Bundestagswahl 2025
„Das Wahlkampfniveau ist eine Beleidigung für die Intelligenz der mündigen Wählerinnen und Wähler“
Fotomontage: Welle Niedersachsen und Radio RST
„Schwindelanfälle treten besonders häufig auf,
wenn es sich um Wahlkampf handelt“ (Thom Renzie)„Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl,
während der Kriege und nach der Jagd“ (Otto v. Bismarck)
Nach dem Wahlkampfauftakt der Parteien am letzten Wochenende haben wir 4 Kanzlerkandidaten mit geringen Zustimmungswerten, die mit eilig zusammengeschusterten Wahlprogrammen sowie ersten nichtssagenden Wahlplakaten alle einen „Politikwechsel“ versprechen. Doch „Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten“, lautete die berühmte Feststellung von Kurt Tucholsky, dem bedeutenden Publizisten der Weimarer Republik. Aktuelle Studien zeigen einen weiteren Rückgang der Zufriedenheit mit unserer parlamentarischen Parteien-Demokratie bis auf unter 50%. Sind positive Änderungen nach der Wahl durch einen Regierungswechsel zu erwarten?
Die bisherigen Wahlaussagen gehen jedenfalls bei fast allen Parteien an den eigentlichen Problemen, Sorgen und Nöten der Bürgerinnen und Bürger - wie Mieten, Preise, Renten, Kinderarmut, Bildungsmisere sowie Frieden und Klimaschutz - ziemlich vorbei und lassen kaum überzeugende Zukunftskonzepte zur Verbesserung erkennen. Eher "weiter so" als Politikwechsel. Einige wollen sogar zurück in die Vergangenheit und zugleich den Sozialstaat schleifen. Deshalb wächst vor allem die nicht unbegründete Sorge, dass wir am 23. Februar wegen der vielen sozialen Verlierer mit Abstiegsängsten österreichische Verhältnisse bekommen könnten, mit national-völkischer Ausrichtung.
Seitdem sich auch die Parteien der Mitte in der Flüchtlings- und Menschenrechtspolitik nach rechts auf die AfD zubewegen und im Übrigen ihrer neoliberalen Ausrichtung treu bleiben, die noch mehr soziale Kälte erwarten lässt, wissen viele Wahlberechtigte nicht mehr, wen sie dieses Mal überhaupt wählen sollen. Kindergrundsicherung, Energiegeld, bezahlbare Pflege und bezahlbares Wohnen als soziale Frage Nr. 1 kommen im Wahlkampf nicht mehr vor. Forschungen haben nachgewiesen, dass dies den rechten Parteien Wähler zutreibt, auch wenn diese noch neoliberaler unterwegs sind. „Demokratie ist Bestätigung und Vollzug dessen, was Publikumsumfragen längst ermittelt haben“ (Aurel Schmidt, Schweizer Gesellschaftsanalytiker).
Die Sorge vor österreichischen Verhältnissen ist also nicht ganz unbegründet. Es könnte am Wahlabend böse Überraschungen geben, fernab der meist unzutreffenden Voraussagen der Demoskopen. „Wenn du dich bei Wahlen für Mist entscheidest, entscheidet der Mist anschließend in deinem Namen in den Parlamenten“ (Harald Paulick, Schriftsteller).
Parteien der Mitte auf Abwegen?
CDU auf konservativem „Law and Order“-Kurs
Ist der angesagte „Politikwechsel“ der Parteien ein hoffnungsvolles Versprechen oder eine Sorgenbereitende Bedrohung für die Wählerschaft? Parteien wie die CDU propagieren einen neuen, aber rückwärtsgewandten Konservatismus mit gesellschaftspolitischem Rollback. Hassobjekt sind am untersten Ende die „arbeitsfaulen“ Bürgergeldempfänger, nicht etwa die reichen Steuerhinterzieher, die dem Staat jährlich dreistellige Millionensummen entziehen. Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit über eine gerechte Steuerpolitik mit angemessener Vermögens- und Erbschaftssteuer ist kein Thema, trotz jahrzehntelanger Umverteilung von unten nach oben.
Aktuell startete die CDU nach ihrem Einschwenken auf den flüchtlingspolitischen Kurs der AfD nunmehr mit dem Wahlplakat: „Recht und Ordnung wieder durchsetzen – deshalb CDU“, übrigens fast wortgleich mit dem Wahlplakat der damaligen NPD von 1969 mit dem Slogan: „Sicherheit durch Recht und Ordnung“. Mit sozialer Sicherheit und sozialer Ordnung für die Bevölkerungsmehrheit hat diese „Law and Order“-Politik wenig zu tun. Wie hemmungslos die CDU schon in der Nachkriegsära Wahlkampf machte, lässt sich übrigens im Deutschen Plakatmuseum in Essen besichtigen: „Millionen Christen wählen CDU“. Oder ein Kind auf dem Plakat: „Vater und Mutter wählen für mich CDU“. Oder: „Saat und Sonne – Bauern und CDU gehören zusammen“. Heute plakatiert Friedrich Merz, „damit wir wieder stolz auf unser Land blicken können“.
Wie bürgernah sind SPD, Grüne und Linkspartei?
Bei der SPD und sogar bei den Grünen ist im Wahlkampf die überlebenswichtige Frage des Klimaschutzes, die insbesondere die junge Generation bewegt, ziemlich in den Hintergrund geraten, weil momentan nicht populär? Das Verfehlen der eigenen Klimaziele wird schamhaft verschwiegen. Auch hier trifft es eher die Armen, während die Reichen den größten Klimaschaden verursachen und deshalb geschont werden? (Den Privatflieger Friedrich Merz wird es freuen).
Auf den Politikfeldern einer wirksamen Renten- und Pflegegeldreform oder einer nachhaltigen Armutsbeseitigung und Wohnungspolitik haben diese Parteien nichts Überzeugendes zu bieten, sondern überlassen allein der ungeliebten Linkspartei diese für die Bürgerinnen und Bürger zentralen Themen. Als einzige Partei macht diese geltend, dass sie mit ihrem „Haustürwahlkampf“ das Ohr am einfachen Volk habe - von Olaf Scholz als „normale Bürger“ bezeichnet, die man immer in Wahlkampfzeiten entdeckt.
Der zerstörerische Kurs der libertären FDP mit rechtspopulistischer „Zeitenwende“
Und die libertäre FDP mit ihren Träumen von der „Disruption“ nach dem Vorbild des argentinischen Rechtspopulisten Javier Milei und dem Milliardär und Trump-Berater Elon Musk will den Sozialstaat am liebsten komplett abschaffen. Im Sinne ihrer Lobbyisten will sie allein den Markt regieren lassen, auch wenn die Armutsquote dadurch noch weiter zunimmt, wie in Argentinien, zumal die Aufrüstung zum Wohlgefallen der Rüstungslobby künftig absoluten Vorrang genießt.
Die FDP steht für eine „Zeitenwende“ der rechtslibertären Spielart und manövriert sich damit als Partei vollends ins Abseits. Mit Liberalismus im positiven Sinne hat das nichts mehr zu tun, sondern mit dessen Zerstörung im Sinne von „Disruption“. Deshalb wäre ein Absacken der so veränderten FDP unter 5% kein großer Verlust für unsere parlamentarische Parteiendemokratie, im Gegenteil, eine große Lücke hinterlässt sie nicht und uns bleibt verstärkter Lobbyisten-Einfluss erspart. Denn „die Summe der Einzelinteressen ergibt nicht das Gemeinwohl, sondern das Chaos“ (Manfred Rommel, Ex-OB), nämlich den Anarcho-Kapitalismus a´ la FDP.
>>> siehe hierzu auch im Lokalkompass:
https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/brauchen-wir-ueberhaupt-noch-die-neoliberale-klientel-partei-fdp-im-demokratischen-parteienspektrum_a2006384
Bekommen wir die Regierung, die wir als Wähler verdient haben?
Bleiben wir also ein Land der Suppenküchen und Tafeln, der Obdachlosen und der Kinder- und Altersarmut sowie der Wohnungsnot einerseits und des obszönen Reichtums andererseits, wie seit Jahrzehnten ungebremst zugelassen und über die Steuerpolitik politisch gefördert? „Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden als wir es verdient haben“ (Bernard Shaw, britischer Literatur-Nobelpreisträger). Die weit verbreitete Enttäuschung über das Versagen der Parteien der Mitte, wie sich auch am maroden Zustand der gesamten Infrastruktur in Deutschland oder bei der Verarmung der Kommunen vor Ort zeigt, erhöht die Gefahr eines weiteren politischen Rechtstrends.
Eine Studie zu IQ-Werten, wonach AfD-Wähler eine geringeren Intelligenz-Quotienten als Wähler anderer Parteien haben und ihnen somit die demokratische Reife angesprochen wurde, erwies sich als zweifelhaft. Denn in einer Untersuchung zum Wahlverhalten nach der letzten Bundestagswahl 2021 wurde der Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und Bildungsstand analysiert: Danach hatten Wähler mit geringem Bildungsstand nicht nur die AfD, sondern auch die CDU und SPD gewählt, während Wähler mit hohem Bildungsstand vor allem zu den Grünen, aber auch zu FDP und den Linken tendierten, weniger zur CDU und SPD (Quelle: Statista). Jedenfalls zieht die ehemalige „Professoren-Partei“ AfD zahlreiche Menschen auch aus den bürgerlichen Mittelschichten an, was die Sorge um unsere Demokratie nicht geringer macht. Aber auch Wahlenthaltung ist ein Symptom für unsere erkrankte Demokratie, wie das historische Tief von nur 55% Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl in NRW offenbarte, ohne dass die Parteien den Warnschuss verstanden haben.
>>>(Siehe hierzu auch Beitrag im Lokalkompass: https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/haben-die-siegreichen-parteien-in-nrw-den-weckruf-immer-noch-nicht-gehoert_a1735702
Bröckelt bereits die Brandmauer nach rechts?
Im nördlichen Ruhrgebiet als der AfD-Hochburg in NRW (zugleich die Armutsregion in Westdeutschland) mit dem größten AfD-Kreisverband ist die Sorge in der Bürgerschaft besonders groß. Deshalb werden dort wieder Demonstrationen „gegen rechts“ organisiert. Sogleich gab es am 15. Januar daraufhin einen Leserbrief eines Halterner Unternehmensberaters und CDU-Mitglieds in der Lokalzeitung, der sich als Rechtskonservativer dadurch in eine falsche Ecke gedrängt sieht.
Dabei geht es um die mancherorts längst bröckelnde Brandmauer gegen rechts; (dies zeigte sich auch vor einem Jahr in Haltern durch die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete bei den örtlichen Bauernprotesten). Es hängt also vieles davon ab, wie sich die Bürgerinnen und Bürger als Souverän für ihre Demokratie engagieren. „Die Demokratie setzt die Vernunft im Volke voraus, die sie erst hervorbringen soll“ (Karl Jaspers, Philosoph und Psychiater).
>>>Zu den Wahlergebnissen der AfD im nördlichen Ruhrgebiet und den dortigen Protesten gegen rechts siehe hier im Lokalkompass:
https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/rechtsruck-trotz-gegenproteste-droht-das-noerdliche-ruhrgebiet-eine-afd-hochburg-zu-werden_a1962971
https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/haltern-steht-auf-fuer-demokratie-respekt-und-vielfalt-und-gegen-rechts-die-afd-hat-hier-keine-chance-mehr_a1926712
„Parteien sind für das Volk da, nicht für sich selbst“
„Jede Partei ist für das Volk da und nicht für sich selbst“, ermahnte schon der frühere CDU- Kanzler Konrad Adenauer und attackierte zugleich auf seinen damaligen Wahlplakaten die SPD: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau – deshalb CDU“. Ein Abkommen für fairen Wahlkampf gab es damals wohl nicht. Doch auch das heutige Wahlkampfniveau und die Streitkultur lassen zu wünschen übrig und sind eine Beleidigung für die Intelligenz der mündigen Wählerinnen und Wähler. Von nicht eingehaltenen Wahlversprechen wie Kindergrundsicherung oder Energiegeld einmal abgesehen.
Die Tonart, das Niveau und die Art der Auseinandersetzungen auch zwischen den demokratischen Parteien und ihrem Spitzenpersonal, bei denen es nicht nur um das Sichtbarmachen der inhaltlichen Gegensätze geht, sondern auch um persönliche Herabsetzungen, ist für die Wählerschaft in unserer Zuschauerdemokratie oftmals eine intellektuelle Zumutung und nimmt pubertäre Züge an, wie auch die Querschüsse aus der bayrischen CSU alltäglich belegen. Dabei wäre ein niveauvoller politischer Richtungsstreit inhaltlich durchaus angebracht. Denn „Diskussionen mit Gleichgesinnten sind keine Diskurse, sondern Selbstbestätigungen. Echte Diskurse finden mit Andersdenkenden statt“ (Jörg Sommer, Sozialwissenschaftler).
Die Rolle der Medien im Wahlkampf
Für die Wahlentscheidungen spielen die Medien als die vierte Gewalt im Staate eine wichtige Rolle, deren Spitzenjournalisten und Moderatoren teils besser bezahlt werden als der Kanzler oder die Minister, über die sie berichten. „Nicht die Parteien machen den Wahlkampf, sondern die Medien“ erkannte schon der frühere CDU-Politiker Rainer Barzel. In der Tat ist der Trend erkennbar, dass die Medien nicht nur auftragsgemäß über die politischen Ereignisse berichten und kommentieren, sondern vielfach auch selber Politik (manchmal kampagnenmäßig) machen wollen, und das nicht nur bei der Springerpresse (Stichwort: Bürgergeld-Bashing), sondern auch bei den öffentlich-rechtlichen Medien (Stichwort: Waffenlieferungen). Von der unausgewogenen Auswahl der Talkshow-Gäste, wo oftmals die immer gleiche Clique unter sich ist, erst gar nicht zu reden.
>>>( siehe hierzu im Lokalkompass: https://www.lokalkompass.de/dortmund/c-politik/wie-ueberbezahlte-elite-journalisten-von-ard-und-zdf-ihre-glaubwuerdigkeit-und-unabhaengigkeit-aufs-spiel-setzen_a1844632 )
Auch suggerieren uns die Medien mit ihren im Wahlkampf anberaumten „Kanzler-Duellen“, die Wählerinnen und Wähler könnten in einer Art Direktwahl ihren künftigen Kanzler oder die Kanzlerin auswählen. In Wirklichkeit wählen sie mit ihrer Erststimme nur den jeweiligen Wahlkreiskandidaten oder die -kandidatin und mit der Zweitstimme die jeweilige Landesliste der auf dem Wahlzettel aufgeführten Parteien. Dessen sollten sich die Wähler bewusst sein, die deshalb oft nach rein taktischen Kriterien zu wählen gezwungen sind bei der Aufteilung ihrer Erst- und Zweitstimmen. „Wenn einer im Wahlkampf zu schimpfen hat, dann sind es die Wähler, nicht die Politiker“, bemerkte der frühere CDU-Spitzenpolitiker Rainer Barzel. Schon Bismarck wusste: „Ein großer Staat regiert sich nicht nach Parteiansichten“.
„Wahlen alleine machen noch keine Demokratie“
Es wird sichtbar: Wahlen alleine machen noch keine Demokratie. Und bei Wahlen geht es um Mehrheiten, nicht um Wahrheiten. Deshalb ist Wählerschelte unangebracht. „Es genügt nicht, wenn man das Volk einmal im Jahr an die Wahlurne führt und dann verführt“ (Ex-CDU-Kanzler Ludwig Erhard). Nicht wählen wäre allerdings keine Alternative, das wusste offenbar schon CDU-Kanzler Konrad Adenauer, der damals mahnend, aber entgleisend plakatierte: „Wer nicht wählt, wählt kommunistisch und damit seines und seines Volkes Untergang“. Oder noch drastischer: „Moskau befiehlt: stürzt Adenauer. Nun erst recht CDU“.
Die neue Partei BSW unter Sarah Wagenknecht, die für eine europäische Friedensordnung unter späterem Einbezug von Russland plädiert, muss in ähnlicher Weise mit dem diffamierenden Vorwurf sogar von SPD-Politikern leben, sie sei der "verlängerte Arm von Putin aus Moskau". (Offensichtlich liegt eine Verwechslung mit dem ehemaligen SPD-Kanzler und späteren Putin-Freund Gerhard Schröder vor, dessen unsägliche Agenda 2010 nun von der CDU mit der Agenda 2030 lobend nachgeahmt wird). Mit dem Vorwurf an das BSW wird auch im Wahlkampf einvernehmlich suggeriert, die derzeitige Rüstungs- und Kriegspolitik sei alternativlos, und das sei so für alle Zeit bis in die ferne Zukunft. Dabei hatte gerade erst Anfang Januar eine Umfrage von Ipsos ergeben, dass sich jeder zweite Deutsche gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht.
Wird der Wille der Bevölkerungsmehrheit ignoriert?
Für Abrüstungs- und Entspannungspolitik und Verhandlungs- und Friedenslösungen statt weitere Waffenexporte, wie von einer knappen Bevölkerungsmehrheit gewünscht, bestehen also derzeit keine Chancen? Stattdessen der Ruf nach mehr Waffen insbesondere von Christdemokraten und Katholiken, deren Papst gerade in seiner veröffentlichten Autobiografie schreibt: „Waffen bringen nichts weiter als den Tod“. Doch die einstmals aktive Friedensbewegung in Deutschland wird von den wahlkämpfenden Parteien diskreditiert und die Kriegsangst wird geschürt: „Moskau könnte NATO bis 2030 angreifen“, so warnen deutsche Geheimdienstchefs. Es blüht das politische (Waffen-) Geschäft mit der Angst. „Politik machen: Den Leuten so viel Angst einjagen, dass ihnen jede Lösung recht ist“ (Wolfram Weidner, Journalist).
Gleichzeitig werden Rüstungsaktien neuerdings als „nachhaltige Geldanlagen“ von ihrem bisherigen Stigma befreit, so dass auch befangene Politiker getrost Rüstungsaktien erwerben können, ohne dies offenzulegen. Die Wählerinnen und Wähler sind also auch außerhalb von Wahlen stark gefordert, wachsam zu sein, denn mit dem bloßen Wahlakt alle paar Jahre ist es wahrlich nicht getan. Das anschließende Regierungshandeln ist also stetig in den Fokus zu nehmen. „Eine gute Regierung ist wie eine geregelte Verdauung; solange sie funktioniert, merkt man von ihr kaum etwas“ (Erskine Caldwell, amerikanischer Schriftsteller). Dass zuletzt die Ampelregierung nicht funktioniert hat, machte sich an deren Ausscheidung bemerkbar.
>>> Zum Thema Politiker mit Rüstungsaktien siehe auch hier im Lokalkompass:
https://www.lokalkompass.de/duesseldorf/c-politik/abstimmungen-ueber-kriegseinsaetze-und-waffenhandel-profitieren-unsere-politiker-von-ruestungs-aktien_a1940008
Popularität nach der Beliebtheitsskala?
Es ist mittlerweile eine Unsitte gerade auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, monatlich in einer Beliebtheitsskala Punkte oder Noten an die amtierenden Politiker zu verteilen nach ihrer ab- oder zunehmenden Popularität. Hier wird Politikvermittlung zur bloßen Unterhaltung betrieben in der Mediendemokratie, so dass Popularität und Populismus dicht beieinander liegen. So macht sich eine abnehmende Qualität nicht nur in der Politik, sondern auch im Journalismus bemerkbar. Die Popularitätsdebatte wurde ja intensiv um den kriegstüchtigen Regierungspolitiker Boris Pistorius geführt.
Wie kommt man aber als Politiker in die Schlagzeilen – am besten mit Wahlkampf-Polemik? Öffentlich wirksam wird Polemik nur dann, wenn sie hinreichend populär gemacht wird, so stellte die Universität Siegen in einer wissenschaftlichen Studie zu diesem Thema fest. Und die Parteien und ihre Repräsentanten spielen mit beim unterhaltsamen Medienzirkus. Damit gerät aus dem Blick, wovon die Parteien und ihre Politiker wirklich getrieben sind. „Beliebtheit sollte kein Maßstab für die Wahl von Politikern sein. Wenn es auf die Popularität ankäme, säßen Donald Duck und die Muppets längst im Senat“, sagte der amerikanische Regisseur und Schauspieler George Orson Welles.
Bürgerbeteiligung ist das Gebot der Stunde
Zwar hatte schon der damalige Grünen-Politiker Joschka Fischer in seiner arroganten und drastischen Art ätzende Kritik geübt: „Es gibt eine ganze Latte politischer Leichen und Halbleichen, die hier auf Kabinettsposten herummodern.“ Später gehörte er selber dazu mit seiner unrühmlichen Rolle etwa im völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg. Die Wählerinnen und Wähler vermissen Persönlichkeiten mit und ohne Charisma, denen man die Qualifikation und Staatskunst zutraut und die den Wählerwillen und das Wohl des Volkes ernst nehmen.
Umso mehr ist heutzutage aktive Bürgerbeteiligung gefragt und das Gebot der Stunde. „Wer Bürger beteiligt, kann scheitern. Wer Bürger nicht beteiligt, ist schon gescheitert“ (Andreas Paust, Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung). Die politischen Themen sollten die Bürgerinnen und Bürger bestimmen. „Ohne Zweifel muss sich unsere Demokratie erneuern, wenn sie zukunftsfähig bleiben will“ (Jörg Sommer, Sozialwissenschaftler). „Die Zukunft ist offen. Sie hängt von uns ab – von uns allen“ (Karl Popper, Philosoph). Und „der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“ (Abraham Lincoln, ehemaliger US-Präsident). Jede Beschwerde von Bürgern ist ein kostenloser Verbesserungsvorschlag. Auch unsere gewählten Volksvertreter als Mandatsträger sind einzubeziehen, indem man sie auf folgende 10 Gebote verpflichtet, die für sie gelten, auch im Verhältnis zur Bürgerschaft.
(Siehe im Lokalkompass: https://www.lokalkompass.de/essen/c-politik/zehn-gebote-fuer-abgeordnete-und-berufspolitiker_a1921123 )
Worte und Taten klaffen auseinander
Der verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt brachte es auf den Punkt. „Politiker beherrschen die Kunst, so viel Worte zu machen, dass sie hinterher die Wahl haben, zu welchem sie stehen wollen.“ Und schon Friedrich Dürenmatt bemerkte sarkastisch.: „Je öfter sich ein Politiker widerspricht, desto größer ist er.“ Die Zweifel an den Fähigkeiten des politischen Führungspersonals sind in den letzten Jahren stark gewachsen, und das nicht nur bezogen etwa auf bestimmte umstrittene Minister wie Andreas Scheuer, Christine Lambrecht oder Lisa Paus und andere.
Sondern auch die Kanzler-Qualitäten der diesjährigen Bewerber um das politische Spitzenamt werden öffentlich angezweifelt. Wer dem widerspricht, möge sich die inhaltsleeren Weihnachts- und Neujahrsansprachen des Bundespräsidenten und amtierenden Bundeskanzlers vom letzten Jahr und diesem Jahr anhören, die von Zuversicht, Zusammenhalt und Optimismus schwurbelten, ohne die soziale Schieflage in diesem Land und das Millionenheer der sozialen Verlierer überhaupt zu erwähnen, geschweige selbstkritisch die politischen Versäumnisse und Erfordernisse anzusprechen. >>> (Siehe hierzu Beitrag im Lokalkompass: https://www.lokalkompass.de/duesseldorf/c-politik/was-wir-in-den-weihnachts-und-neujahrsansprachen-des-bundespraesidenten-und-bundeskanzlers-vermisst-haben_a1920154 )
Driftet unsere Demokratie ab in eine Plutokratie oder Kleptokratie?
„Was immer für Aufschrift die Parteien tragen, was immer für Schlachtruf von den Demagogen erschallt, die sie führen, man hat tatsächlich nur die Wahl zwischen der Plutokratie auf der einen und einer Horde lächerlicher Utopisten auf der anderen Seite“, schrieb Henry Louis Mencken, ein amerikanischer Schriftsteller und Kulturkritiker. Tatsächlich leben wir in einer politischen Ära, wo Plutokratie und Kleptokratie die treibenden Kräfte sind und unsere Demokratie gefährden. Also in einer Staatsform, in der die Besitzenden, die Reichen die politische Herrschaft oder Geldherrschaft ausüben. „Der Wahlspruch der Herrschenden: Alles für uns und nichts für die anderen“ (Noam Chomsky, amerikanischer Publizist).
Das zeigt sich nicht nur aktuell in Amerika bei den politisch einflussreichen Milliardären oder in anderen Ländern bei den einflussreichen Oligarchen, sondern längst auch verdeckt in unserem Staatswesen und Gemeinwesen. Das könnte ausarten in eine Kleptokratie, also in eine Herrschaftsform, bei der die Herrschenden willkürliche Verfügungsgewalt über Besitz und Einkünfte der Beherrschten erlangen, oder sich und ihre Klientel auf Kosten der Beherrschten bereichern. Das gelingt denen am besten in einem „schlanken Staat“ mit einer „schlanken Demokratie“, dafür aber umso mächtigeren Großunternehmern. Das zu durchschauen und zu verhindern ist vornehmste Aufgabe der Wählerinnen und Wähler und der regierungskritischen Medien. „Politik ist die Kunst, von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen zu erhalten, beides unter dem Vorwand, die einen vor den anderen schützen zu wollen“ (Quelle unbekannt).
Die politischen Problemlösungen gehen uns alle an
Diese vorgezogene Bundestagswahl ist also in vielerlei Hinsicht eine historische Wahl und eine Richtungswahl mit entscheidender Weichenstellung. Deshalb müssen die politischen Gegensätze offen angesprochen werden, bevor sie in anschließenden Koalitionsverhandlungen wieder verwässert werden. „Wer politische Gegensätze durch Kungelei im Hinterzimmer lösen will, schadet dem Vertrauen in unsere Demokratie“ (Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident). Und „was alle angeht, können nur alle lösen. Jeder versuch eines Einzelnen oder einer Gruppe, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern“ (Friedrich Dürenmatt, Schriftsteller). Nehmen wir die enormen Herausforderungen an oder lassen wir als Wahlvolk am 23. Februar unsere Stimme in der Urne absterben?
Wilhelm Neurohr, 15. Januar 2025