum wird abgelehnt, obwohl von Macron wiederholt eingefordert. Die soziale Frage wird vernachlässigt, obwohl es ohne sozialen Frieden keinen Frieden in Europa gibt. Einen ersten Vorgeschmack bekommen wir in Frankreich von den Gelbwesten. Und die momentane militärische Aufrüstungsspirale in Europa geht zu Lasten der Sozialausgaben.
Auch die ökologischen Fragen werden vernachlässigt. Es sind die Schulkinder, die unsere Europapolitiker an ihre Verpflichtung zum konsequenteren Klimaschutz erinnern müssen.
Europa hat also nur eine Zukunft, wenn es hier von unten getragen wird - und sich zu einem Projekt der Jugend entwickelt. Ob das Projekt Europa gelingt und eine Zukunft hat, liegt also an uns allen. Wir müssen herauskommen aus der bloßen passiven Zuschauerdemokratie in Europa, hin zu einer aktiven Beteiligungsdemokratie!
Ein Anfang wurde ja z.B. im Jahr 2016 von 2000 Kommunen in Europa gemacht, als sie sich selbstbewusst von unten gegen das unfaire und undemokratische Freihandelsabkommen der EU namens TTIP zur Wehr setzten und sich zur TTIP-freien Zone erklärten.Flankiert wurden sie von 3,5 Mio. EU-Bürgern aus 23 EU-Ländern, die mit ihrer Unterschrift im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative die Bedenken der Kommunen teilten – die größte Bürgerinitiative seit Bestehen der EU.
Die Menschen in Europa haben sich also mit ihrer Stimme Gehör verschafft, was bei insgesamt 500 Mio. Menschen in EU-Europa schon bemerkenswert ist. Erst recht müssen sie sich jetzt wieder Gehör verschaffen angesichts unübersehbarer Fehlentwicklungen in Europa, das Auseinanderzubrechen droht.
Exkurs (Brexit)
Morgen wäre ja der (ursprüngliche) Brexit-Austrittstermin, der nun zunächst auf den 12. April verschoben wurde. Wir haben ja gestern in den Medien den Abstimmungsmarathon über die 16 Alternativen oder Scheinalternativen verfolgen können.
Aber das ganze Brexit-Theater wäre ein eigenes abendfüllendes Vortrags- und Diskussionsthema, das ich jetzt an dieser Stelle nicht vertiefen möchte – obwohl wir es nicht ausklammern dürfen. Denn morgen möchte Premierministerin Theresa May noch einmal abstimmen lassen…
Wahlbeteiligung Europawahl
Zunächst müssen wir den Zusammenhalt in Europa stärken, denn Europa als Kontinent von Frieden und Freiheit und Menschenrechte darf nicht scheitern. „Europa hat Fehler, macht Fehler -aber der Nationalismus ist ein einziger großer Fehler" (Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung).
Deshalb muss es die größte Herausforderung sein, zunächst bei der in 2 Monaten stattfindenden Europawahl eine größtmögliche Wahlbeteiligung pro Europa zu erzielen, um das rechtsstaatliche und freiheitliche Europa nicht seinen Gegnern, den Rechtspopulisten zu überlassen. Die AfD will sogar das Europa-Parlament ersatzlos abschaffen und den EU-Austritt von Deutschland als Option, so diskutierte sie auf ihrem Europa-Parteitag vor 2 Monaten.
Ein Zurück zum Nationalismus wäre jedoch tragisch. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig schrieb seinerzeit dazu: „Der Nationalismus hat die europäische Kultur und damit Europa zerstört.“
Nun dürfen wir aber auch den Wermutstropfen nicht verschweigen, dass gerade hier im Landkreis Passau bei der letzten Europawahl 2014 die Wahlbeteiligung bei nur mageren 30,8% lag (in der Stadt Passau 37,7%) – also weit unter dem Bundesdurchschnitt von 43% oder europaweit 42,6%. In 16 Gemeinden des Landkreises Passau lag die Wahlbeteiligung unter 30%, in zwei Gemeinden sogar unter 24% ! Also fast 70% der wahlberechtigten Menschen hier in dieser Region haben sich beim letzten Mal nicht an der Europawahl beteiligt!
Eine ähnlich schlechte Wahlbeteiligung um die 30% wie in Niederbayern gab es nur in den osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Lettland, Estland. So gut wie gar kein Interesse an Europa gab es bei der letzten Europawahl 2014 in der Slowakei mit nur 13% Wahlbeteiligung, ähnlich im benachbarten Tschechien mit 18% und in Polen mit 23,8% Wahlbeteiligung.
Rechtspopulisten und Nationalisten in Europa
Gleichzeitig sind in 15 europäischen Ländern rechtspopulistische Parteien aufgetaucht - und vielen gelang 2014 der Sprung ins Europaparlament: In Frankreich sogar mit 26%, in Ungarn mit 14%, in den Niederlanden mit 13%, in Schweden mit 10%, in Griechenland mit 9%, in Deutschland immerhin mit 7% usw. Seither haben sie Aufwind. Laut aktuellen Umfragen von Februar 2019 wird der AfD bei den bevorstehenden Europawahlen eine Steigerung auf 10% bis 12 % vorausgesagt.
In diesem Europawahljahr 2019 hat zu allem Übel der ehemalige Wahlkampfmanager von US-Präsident Trump, Stephen Bannon sein Quartier in Brüssel eingerichtet. Er will mit seiner Organisation „The Movement“ den nationalistischen Rechtspopulisten in ganz Europa zum Wahlsieg verhelfen, um die Europäische Gemeinschaft zu schwächen und zu spalten.
Deshalb handelt es sich in diesem Jahr 2019 wahrlich um eine Schicksalswahl für das zerbrechliche und zerstrittene Europa, das 70 Jahre als Friedensprojekt gegolten hat - während es nun dem sozialen Unfrieden anheimgefallen ist, der den Rechtspopulisten Zulauf beschert. Vor der Europawahl am 26 Mai nehmen deshalb die Sorgen um Europas Zukunft zu. Denn die EU ist in einer schweren existenziellen Krise, mit Wiederaufleben des Nationalismus - und gleichzeitig der Wiederkehr des kalten Krieges mit großen und teuren Aufrüstungsaktivitäten.
Ein politisches "Weiter so" kann nach der Europawahl deshalb nicht die Problemlösung sein. Sondern jetzt sind die Menschen in der europäischen Zivilgesellschaft gefragt, aus den Regionen heraus ihren Vorstellungen von einem nachhaltigen und bürgernahen Europa - von einem sozialen und solidarischen sowie friedlichen Europa der Regionen - Geltung zu verschaffen, wenn ihnen das Schicksal der europäischen Gemeinschaft nicht gleichgültig ist.
Aber allein mit der Stimmabgabe bei der Europawahl ist es folglich nicht getan, zumal damit relativ wenig Einfluss genommen werden kann auf die Europapolitik – das empfinden die Menschen ganz richtig. Selbst wenn es uns gelänge, die Rechtspopulisten aus dem Europaparlament herauszuhalten oder möglichst klein zu halten, bleiben die übrigen ungelösten Probleme der zerstrittenen EU bestehen. Bei den bisherigen Wahlen konnten übrigens laut Wahlanalysen ausgerechnet die Rechtspopulisten von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitieren, weil sie vor allem die bisherigen parteiverdrossenen Nichtwähler für sich gewinnen konnten. Warum aber sind die Menschen in Europa Partei-und politikverdrossen?
Demokratie-Defizite der EU
Es gibt nämlich erhebliche Demokratie-Defizite in der EU, die beseitigt werden müssen. Denn - trotz einiger Verbesserungen seit dem Lissabonner Vertrag von 2009 - fehlen dem Europaparlament in Straßburg bekanntlich die legislativen Kernkompetenzen eines richtigen Parlamentes für eigene Gesetzes-Initiativen sowie weitreichende Kontrollfunktionen, - es hat auch nicht das volle Haushalts-oder Budgetrecht als „Königsrecht eines Parlaments“ – ein halbseitig gelähmtes EU-Parlament.
Bei den meisten Themen hat das EU-Parlament weiterhin nur beratende Funktionen und abgestufte Gesetzgebungskompetenzen. Am wenigsten zu sagen hat es bei den bloßen Konsultationsverfahren und den Kooperationsverfahren. Etwas mehr bei den Mitentscheidungsverfahren - und echte Entscheidungsvollmacht nur bei den seltenen Zustimmungsverfahren (zuletzt bei der Osterweiterung der EU).
Auch das Haushaltsrecht muss sich das Parlament ebenfalls mit der EU-Kommission allenfalls gleichberechtigt teilen, ohne deren Zustimmung also keine Entscheidung zustande kommt. Bei den „obligatorischen Ausgaben“ vor allem für die Agrarpolitik (der größte Etatposten im EU-Haushalt) spielt das Parlament gegenüber dem Rat nur eine untergeordnete Rolle. Lediglich bei den „nicht obligatorischen Sonderausgaben“ hat das Parlament das letzte Wort. Auch bei den Personalentscheidungen spielt das EU-Parlament nur eine Statistenrolle. Etwas verbessert haben sich die parlamentarischen Kontrollfunktionen, z. B. bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder bei der Kontrolle der korrekten Geldausgaben zur Entlastung der Kommission.
Alle wesentlichen Entscheidungen fallen aber in Brüssel in der Exekutive, durch die nicht gewählten EU-Kommissare und durch die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat sowie im Ministerrat, und zwar meist intransparent hinter verschlossenen Türen. Und das Ganze wird in Brüssel oft stark beeinflusst von den rund 20.000 in Brüssel ansässigen Lobbyorganisationen, die ungehinderten Zugang zur EU-Kommission haben. Umso wichtiger die vom Europaparlament geforderte und teilweise erfolgte Einrichtung eines transparenten und verbindlichen Lobbyregisters, gegen das sich EU-Kommission und Rat zunächst mit Händen und Füßen gewehrt hatten.
Die Exekutive hat in der EU also wesentliche Funktionen zugleich der Legislative inne und teilweise sogar der Judikative, wenn sie Sanktionen gegen EU-Mitglieder verhängt bei Nichtumsetzung von EU-Vorgaben. Die mangelnde demokratische Gewaltenteilung ist also das Hauptproblem der EU, derweil sie von allen neuen Beitrittskandidaten dortige Gewaltenteilung als demokratische Voraussetzung erwartet. Ohne klare Gewaltenteilung und ohne Transparenz funktioniert aber keine Demokratie - erst recht nicht ohne Bürgerbeteiligung und öffentliche Diskurse.
Auch die gewählten Nationalparlamente sind weitgehend bei EU-Entscheidungen außen vor, weil sie die verbindlichen Rechtsvorgaben der EU meist nur noch in nationales Recht zu überführen haben, ohne an dessen Zustandekommen (meist intransparent hinter verschlossenen Türen in Brüssel) beteiligt gewesen zu sein. Über 80% aller Rechtsnormen beruhen inzwischen auf Vorgaben der EU. Dies war teilweise so gewollt mit der Verlagerung von nationalen Zuständigkeiten auf die EU (verstärkt seit dem Lissabon-Vertrag).
Aber die in Brüssel agierenden Regierungsmitglieder aus den Nationalstaaten sind bei ihren Verhandlungen und Entscheidungen oftmals nicht auf ein vorheriges Mandat ihres jeweiligen Nationalparlamentes angewiesen, sondern agieren oftmals ohne Rückkopplung zu ihrem parlamentarischen Beschluss- und Kontrollorgan. Damit agieren sie als Exekutive mit legislativen Vollmachten.
Das vom Volk gewählte EU-Parlament als Legislative stellt also nicht die eigentliche gesetzgebende Gewalt dar. Damit hält sich der Einfluss des Volkes als Souverän bei den Europawahlen in Grenzen. Die Veränderung von Mehrheitsverhältnissen im EU-Parlament nach Wahlentscheidungen bedeutet deshalb nicht zugleich die veränderte Ausrichtung der EU-Politik.
Erheblicher Reformbedarf in der EU
Deshalb kann es kein bloßes „Weiter so“ in Europa geben, wobei nicht jeder EU-Kritiker ein Europa-Gegner ist. Umfragen zufolge wollen die Menschen in Europa mehrheitlich die Integration, aber die Ausrichtung der EU-Politik geht an den Interessen der Menschen vielfach vorbei und damit verliert sich ihre Europa-Euphorie. Europa braucht also eine Runderneuerung mit vielen Reformen, zumal Europa eine unvollendete Demokratie ist, die stark von den Wirtschaftsinteressen dominiert wird. Wenn Enthusiasmus für Europa entstehen soll, dann müssen wir auch auf der EU-Ebene mehr Demokratie lernen und üben. Denn eine EU ohne ihre Bürgerinnen und Bürger ist undenkbar.
Die EU kann in Zukunft nur demokratisch sein – oder sie wird gar nicht mehr sein!
Die vielen Krisen lassen sich nicht leugnen: Ob Demokratie-Krise, Flüchtlingskrise, Ukraine-Krise, Sozialkrise, Eurokrise, Bankenkrise oder Klimakrise - das ganze Krisenbündel ist aber auch eine Chance für einen Neuanfang. Vor 14 Jahren, in 2005, hatte ich in meinen veröffentlichten „7 Thesen zur Zukunft Europas“ folgendes geschrieben: „Wenn Europa so weiter macht wie bisher, wird es die gegenwärtige Ordnung keine 15 Jahre mehr aufrecht erhalten können ohne schwerste Krisen.“ Jetzt sind die 15 Jahre um und wir erleben das prophezeite Krisenszenario.
Deshalb müssen wir Europäer aus der Zuschauerdemokratie heraustreten, Eigeninitiative entwickeln und selber von unten Visionen für ihr Europa entwerfen und dafür kämpfen. Und die Regierenden müssen den Regierten mehr Gehör schenken. Nämlich für ein anderes Europa als das der Märkte und Konzerne, der Steuerhinterzieher und Finanzjongleure - derweil die Politiker bei ihrem Krisenmanagement mit den von ihnen selber hervorgerufenen Problembündeln beschäftigt sind (Beispiel Brexit). Diese reichen von der Eurokrise über den Brexit bis hin zu den Steuerschlupflöchern und den Streit um die Grenzschließungen, derweil Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken – allein im vorigen Jahr 2018 wieder 1.500 Menschen. Deshalb protestiert Pro Asyl gegen die Aushöhlung des Asylrechtes durch die EU-Länder.
Europa als Kontinent der Menschenrechte und als Wertegemeinschaft
Europa als Kontinent der Menschenrechte ist aus Bürgersicht zuvorderst eine Wertegemeinschaft und ein kulturelles und interkulturelles Gemeinschaftsprojekt. Mit anderen Worten: Wir alle sind Europa! Nicht Nationalstaaten vereinigen wir, sondern Menschen. Deshalb: Europa geht nicht ohne uns!
Einer der Gründungsväter Europas, der Franzose Jean Monét, soll sinngemäß gesagt haben: „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, dann würde ich nicht mit der Wirtschaft beginnen, sondern mit der Kultur.“
Die EU hat mit ihren Institutionen in 62Jahren nicht einmal geklärt, was sie überhaupt sein will: Ob sie ein Staatenbund bleiben oder ein künftiger Bundesstaat mit 500 Mio. Staatsbürgern werden oder ein bloßer Binnenmarktmarkt sein soll – oder ein föderales Europa der Regionen. Im Moment ist sie ein unklarer Mix von allem. Die unklare Richtung befördert das momentane Chaos in der EU.
EU-Kommissionschef Jean Claude Juncker hat 2017 im 60. Jubiläumsjahr für den EU-Gipfel selber 5 Szenarien für Europas Zukunft vorgelegt, die eher einen Rückschritt als einen Fortschritt aufzeigten. Zugleich bekannte er freimütig: „Ein echtes Konzept fehlt. Eine Antwort darauf haben wir nicht, wie die Zukunft der EU konkret aussieht.“ Er fügte noch hinzu: „Wir werden nie erleben, das Europa ein Staat wird“. Europa könne man auch durch Gleichmacherei töten.
Europa: „Einheit in der Vielfalt“
In der tat wäre ein Europa der "Einheit in der Vielfalt" einem zentralstaatlichen Gebilde als Einheitsstaat mit 500 Mio. Staatsbürgern vorzuziehen, der quasi ein im Maßstab vergrößerter Nationalstaat wäre. Aus meiner Sicht wäre es erstrebenswert, wenn ein „Europa der Regionen“ zur Verfasstheit der EU gehörte. Im Sinne von Dezentralität und Subsidiarität anstelle von Zentralstaatlichkeit des europäischen Staatsaufbaus.
Die Kompetenzen der Kommunen und Regionen wären wegen ihrer Bürgernähe zu stärken. Und der Aufgabenkatalog und Zuständigkeitsbereich der einzelnen föderalen Ebenen sollte klar voneinander abgegrenzt werden, mit jeweils eigenen Steuereinnahmen und Haushaltsmitteln. Demgemäß müsste auch die EU-Förderpolitik mehr Eigenverantwortlichkeit nach unten delegieren statt oben zu zentralisieren.
Auch die kulturelle Vielfalt der Regionen sollte akzeptiert und gefördert werden. Im spanischen Katalonien haben wir ja gesehen, was sich aus falsch verstandener Reaktion auf separatistische Bewegungen an Abspaltungstendenzen entwickel kann. (Ich gehe davon aus, dass die Niederbayern die Katalanen nicht nachahmen wollen…)
Scherz beiseite: Hätte man den Katalanen kulturelle Autonomie gewährt und politischen Föderalismus zugestanden, brauchte man dies nicht mit der brisanten Forderung nach zugleich politischer und rechtlicher Autonomie verbinden. Wirtschaftliche Autonomie kann es in Zeiten der Globalisierung ohnehin nicht geben. Bei differenzierter Betrachtung und Herangehensweise hätte man den Konflikt lösen und befriedigen können, bevor er in Europa weiter um sich greift (etwa auf die Basken und Bretonen oder Wallonen oder Südtiroler u. a.). Schlimmer noch, wenn ganze Nationalsaaten mit dem Ausstieg liebäugeln, weil sie sich gegen Vereinheitlichungs-Tendenzen wehren.
Zentralstaatlichkeit ist das eine, Kleinstaaterei das andere Problem. Deshalb brauchen wir als Mittelweg ein föderalistisches Europa der Regionen, bei der die Nationalstaaten in ferner Zukunft nur mehr die Bedeutung von Regierungsbezirken haben.
Wie solle es weitergehen mit Europa?
Auf den letzten EU-Gipfeln, vor allem auf dem Jubiläumsgipfel in Rom im März 2017 zum 60-jährigen Bestehen der EU, herrschte jedoch darüber völlige Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll mit Europa. Auch die teils umstrittenen Reform-Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Macron wurden kaum aufgegriffen. Manche Ideen, wie die eines europäischen Finanzministers und eines separaten Europarlaments, sind nie wieder aufgetaucht. Auch sein neuester Vorstoß Anfang diesen Monats in den Medien der 28 EU-Länder für einen Neubeginn Europas angesichts der nationalistischen Gefahren, stießen auf geteiltes Echo. Er sprach von „Wiedergeburt Europas“ – wiedergeboren werden kann aber nur jemand, der vorher bereits tot ist….
Mit viel Pathos hat er von oben herab einige Vorschläge insbesondere zur Grenzsicherung, zur militärischen Verteidigungsunion mit erhöhten Militärausgaben und gegen Internetmissbrauch vorgebracht. Vor allem aber soll nach seinen Vorstellungen mit der europäischen Handels- und Wirtschaftspolitik Europa zur wirtschaftlichen Weltmacht werden nach dem Motto „Europa first“. Das ist aber „alter Wein in neuen Schläuchen“, denn schon im März des Jahres 2000 wurde mit der als neoliberal kritisierten „Lissabon-Strategie“ das Ziel verkündet, Europa zum größten und stärksten Binnenmarkt der Welt im weltweiten Wettbewerb zu entwickeln.
Nebenbei hat Macron zwar auch Reformvorschläge gemacht zur europäischen Klimapolitik, die völlig unzureichend ist, sowie für einheitliche europäische Sozialstandards, die wünschenswert sind, aber von der Wirtschaft und den Konservativen torpediert werden. Außerdem für einen Bürgerkonvent auch zur Änderung der europäischen Verträge, die aber andere Staaten keinesfalls aufknüpfen wollen. Vieles ist also einstweilen ohne Realisierungschancen.
Doch wer die Bürgerinnen und Bürger in Europa mitnehmen will, muss erkennen: Die Zeiten sind vorbei, wo Staatsmänner im Alleingang und ohne Abstimmung mit anderen Visionen von oben pathetisch verkünden, die nicht von unten getragen und entwickelt sind – auch wenn sie gut gemeint sind.
Göteborger Erklärung: Sozialer Pfeiler der EU
Ähnlich verhält es sich mit den lobenswerten 20 Grundsätzen für ein gerechteres und sozialeres Europa, wie sie in 2017 auf dem Sozialgipfel in Göteborg gemeinsam beschlossen wurden - von der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und dem Europa-Parlament.
Versprochen werden in der Göteborger Erklärung unter dem Begriff „soziale Säule“ für eine Sozialunion:
- faire Löhne,
- ein europäischer Mindestlohn,
- angemessene Renten,
- Kampf dem Lohndumping,
- und hohe Sozialstandards gegen Ungleichheit (vielleicht sogar eine europäische Arbeitslosenversicherung).
Die Zuständigkeiten für die sozialstaatlichen Regelungen liegen jedoch allein bei den Nationalstaaten, nicht bei der EU.
Die Göteborger Erklärung ist also nicht mehr als ein frommer Wunschkatalog mit unverbindlichen Appellen – wobei die deutsche Bundeskanzlerin sich mehrmals entschieden gegen eine „Sozialunion“ ausgesprochen hat - obwohl sie für Deutschland der Göteborger Erklärung für eine quasi Sozialunion zuvor in der EU zugestimmt hatte. Auch AKK (Frau Kramp-Karrenbauer) will auf keinen Fall einen europäischen Mindestlohn. Die ungebremst steigenden Armutsquoten von erwerbstätigen Menschen scheinen die beiden Damen kalt zu lassen.
Bis heute ist nicht einmal die Sozialcharta des Europarates von 1965 (aktualisiert 1999) in die europäischen Verträge integriert worden, und deshalb sind die sozialen Rechte für die EU-Bürger nicht einklagbar, sondern müssen hinter den unternehmerischen Rechten zurückstecken. Der freie Kapital- und Warenverkehr steht in der EU über den sozialen Mindestrechten.
Der bekannte Theologe und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach beklagt deshalb die fehlende Solidarität in Europa, er sagte: „Europa,ist in einer sozialen Schieflage. Es fehlt an einklagbaren sozialen Grundrechten
Für die nächsten 10 Jahre einigte man sich auf dem EU-Jubiläumsgipfel lediglich auf 4 Ziele der Europapolitik:
- Sichere Außengrenzen,
- Wirtschaftswachstum mit einem starken Binnenmarkt
- Wachstum zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Armut
- Eine wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie.
Zum Letzteren passt der unsägliche Vorschlag der Kanzlerin und ihrer CDU-Vorsitzenden „Knarrenbauer“ (vom Kabarettisten Urban Priol geprägter Spottname) für den Bau einer 13 Mrd. teuren Fregatte in Deutschland.
Europäische Verteidigungsunion
Vor allem zum letzten Punkt einigte man sich recht schnell auf eine europäische Verteidigungsunion mit großen und teuren Aufrüstungsverpflichtungen - weil wir längst wieder in einen kalten Krieg in Europa hineinschlittern. Abrüstungspläne bestehen gar nicht mehr - und den UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag haben die meisten EU-Länder einschl. Deutschland nicht unterzeichnet – obwohl deren zivilgesellschaftlichen Initiatoren dafür den Friedensnobelpreis erhielten.
Man will sich die Option auf Atomwaffen – entgegen einem gültigen, aber nie umgesetzten Bundestagsbeschluss von 2010 - und die Stationierung von Mittelstreckenraketen offen halten – obwohl 70 bis 80% der Menschen in Deutschland keine Aufrüstung wollen. Und auf der jüngsten „Sicherheitskonferenz“ in München wurde Sicherheit vor allem mit massiver Aufrüstung gleichgesetzt, nicht mit Abrüstung oder Friedensinitiativen. Das ist nicht verwunderlich, denn diese privat organisierte Konferenz wird zu 90 % von der Wirtschaft und der Rüstungsindustrie gesponsert.
Deshalb verlangten die Sponsoren der Rüstungsindustrie anschließend in aller Öffentlichkeit die Lockerung der Ausfuhrbestimmungen für Waffen und Rüstungsgüter in Krisenregionen nach dem Motto: „Die deutsche Politik soll aufhören, beim Rüstungsgeschäft zu moralisieren und die europäischen Rüstungsexporte und -projekte zu behindern“. Denn zur gleichen Zeit wurden Mitarbeiter des Rüstungskonzerns Heckler & Koch wegen Verstoßes gegen die Waffen-Ausfuhrrichtlinien verurteilt.
Prompt reagiert unsere Regierung entsprechend mit der Lockerung der Restriktionen, auch durch ein Abkommen mit dem französischen Präsidenten. Künftig soll nicht mehr die deutsche Moral gelten, sondern die europaweite Großzügigkeit bei den Waffenexporten etwa nach Saudi-Arabien. Darum ringt ja gerade die große Koalition in Berlin.
Die EU als Friedensnobelpreisträger
Dabei erinnern wir uns, dass die EU im Jahr 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde - für ihren Einsatz für Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte. Das ist auch eine Verpflichtung für die Zukunft.
Dazu gehört meines Erachtens auch die Verpflichtung, nach der Münchener Sicherheitskonferenz vom vorigen Monat zu hinterfragen, ob unsere Sicherheit und Zukunft in Europa allein durch immer mehr Rüstung und Rüstungsausgaben gesteigert werden kann - also durch eine Rüstungsspirale,die uns in den nächsten Jahren mehr als eine Verdoppelung des deutschen Rüstungshaushaltes auf 72 bis 80 Mrd. € beschert – zu Lasten sicherlich der Sozialausgaben.
Unser Verhältnis zu Russland und das Ost-West-Verhältnis in Europa müsste m. E. neu gestaltet werden, statt einen kalten Krieg mit alten Feindbildern wieder aufflammen zu lassen. Wer mit Autokraten und Diktatoren in China, Ägypten, Saudi-Arabien und der Türkei enge diplomatische Beziehungen pflegt, der darf nicht mit zweierlei Maß messen und in einer Art Doppelmoral allein den russischen Autokraten dämonisieren und ausgrenzen, denn Russland liegt Europa am nächsten und ist östlicher Teil unseres Kontinents.
Zu der erneuten Spaltung von West- und Osteuropa darf ich Papst Johannes Paul II. zitieren, der damals sagte: Europa muss mit seinen zwei Lungen atmen, der des Westens und der des Ostens.“ Die EU muss sich auch in den anderen Politikfeldern neu aufstellen:
Sie kann auch nicht nur weiterhin vorrangig als Sachwalter der Marktkonkurrenz und als bloßen Währungs- und Wettbewerbshüter im Binnenmarkt auftreten - denn Europa ist mehr als nur ein großer Supermarkt für Handel und Finanztransfers im Konkurrenzkampf. Dieser nimmt mittlerweile den Charakter eines weltweit eskalierenden Wirtschafts- und Handelskrieges an, wie er vom US-Präsidenten Trump befeuert wird - der neben China vor allem Europa und Deutschland im Visier hat. Die Folgen für unsere Wirtschaft sind noch nicht absehbar. Schon jetzt ist die ungerechte Armuts-und Reichtumsverteilung in Europa ein Stein des Anstoßes.
Europa als Sozialunion
Der schon zitierte katholische Theologe und führende Sozialethiker Friedhelm Hengsbach fordert darum mehr Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität in einem sozialeren Europa, - außerdem mehr direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger - und auch faire Beziehungen zu Entwicklungs- und Schwellenländern statt imperiale Handelsabkommen.
Die EU muss also den Ausgleich anstreben und darf innerhalb wie außerhalb Europas nicht Gewinner und Verlierer produzieren, sonst steht ihre Existenzberechtigung in Frage. Denn die EU ist angetreten vor gut 60 Jahren bei ihrer Gründung, den Frieden und Wohlstand für alle zu mehren. Diesem Anspruch wird sie meines Erachtens nicht gerecht, nachdem mit derzeit 122 Mio. Arbeitslosen und 123 Mio. Menschen in Europa an der Armutsgrenze die größte Kluft zwischen Arm und Reich seit ihrer Gründung besteht. Über 26% der EU-Bevölkerung sind auf unserem reichen Kontinent von Armut bedroht!
Besonders betroffen ist die Jugend in Südeuropa, mit
- 43% Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland,
- 37% Jugendarbeitslosigkeit in Spanien,wo über 5000 junge Menschen deshalb ihr Land verlassen haben
- 36% in Italien und Portugal
- sowie 25% in Kroatien und Zypern.
Wenn sich die verlorene Generation nicht von Europa abwenden soll, muss sich die EU zu einer Sozialunion wandeln. Andernfalls weichen die Errungenschaften Europas einem verhängnisvollen Rückfall in die längst überwunden geglaubte Vergangenheit!
Lassen Sie mich den 2004 verstorbenen ehemaligen Kardinal und Erzbischof von Wien, den Theologen Franz König zitieren, er sagte: „Wir wollen und müssen aus der Geschichte lernen: Europa ist zugrunde gegangen durch einen extremen Nationalismus und Rassismus, durch einen egoistischen Kapitalismus und Materialismus. Es ist zugrunde gegangen durch die Macht des Bösen, einer extremen Brutalität gegen Freiheit und Würde des Menschen. Und entscheidend ist letztlich immer der Mensch und das, was er tut.“
Das sollten wir dringend beherzigen in diesen Zeiten der Wiederkehr des Nationalismus und Rassismus in Europa.
Europas Jagd nach dem Mammon
Ich mute Ihnen noch ein weiteres Zitat zu, nämlich von dem indischen Freiheitskämpfer und Pazifisten Mahadma Gandhi zu seinen Lebzeiten. Jahrzehnte vor Gründung der EU sagte er wörtlich: „Es ist meine feste Überzeugung, dass das heutige Europa nicht den Geist Gottes oder des Christentums verwirklicht, sondern den Geist Satans. Und Satan hat den größten Erfolg, wo er mit dem Namen Gottes auf den Lippen erscheint. Denn Europa ist heute nur dem Namen nach christlich, in Wirklichkeit betet es den Mammon an“.
Nur den letzten Satz habe ich mich getraut, dem Vorwort meines Buches über Europa voranzustellen, das ich 2008 (also bereits vor 10 Jahren) veröffentlicht habe mit dem Titel: „Ist Europa noch zu retten?“ Damals ging es um die versäumte Chance der EU, die Menschen in Europa mitzunehmen bei dem Projekt, Europa eine Verfassung zu geben.
Aus einem geheimen Hinterzimmer-Konvent wollte man den EU-Bürgern ohne ihre demokratische Mitwirkung eine neoliberal geprägte Verfassung ohne soziale Grundrechte überstülpen. Dies scheiterte damals bekanntlich an dem Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden.
Jahre später hat man dann – unter der Ratspräsidentschaft von Angela Merkel - den gleichen abgelehnten Text unter dem neuen Etikett des „Lissabonner Grundlagenvertrages“ einfach zur Rechtsgrundlage für die Europäische Union gemacht, wiederum ohne Bürgerbeteiligung. Nur in Irland gab es dazu eine Volksabstimmung, bei der sich die gescholtenen Iren zunächst dagegen aussprachen. Sie wurden dann in einer erzwungenen 2. Abstimmung zur Zustimmung genötigt.
Es wurde sichtbar, dass es der EU und ihren Mitgliedsstaaten vorrangig um wirtschaftliche Interessen und Vorteile im weltweiten Konkurrenzkampf auf den Märkten ging. Es ist also die EU selber, die das demokratische Vertrauen ihrer Bürgerinnen und Bürger verspielt hat, um das man nun ganz neu und möglichst glaubwürdig werben muss. Der populistische Rechtsruck kommt also nicht von ungefähr in Europa, sondern ist auch die Reaktion auf viele politische Fehlentwicklungen.
Glaubwürdigkeitsverlust der Eliten
Hinzu kommt noch der persönliche Glaubwürdigkeitsverlust an der Spitze der EU, weil die Hälfte aller ausgeschiedenen EU-Kommissare, oft ohne Karenzzeit, anschließend als Lobbyisten für Konzerne und Finanzdienstleister etc. tätig wurden. Wir sprechen ja von „Seitenwechslern“ oder vom „Drehtüreffekt“.
- Zuletzt wechselte der ausgeschieden EU-Kommissar Barroso zum Investment-Finanzkonzern Goldman-Sachs, entgegen den Ethik-Richtlinien der EU.
- Der frühere EU-Umweltkommissar Pogacnik ging zum zweitgrößten Agrarchemiekonzern Syngenta.
- Die Vize-Kommissionschefin Frau Reding, die kürzlich in Passau zu Gast war, wechselte zum Bertelsmann-Konzern – wo auch der amtierende EU-Generealsekretär Martin Selmayr vorher Cheflobbyist war.
- Die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin Kroes leitete sogar eine Briefkastenfirma in Panama.
- Diese Beispiele könnte ich abendfüllend fortführen.
Und beim Schließen der Steuerschlupflöcher für Weltkonzerne und Superreiche ist weiterhin das Heimatland von EU-Kommissionspräsident Juncker eine Steueroase in Europa, wo statt des gesetzlichen Steuersatzes von 29% in Wirklichkeit nur 2% gezahlt werden von den Konzernen.Durch solche aggressive Steuervermeidung gehen in der EU jährlich 70 Mrd. € an Steuern für das Gemeinwohl verloren. Dieses Geld könnten wir hier in den Regionen gut gebrauchen!
In Brüssel sind nach Angaben von Transparency International 35.000 Lobbyisten in Brüssel tätig, davon 12.000 registrierte Lobby-Organisationen, die zusammen jährlich 1,5 Mrd. € für Lobbyismus ausgeben. Auch ein Drittel der Parlamentarier in Straßburg üben bezahlte Nebentätigkeiten aus, oftmals für Lobbyverbände oder Unternehmen.
Endlich eingeführt wurde deshalb auf Druck des EU-Parlaments ein Lobbyregister zur Transparenz, gegen das sich die EU-Kommission und die Konservativen im Parlament lange gewehrt hatten, wie bereits erwähnt.
Aber Zurückgewinnung von Vertrauen geht nur mit Transparenz - und mit Beseitigung der erheblichen Demokratie-Defizite. Diese traten auch erneut zutage bei den in der Bevölkerung heftig umstrittenen EU-Freihandelsverträgen mit den Kürzeln TIPP, CETA, TISA oder JEFTA, wie bereits erwähnt. Diese sind zusammen mit Konzernvertretern und Lobbyisten-Verbänden unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden. Erst der Europäische Gerichtshof musste die EU-Kommission dafür rügen, dass ihre Nichtanerkennung der Europäischen Bürgerinitiative für fairen Handel - mit 3,5 Mio. gesammelten Unterschriften von EU-Bürgern aus 23 Ländern - nicht rechtens war.
Demgegenüber sagte hier in Passau der Generalsekretär des EU-Ausschusses der Regionen, Jiri Burianek: „Um erfolgreich zu sein, braucht es das Vertrauen der Basis. Das ist nur über eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen“. Schauen wir im letzten Teil des Vortrags nun kurz zurück auf den Beginn der EU und nach vorn auf ihre Chance als Zukunftsprojekt der Jugend.
Europa als Zukunftsprojekt der Jugend
Die Europäische Gemeinschaft war von Anbeginn an nach Kriegsende eine Kopfgeburt von Staatsmännern und Wirtschaftsführern mit dem Schwerpunkt einer Wirtschaftsunion. Und zugleich ging es in den Römischen Verträgen mit der Gründung von EURATOM um die Europäische Atomgemeinschaft, die heute noch besteht.
Inzwischen sind aber die demokratisch gereiften Menschen soweit, Europa von unten mitzugestalten und weiterzuentwickeln. Wir müssen also Europa vom Kopf auf die Füße stellen. Wenn die Bürger mitgenommen werden sollen in Europa, dann müssen wir Europa zuvorderst als ein Zukunftsprojekt der Jugend auffassen, wie eingangs gesagt.
Im vorigen Jahr hat die TUI-Stiftung eine interessante Jugendstudie veröffentlicht, mit europaweiten Umfragen unter Jugendlichen über ihr Einstelllug zu Europa.
Danach vertraut nur jeder dritte junge Europäer den EU-Institutionen. Aber 71 Prozent der jungen Europäer würden bei einem Referendum gegen einen Austritt aus EU stimmen, (als Folge des Brexit).
Damit hat die Zustimmung der Jugend zu Europa gegenüber der Umfrage in 2017 wieder erfreulich zugenommen. Noch in 2017 sahen 76% der befragten Jugendlichen die EU als rein wirtschaftliches Bündnis - nur 30% als Bündnis von Ländern mit gemeinsamen kulturellen Werten. Die EU wird eher als Verwaltungsapparat wahrgenommen und weniger als eine solidarische Gemeinschaft gesehen.
Hierbei ist allerdings erschreckend, dass nur gut die Hälfte der jungen Europäer - nämlich 52% - die Demokratie als beste Staatsform ansehen. (Befragung 2017). Ebenfalls 52% haben die pessimistische Erwartung, dass ihr Lebensstandard zukünftig unter dem ihrer Eltern liegen wird und befürchten somit eine Verschlechterung. Laut Befragung 2018 wird deshalb die Verringerung sozialer Ungleichheit neben der Terrorbekämpfung von den Jugendlichen als wichtigste politische Aufgabe gesehen. Aber auch die Reform der politischen Systeme im jeweils eigenen Land ist ein Anliegen der Jugendlichen.
Es gibt also für uns alle ganz viel zu tun für die Zukunftsgestaltung in Europa zugunsten unserer Kinder und Enkelkinder, wenn sie sich mit Europa identifizieren sollen.
Das Subsidiaritätsprinzip als Schutz gegen zentralstaatliche Willkür
Man kann es nicht oft genug betonen: Demokratie kann am besten unten vor Ort erlebt und gestaltet werden, in den Kommunen und Regionen - wo die Bürgernähe gewahrt ist. Deshalb gilt in der EU eigentlich das so genannte Subsidiaritätsprinzip, - das heißt, politische Entscheidungen und Zuständigkeiten sollen von unten nach oben und nicht etwa von oben nach unten geregelt werden. Das muss bei der EU erst noch gelernt und geübt werden.
Die Zuständigkeiten müssen also neu verteilt werden, denn Zentralismus würde Europa zugrunde richten. Schritte in die richtige Richtung sind bereits wiederholt erfolgt. Ich nenne die 4 Meilensteine:
- Vor 30 Jahren hat der Europarat als ersten völkerrechtlichen Vertrag die Rolle der Städte und Gemeinden als erste bürgernahe Ebene der Demokratie bekräftigt.
- Vor 25 Jahren wurde die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Kraft gesetzt.
- Vor 20 Jahren wurde durch den Europarat der Kongress der Gemeinden und Regionen eingerichtet.
- Vor 10 Jahren wurde der Kooperationsvertrag zwischen dem Ausschuss der Regionen und der EU abgeschlossen, der auf die Förderung lokaler und regionaler Demokratie, Regionalisierung und Selbstverwaltung in Europa abzielt.
Das muss jetzt aber im politischen Alltag erst zur Realität werden, denn Papier ist geduldig.
Neubegründung Europas von unten
Eine kulturelle Neubegründung Europas kann also nur von unten ausgehen, von dort, wo der Jugend- und Kulturaustausch und die Städtepartnerschaften in Europa stattfinden. Aber auch dort, wo die Migranten in den Stadtvierteln integriert werden und die Menschenbegegnungen sich real abspielen. Oder wo in den Europa-Schulen der Friedens- und Europagedanke zur Völkerverständigung gepflegt wird, wo in den Gemeinden und Landkreisen regionale Kultur gepflegt wird ( Stichwort: „Einheit in der Vielfalt“). Also dort, wo Bürgernähe und Basisdemokratie möglich sind und die Lebensverhältnisse selber geregelt werden - wo sich Demokratie von unten nach oben aufbaut mit dem Subsidiaritätsprinzip als Schutz vor zentralstaatlicher Willkür oder globaler Konzernherrschaft.
Fazit: Angesichts des krisenhaften Zerfalls des bürgerfernen Europa der EU kommt künftig den bürgernahen Kommunen und Regionen eine Schlüsselrolle zu für eine Neubegründung Europas von unten – bis hin zu einer neuen Verfassung für Europa als Bürgerverfassung über einen Bürgerkonvent. Wir müssen uns also alle für Europa verantwortlich fühlen und engagieren - für ein demokratisches, soziales und solidarisches, friedliches und ökologisch nachhaltiges Europa.
Das ist die Aufforderung an die Menschen hier in Stadt und Land, die in diesem Dreiländereck als Grenzregion längst viel weiter sind, als andere, die den Rechtspopulisten hinterherlaufen, um wieder neue Grenzen zu errichten. Grenzen aber beginnen in den Köpfen. Ein Herz für Europa kann sich nur erwärmen, wer Grenzen überwindet und Menschenbegegnung zulässt – dann erwecken wir die wahre Seele Europas - als Kontinent der Menschenrechte und der Menschenwürde.
Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker drückte es so aus: „Wo Freiheit, Menschenrechte und Pluralismus sind, da ist Europa!“ Ich füge noch ein Zitat des französischen Politikers Roland Dumas hinzu, der sagte: „Europa ist die Zukunft, jede andere Politik Vergangenheit.“
Europas Rolle in der Welt
Ein zukunftsfähiges Europa, so möchte ich zum Abschluss persönlich hinzufügen, sollte aber folgendes berücksichtigen: In Europa leben nur 10% der Weltbevölkerung, 90% der Menschen leben außerhalb Europas. (Auch sind wir nur in einem, im eigenen Land Deutsche oder Einheimische, derweil wir in 27 EU-Ländern „Ausländer“ sind – es sei denn, wir fühlen uns als Europäer).
Für unseren humanitären Kontinent der Menschenrechte bedeutet dies, dass es uns hier nur gut gehen kann, wenn es auch allen anderen Menschen weltweit gut geht. Europas Zukunft ist also schicksalhaft verknüpft mit der Zukunft der gesamten Menschheit. Dieser globalen Verantwortung können wir uns als Europäer nur dann stellen, wenn wir es nicht als egoistischen Selbstzweck betrachten, im Konkurrenzkampf stärkster Binnenmarkt der Welt zu werden.
Solange noch irgendwo auf der Welt ein Mensch Hunger leidet oder in Kriegshandlungen stirbt - oder durch menschengemachte Katastrohen vertrieben wird, solange können wir uns des europäischen Wohlstandes nicht erfreuen – denn nur teilen macht alle reich. Die Menschen in Europa sollten sich also ihrer globalen Verantwortung stellen mit fairem Handel, mit der Stiftung sozialen Friedens bis hin zur konsequenten Umwelt- und Klimapolitik.
Das ist für jeden einzelnen von uns als europäischer Weltbürger die persönliche Herausforderung in einem Europa von unten – also nicht nur „für die da oben“ in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Seien wir also solidarisch im Sinne von Nächstenliebe - denn wer das „christliche Abendland“ als Ursprung der europäischen Kultur bemüht, für den gilt die Ethik des Teilens, der Gerechtigkeit und der Solidarität
Was hierzu jeder Einzelne konkret beitragen kann, wenn er sich zur rechten Zeit mit anderen zusammenschließt, das sollten wir gleich diskutieren.
Danke für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!