Wilhelm Neurohr

Leserbrief zur Berichterstattung über die Koalitions-Sondierungen in Berlin

„SONDIERUNGSERGEBNISSE TORPEDIEREN EUROPÄISCHE SOZIALPOLITIK“

Täglich hören wir von Spitzenpolitikern aus dem In- und Ausland sowie in den Medien das Argument, die „Groko“ sei allein schon wegen der großen Herausforderungen für das reformbedürftige Europa dringend geboten. Warum nimmt dann das bisherige Sondierungspapier von CDU und SPD auf die wichtigsten und aktuellsten europäischen Weichenstellungen aus dem 60-jährigen EU-Jubiläumsjahr 2017 überhaupt nicht Bezug, sondern bleibt mit seinen Allgemeinplätzen zu Europa weit dahinter zurück? Die Sondierungsergebnisse torpedieren die europäische Sozialpolitik.

Vor allem die konkrete Idee einer „Europäischen Sozialunion“, die von einem 105-köpfigen EU-Konvent entworfen wurde, ist von Frau Merkel zuvor in mehreren Interviews entschieden abgelehnt worden. In der gemeinsam beschlossenen „Göteborger Erklärung“ vom Oktober 2017 haben jedoch die Europäische Kommission, das Europaparlament und der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs im Oktober 2017 (im Beisein von Merkel und Gabriel) folgendes für ganz Europa verkündet: Faire Löhne, einen europäischer Mindestlohn, angemessene Renten, hohe Sozialstandards gegen Ungleichheit sowie Kampf dem Lohndumping.

Das deckt sich mit den sozialen Forderungen, mit denen die SPD in Deutschland in die Sondierungsgespräche hineingegangen, aber erfolglos wieder herausgekommen ist. Wollen sich Merkel, Seehofer, Schulz und Nahles mit ihren faulen Kompromissen klammheimlich von den sozialpolitischen Zielen und Vorgaben der EU verabschieden, die Deutschland zuvor auf der EU-Ebene mitgetragen hat? Mit den dürftigen Sondierungsergebnissen würde Deutschland weiterhin als reichstes EU-Land weit hinter dem europäischen Sozialmodell zurück bleiben. Auch die vom französischen Staatspräsidenten entworfenen und vielgelobten Pläne für eine sozial ausgleichende Harmonisierung der Steuer- und Sozialpolitik bleiben in Deutschland unbeachtet.

Denn auch die Agenda-Partei SPD ist sich bewusst, dass im Europavergleich das niedrige Lohnniveau in Deutschland mit den prekären Arbeitsverhältnissen sowie das mit Abstand niedrigste Rentenniveau in Europa mit drohenden Armutsrentnern einen großen sozialpolitischen Wurf in Deutschland erfordern würde – mit Abschied von der sozial verheerenden Agenda 2010. Dazu ist sie nicht Willens und in der Lage, obwohl von der eigenen SPD-Basis und den abhanden gekommenen SPD-Wählern seit Jahren gefordert.

Wie will die SPD den Menschen im Land erklären, warum sie sich hier laut Nahles mit 48% Rentenniveau dauerhaft begnügen sollen, während sich das durchschnittliche Rentenniveau in Europa und den übrigen OECD-Ländern um 70% bewegt? Warum kann Deutschland nicht von den funktionierenden und bezahlbaren Rentenmodellen der Nachbarländer Österreich, Schweiz, Niederlande, Luxemburg, Skandinavien u. a. lernen?

Auf dem Weg zu einer 18%-Partei sollte sich die SPD, zumindest ihr tonangebender rechter Flügel vom „Seeheimer Kreis“ überlegen, ob sie nicht dauerhaft eine Fusion mit der CDU eingehen soll, wenn ihr die Fortsetzung des neoliberalen Kurses wichtiger ist als das soziale Wohl der millionenfach verarmenden Menschen in diesem Land - infolge von 12 Jahren gemeinsamer Groko-Poltik zugunsten der Wohlhabenden.

Wilhelm Neurohr